Links und rechts der Langen Brücke: Erdrückend
Henri Kramer über den Prozess um den „Tram-Überfall“, bei dem Aggression und Hass auf Andersdenkende zusammen kamen
Stand:
Es ist kein normaler Doppel-Prozess um eine Schlägerei zwischen Jugendlichen, der vor dem Landgericht Potsdam kurz vor seinem Abschluss steht. Vor der Jugend- und Erwachsenenkammer wird eine Straftat behandelt, bei der blindwütige Aggression und politischer Hass auf Andersdenkende zusammen kamen. Denn warum wurden ein bekannter Linker und sein unpolitischer Freund in der Nacht zum 3. Juli des vergangenen Jahres mitten in Potsdam blutig geprügelt? Weil Neonazis, die gerade von einer Feier kamen, den Linken von der fahrenden Straßenbahn aus als Feind erkannten. Bewusst wurde die Notbremse gezogen, bewusst rannten die Gewalttäter auf die beiden jungen Männer zu, bewusst schlugen sie los. In ihrer blinden Wut erwischten sie den Kumpel der „Zecke“ Tamás B. so sehr, dass er jetzt noch Angstzustände hat. Narben in seinem Gesicht werden ihn für immer an den Überfall erinnern.
Angeklagte sollten nie vorverurteilt werden. Doch in diesem Fall sind die Indizien und Beweise erdrückend. Warum sollte einer wie der einschlägig bekannte Oliver K. erst die Notbremse ziehen, dann aber einfach vom Tatort weggehen? Viele der mutmaßlichen Täter besitzen zudem lange Vorstrafenregister. Körperverletzung, Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, Landfriedensbruch. Gegen einige Beschuldigte laufen noch andere Verfahren und Ermittlungen wegen weiteren Straftaten im Sommer des vergangenen Jahres. Von Mitte Mai bis Anfang Juli 2005 kam es in Potsdam nahezu jeden Tag zu Übergriffen aus der rechten Szene. Etwa bei der Babelsberger Livenacht im Mai oder nach einem antirassistischen Fußballfest im Juni. Immer wieder tauchen auf der Liste der Verdächtigen Namen von einigen Angeklagten auf, die nun wegen des Tram-Überfalls auf ihr Urteil warten. Hass auf Andersdenkende ist der Antrieb solcher Menschen, Gewalt gegen den politischen Gegner gilt als legitim. Sollte das Gericht ihre Schuld feststellen, wird ein Strafmaß gefunden werden müssen. Dabei ist eine Frage entscheidend: Helfen pädagogische Maßregeln wie eine Strafe auf Bewährung, wenn das Weltbild, nach dem mit solchen Taten Volk und Vaterland ein Gefallen getan wird, dermaßen fest verankert ist?
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