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Der Unfallort. War der Gully am Hauptbahnhof Potsdam genügend abgesichert?

© Andreas Klaer

Tödlicher Gully-Sturz in Potsdam: Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung

Eine 83-jährige Seniorin starb in einem Kanalschacht in der Nähe des Hauptbahnhofes in Potsdam. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft sieht die Sicherheitsvorkehrungen verletzt - und die Stadtwerke verschärfen ihre Regeln.

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Potsdam - Die Tragödie hat Folgen: Nach dem tödlichen Sturz einer Seniorin in einen Gully-Schacht ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. „Es sieht derzeit so aus, als seien Sicherheitsvorschriften verletzt worden“, sagte der Sprecher der Justizbehörde, Nils Delius, am Freitag auf PNN-Anfrage. Nun müssten die Verantwortlichkeiten geklärt werden – also gegen wen sich eine mögliche Anklage genau richten würde. Dazu würden noch Zeugen gehört und die diversen Vorschriften in dem Bereich ausgewertet.

Wie berichtet war eine 83-jährige Potsdamerin am 18. Juni auf einem Gehweg in der Friedrich-Engels-Straße nahe dem Hauptbahnhof mit ihrem Rollator unterwegs gewesen und in den 4,30 Meter tiefen Schacht gestürzt, der wegen Kanalarbeiten offen stand. Sie verstarb noch am Unfallort. Auftraggeber der Arbeiten war die kommunale Energie und Wasser Potsdam (EWP), eine Tochter der Stadtwerke. Das Unternehmen hatte kurz nach dem Unfall mitgeteilt, nach ersten Erkenntnissen seien die Mitarbeiter vor Ort nicht schuld an dem Unfall gewesen. Diese hätten einen Schock erlitten. Eigentlich hatten sie eine Kamera in den Kanal herablassen wollen, um für mögliche Reinigungsarbeiten dessen Zustand zu überprüfen. Gesichert war der offene Gully laut Stadtwerken mit einem Messfahrzeug, vier Absperrkegeln und einem dreieckigen Warnschild.

Experten: Gully am Hauptbahnhof war nicht ausreichend abgesichert

Das sei definitiv nicht ausreichend gewesen, sagte der Potsdamer Strafrechtler Mathias Noll, der die Angehörigen der 83-Jährigen vertritt. Aus seiner Sicht hätte das Loch mit einem Absperrgitter oder einer Abdeckung gesichert sein müssen – „gerade an einer derart belebten Stelle, an der auch ein Radweg vorbeiläuft“. Auch neugierige Kinder hätten in den Schacht fallen können, kritisierte Noll auf Anfrage. Er wolle – neben dem Strafverfahren – auch Schadensersatz- und Schmerzensgeld-Ansprüche gegen die Stadtwerke geltend machen, kündigte der Anwalt an. Die Frau hinterließ einen Mann und hatte zudem drei Kinder.

Gegenüber den PNN hatte bereits Uli Korsch, ein Experte für Baustellenabsicherung, erklärt, der Gully sei „nicht fachgerecht abgesichert“ worden. Solche Abweichungen von Regeln seien aber leider bundesweit üblich, hatte Korsch erklärt, der seit Jahren Behörden zur Baustellensicherung berät und eine Internetseite zu dem Thema betreibt. Etwas anders klingt es bei der städtischen Verkehrsbehörde: Laut dieser galt die Richtlinie für die Sicherung von Arbeitsstellen (RSA). Dort heißt es, bei Arbeiten von kürzerer Dauer auf Geh- und Radwegen seien „Leitkegel oder kleine Leitbaken“ zur Sicherung ausreichend. Speziell zu Gullys heißt es in den RSA-Regeln weiter, dort „können“ mobile Absturzsicherungen eingesetzt werden. Allgemeiner heißt es in der Brandenburgischen Bauordnung, bei Arbeiten, „durch die unbeteiligte Personen gefährdet werden können, ist die Gefahrenzone abzugrenzen oder durch Warnzeichen zu kennzeichnen“. Soweit „erforderlich“, seien Baustellen mit einem Bauzaun abzugrenzen.

Stadtwerke Potsdam reagieren - intern

Die Stadtwerke haben – obwohl sie ihre Mitarbeiter ausdrücklich weiterhin in Schutz nehmen – intern bereits reagiert. Unternehmenssprecherin Silke Baltrusch teilte am Freitag auf PNN-Anfrage mit, nach dem Unfall hätten – auch mit dem Landesamt für Arbeitsschutz – „intensive Gespräche“ zur Auswertung des Vorfalls stattgefunden. In der Folge seien zusätzliche Baustellensicherungen festgelegt worden, die über Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung hinausgingen, wie Baltrusch erklärte. Die neuen Festlegungen würden bereits gelten. Weitere Details nannte sie nicht. Zudem hätten alle Mitarbeiter des Kanalnetzes, die Tätigkeiten im Straßen-, Geh- und Radwegebereich durchführen, an einem zusätzlichen Seminar zur Absicherung von Arbeitsstellen teilgenommen, geleitet von einem Sachverständigen für Arbeitssicherheit. Zudem erklärte Baltrusch ausdrücklich, „dass die vor Ort tätigen Mitarbeiter unverzüglich Hilfe geleistet und Rettungskräfte alarmiert haben“.

Sollte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben und jemand wegen Fahrlässigkeit verurteilt werden, droht laut Gesetz eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. In der Rechtspraxis bleibt es aber häufig bei Bewährungsstrafen.

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