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Landeshauptstadt: Er lässt die Toten leben

Tierpräparator Christian Blumenstein ist mit seiner Hausspitzmauskarawane Weltmeister geworden

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Maul am Hinterteil verfolgt der junge Spitzmausnachwuchs die Mutter im Entengang. Eng aneinander gekuschelt, festgebissen im Schwanz oder im Fell des Vordermanns tapst die graubraune Karawane auf ihren winzigen Mäusekrallen über das Dielenbrett im Potsdamer Naturkundemuseum. Die Szenerie ist voller Leben – und doch hat sie alles Leben längst verlassen. Die Mäuse sind erstarrt. Nur wenn Beobachter zu nah an sie herankommen, beginnen sich die millimeterdünnen Schnurrbarthaare der Tiere im Atemhauch zu bewegen. Das Präparat ist Christian Blumensteins Weltmeisterstück.

Potsdams Tierpräparator vom städtischen Naturkundemuseum ist nach 2008 zum zweiten Mal Weltmeister geworden. In Salzburg setzte sich der 43-Jährige in der Kategorie Kleinsäuger durch. Von 100 möglichen Punkten räumte der Potsdamer 95 ab. Selten wird das erreicht. Am Freitag präsentierte er seine insgesamt zehn Meisterwerke der Presse – vom ängstlichen Waldkauz, über den neugierigen Siebenschläfer, einer frierenden Rohrdommel bis zu den Spitzmäusen.

„Sie beißen sich fest, keiner will verlorengehen“, sagt Blumenstein. Schon vor zehn Jahren hatte er die Idee für die Karawane. Aber: Präparatoren töten keine Tiere. Nur durch ein Zufall wurde das Mäusenest mit den Jungen vor drei Jahren in einem Kompost gefunden. Die Mutter fehlte, die Tiere waren erfroren, sagt Blumenstein. Drei Jahre lang stand der Mäusenachwuchs in seiner Werkstatt, bis sich endlich eine Leihmutter fand.

Museumschef Detlef Knuth ist begeistert von der Arbeit seines Präparators. „Er hat es mit den Mäusen“, sagt Knuth. Die Karawane sei wohl die größte Herausforderung, die Blumenstein zu bestehen hatte. Seit 1985 ist er angestellt. „Er hat es zur Perfektion gebracht“, sagt Knuth. Er habe das Präparatorenhandwerk mit Wissen um Biologie, Zoologie, Physik und Kunst vereint. „Eine Weltmeisterschaftsjury ist außerordentlich genau.“ Nur eine kleine trockene Stelle am Präparat, zum Beispiel unter einem Auge, gebe Punktabzüge, sagt Knuth.

Damit Blumensteins Präparate möglichst naturgetreu aussehen, bedient er sich einer Technik, die auch Plastinator Gunther von Hagen für seine Körperweltenausstellung nutzt. Die toten Tiere werden vor der Behandlung zunächst mit dem Gift Formaldehyd fixiert. Unter Vakuum werden sie dann in eine Art flüssigen Kunststoff getaucht, der auch in Handcremes zu finden ist. Die Chemikalie ersetzt das in den Zellen der Tiere vorhandene Wasser und wird fest. Das klingt einfach, ist es aber nicht, sagt Blumenstein. Das Verfahren wende er nur bei kleinen Tieren an. Vögel oder größere Präparate werden gehäutet und anschließend über einen geschnitzten Plastikkörper gezogen. „Ausstopfen gibt es bei uns schon lange nicht mehr“, sagt Blumenstein.

Gemeinsam mit seinem Opa jagte der Potsdamer schon als Kind Schmetterlinge. Später zog er Raupen auf, legte sich Aquarien und Terrarien an. „Der Präparator liebt das Leben“, sagt Blumenstein. Viele der Tiere habe er wieder ausgesetzt. Seine tote Echse trocknete er, es war eines seiner ersten Präparate.

Heute kann sich Blumenstein auf ein Netz aus Informanten und Sammelstellen verlassen, um an neue Tiere zu kommen. Wanderer, Jäger, Radfahrer melden sich bei ihm oder geben die Tiere in Naturschutzparks ab. Dort werden sie in Wasser gefroren, um frisch zu bleiben. Blumenstein muss zum Teil Jahre auf passende Präparate warten. Seit fünf Jahren sammelt er für eine Storchenausstellung, die alle 19 Arten umfassen soll. „Man muss Geduld haben, aber es kommt der Tag.“ So war es schon bei der Mäusekarawane.

Erstmalig und vorerst einmalig werden am 20. Mai Blumensteins Weltmeisterstücke und die eines Berliner und Magdeburger Kollegen ausgestellt.

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