Landeshauptstadt: Entrüstung voller Emotion
Alkoholiker-Selbsthilfegruppen warnen davor, die Suchtberatung zu schrumpfen
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Alkoholiker-Selbsthilfegruppen warnen davor, die Suchtberatung zu schrumpfen Von Sabine Schicketanz „Es besteht immer die Gefahr, dass man rückfällig wird“, sagt der schlanke Mann mit dem karierten Hemd. „Aber wenn es keine Hilfe gibt, ist der Rückfall vorprogrammiert.“ Es sei ein steiniger Weg, weg vom Alkohol, doch „jetzt werden uns auch noch Steine in den Weg legt“, meint ein anderer Mann. Noch ein anderer sagt: „Gehen die mir an die Gruppe, gehe ich nicht mehr hin.“ Es ist Entrüstung voller Emotionen, die an diesem Donnerstagabend deutlich wird in der Suchtberatungsstelle der Arbeiterwohlfahrt in der Berliner Straße. Seit Jahren schon treffen sich hier Menschen, die alkoholkrank sind, die sich gegenseitig helfen, Abstand zu halten vom „Teufel in der Flasche“. Jetzt steht, so sehen es die sieben Männer und eine Frau, die an diesem Abend gekommen sind, ihre Zukunft auf dem Spiel. Und die anderer Alkoholiker, „die ganz schwer krank sind“. Denn die Stadt will ihre Suchtberatung neu organisieren – oder besser, sie muss. Das Land hat seine finanziellen Zuschüsse stark gekürzt: Wurden 2002 noch 100 000 Euro überwiesen, werden es im kommenden Jahr nur noch 43 000 Euro sein. Angesichts dieser Sparmaßnahme entschied sich die Stadt, ihren Vertrag mit der bisher existierenden Sucht GbR – gegründet von Diakonischem Werk und Arbeiterwohlfahrt – zu kündigen. Das Loch in der Suchtberatungskasse könne die Stadt nicht stopfen, es müsse ein neuer Weg gefunden werden, hieß es. Seit dem 3. September läuft deswegen eine überregionale Ausschreibung. Gesucht: Ein oder zwei Träger für eine Suchtberatungs- und eine Suchtpräventionsstelle. Einer, der mit dem zur Verfügung stehenden Geld auskommt. Durch geschicktes Wirtschaften allein können die Auswirkungen des Sparkurses aber nicht aufgefangen werden. Statt der bisher fünf Suchtberater werden jetzt in der Ausschreibung zwei gesucht. Für die Suchtprävention sind 1,5 Stellen vorgesehen. Anfangen soll der neue Träger am 1. Januar 2004. „Eine Ausschreibung für zwei Mitarbeiter ist blanker Hohn“ – so hat Wolfgang Lieckfeldt, Leiter der Selbsthilfegruppe beim Diakonischen Werk, seinem Ärger und Unverständnis Luft gemacht. In den „Grundlagen kommunaler Suchthilfeplanung“ der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sei seit Jahren die Rede von einem Suchtberater pro 10 000 Einwohner. „13 dieser qualifizierten Kräfte wären demnach für die Landeshauptstadt notwendig!“ Von einem laut Gesetz vorgeschriebenen „bedarfsgerechten Angebot“ könne keine Rede sein, so Lieckfeldt. Das meint auch die AWO-Selbsthifegruppe vom Donnerstagabend – und sieht vor allem zwei Probleme: Gerade Menschen, die einen Entzug hinter sich haben, seien lange Wartezeiten auf einem Termin beim Suchtberater nicht zuzumuten. „Ich weiß noch, wie es mir ging, gerade zweieinhalb Wochen ohne Alkohol“, sagt die Frau aus der Selbsthilfegruppe. „Da haben mir noch die Finger gezittert.“ Außerdem müsse es bei den Suchtberatungsstellen eine Wahlmöglichkeit geben. „Es gibt nur einen bestimmten Menschen, bei dem man alles rauslässt, von A bis Z. Und das ist ganz wichtig“, sagt ein Mann. Holger Guse, Leiter dieser Selbsthilfegruppe, macht sich auch um die Zukunft der Gruppentreffen Sorgen. „Was passiert ohne einen Gruppenraum?“, fragt er und bezweifelt, dass es unter dem Dach eines neuen, einzigen Trägers genug Platz für die zahlreichen Gruppen geben wird. „Luftschlösser“ nennt er die Zukunfts-Überlegungen der Selbsthilfler – „und zwar deshalb, weil wir uns nicht vorstellen können, dass es tatsächlich so durchgedrückt wird, wie jetzt geplant“. Werden die Selbsthilfegruppen weniger, werde es tatsächlich eine erhöhte Rückfallquote geben, meint der Mann im karierten Hemd. Und erhöhte Kosten. „Ich habe fünf Jahre gekämpft und hatte 25 Entgiftungen. Eine hat damals 4000 Mark gekostet“, sagt er. „Und wenn dann die Hälfte der 7000 Alkoholiker in Potsdam zweimal im Monat eine Entgiftung braucht, kommt da schon eine Summe zusammen.“
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