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Landeshauptstadt: Erinnerungen im Widerstreit

Orte des Gedenkens an politische Gewalt als Thema im Stadt Forum Potsdam

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In Potsdams Gedenkstättenlandschaft ist die Zeit des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen unterrepräsentiert. Diesen Eindruck vermittelte die Sitzung des Stadt Forums, die am Donnerstagabend im Alten Rathaus zum Thema „Politische Gewalt im 20. Jahrhundert – Orte des Gedenkens in Potsdam“ stattfand. Die Historikerin Ines Reich wies auf das Dornröschen-Dasein der in der ehemaligen Kaserne des Infanterieregiments (IR) 9, also am authentischen Ort, untergebrachten Dauerausstellung „Potsdam und der 20. Juli 1944“ hin. Mit kümmerlichen Öffnungszeiten, mangelhafter personeller Ausstattung, ohne Veranstaltungen und Schülerprojekte und mit völlig fehlendem Marketing erreicht sie jährlich die jämmerliche Zahl von 250 Interessenten. Reich forderte, eine Aufwertung der Gedenkstätte in das neue Konzept für das Potsdam-Museums einzubeziehen. Wie vorgesehen im Stadthaus eine Möglichkeit für die Ehrung der Widerständler des 20. Juli zu schaffen, von denen allein 20 im IR 9 dienten, erübrige sich dann.

In der Lindenstraße 54/55 wurde dagegen ein intensiveres Eingehen auf die Nazizeit in Angriff genommen, erklärte Claus Peter Ladner als Vorsitzender des Fördervereins. Zu den bereits bestehenden Ausstellungen über die Nutzung des barocken Stadtkommandantenhauses als KGB- und Stasi-Untersuchungsgericht soll nun auch die Rolle als nationalsozialistisches Erbgesundheitsgericht und für den berüchtigten Volksgerichtshof dargestellt werden. Dazu sei der Rückbau des Gerichtssaales und die Einbeziehung weiterer Räume in die Gedenkstätte erforderlich, betonte Ladner. Bildungsbeigeordnete Gabriele Fischer, die zuvor die stalinistischen Verbrechen beschönigend als „Nachkriegsunrecht“ bezeichnet hatte, sagte die Unterstützung der Stadt zu. So soll 2008 eine Gedenkstätten-Koordinatorin eingestellt werden. Die Lindenstraße 54/55, in der sich mehrere Phasen politischer Gewalt spiegeln, nimmt in der Potsdamer Erinnerungslandschaft einen zentralen Platz ein. Immerhin 12 000 Besucher, dazu 2000 Schüler der Projektwerkstatt, zählt sie jährlich.

Zu einem wichtigen Ort, in dem Geschichte der NS-Zeit aufgearbeitet wird, könnte auch eine wiederaufgebaute Garnisonkirche werden, erklärte Hans-Peter Bauer als Vorsitzender der Fördergesellschaft. Von einem Zuhörer beschimpft, er nähere sich im Wiederaufbaubestreben „Max Klaar und seinen rechtsextremen Konsorten“ an, verströmte Bauer allerdings keineswegs Optimismus. Die Gründung der Stiftung, die den Aufbau in die Hand nehmen soll, verzögert sich um ein weiteres Jahr auf 2008.

Ein kritische, aber letztendlich positive Bilanz zog Wolfgang Weißleder zum Gedenken an die Potsdamer Opfer des Holocaust. Der Jüdische Friedhof, der die Nazizeit überstand, ist heute als einziger im Land Brandenburg wieder Beisetzungsstätte. Die historischen Führungen fänden immer stärkeres Interesse. Als wichtigen Grund sieht Weißleder, dass mit dem Zuzug aus Osteuropa neues jüdisches Leben in Potsdam aufblüht.

Die Historikerin Gisela Kurze stellte die Gedenkstätte Ehemaliges KGB-Gefängnis vor, die 2008 in der Leistikowstraße 1 ihre Türen öffnet. In der Aussprache wurde angeregt, einen Gedenkort auch für die ausländischen Zwangsarbeiter zu schaffen und die Potsdamer Außenstelle für die Stasi-Unterlagen als papiernes Gedächtnis an die Verfolgung Andersdenkender in der DDR zu erhalten.

In seinem Einführungsvortrag wies der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, Prof. Martin Sabrow, darauf hin, dass sich in Potsdam die Erinnerungskulturen überlagern und im Widerstreit stehen wie kaum in einer anderen deutschen Stadt. Dies werde auch in der Architektur sichtbar, von erhaltenen Baudenkmalen bis zu Bauten der DDR-Zeit.

Erhart Hohenstein

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