Etwas HELLA: Erst schocken, dann putzen
Windböen und Regenguss haben vor einigen Tagen so manches durcheinandergewirbelt. Doch die Stadtwerke reagierten sofort.
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Windböen und Regenguss haben vor einigen Tagen so manches durcheinandergewirbelt. Doch die Stadtwerke reagierten sofort. Die Straßen wurden besichtigt, abgebrochene große Äste beiseite geräumt, schwerere Schäden beseitigt. Denn Potsdam ist eine saubere, gepflegte Stadt. Dass Zweige und Dreck liegengeblieben sind und Schwemmsand noch immer die Wege bedeckt, ist nicht etwa schlampig oder gar fahrlässig, sondern hat eine erzieherische Funktion. Als Schocktherapie sozusagen. Denn wer eine blitzblanke Stadt anstrebt, muss sich erst einmal vor Augen führen, wie übel eine dreckige aussieht. Zur Schocktherapie gehören offenbar auch überquellende Papierkörbe zum Beispiel an geduldeten Badestellen des Heiligen Sees oder die Dreckhaufen vor meiner Haustür. Papiertüten und Plasteverpackungen zieren Fußweg und Vorgärten und Kippen gehen da zu Boden, wo die Zigarette zu Ende geraucht wurde. Dass wir vor der eigenen Türe kehren, ist eigentlich kontraproduktiv. Es nimmt den Verfechtern der gerade angelaufenen Sauberkeitskampagne womöglich den Wind aus den Segeln. Ein Schock muss tief sitzen, damit sich etwas ändert. Da können Sie jeden guten Therapeuten fragen.
Wir könnten es allerdings auch mit dem Wiener Beispiel versuchen. Dort werden seit acht Jahren Waste Watcher eingesetzt, die Dreckspatzen aufs Korn nehmen. 50 Müllpolizisten sind da im Einsatz. Und sie erfreuen sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit. 5473 Strafen gegen Ordnungssünder wurden 2016 verhängt – fast 1000 mehr als 2015. Das achtlose Wegschnippen einer Kippe kostet zum Beispiel 36 Euro. Der erhobene Zeigefinger habe einfach nicht gefruchtet. Man habe hart durchgreifen müssen, heißt es aus der Wiener Verwaltung. Dadurch kommen etwa 250 000 Euro im Jahr zusammen, für die neue Mülleimer und Hundekotbeutel-Spender gekauft werden. Vielleicht wurde auch die Stadtreinigung aufgestockt. Wien gilt inzwischen als eine der saubersten Städte weltweit.
Aber würde so etwas in Potsdam nicht zu einer Erschütterung führen? Potsdam plötzlich blitzsauber. Beängstigend. Deshalb sollte man vielleicht erst mal eine repräsentative Umfrage starten. Nein, nicht zur Sauberkeit. Die wollen doch alle. Sondern: Wie lässt sie sich am wirksamsten erreichen? Das Ordnungsamt kann nicht überall zugleich sein, zumal es mit absurden Bußgeldbescheiden hin und wieder für Schlagzeilen sorgen muss.
Gegen Geldstrafen, die wehtun, gibt es garantiert eine Menge Einwände. Vor allem von denen, die zahlen sollen. Und ein erhobener Zeigefinger geht gar nicht. Das ist oberlehrerhaft. Denn eigentlich sind wir doch alle nette Menschen. Und im Grunde unseres Herzens Sauberkeitsfanatiker. Von den Dreckecken in der Stadt und dem Gehweg vor meiner Haustür mal abgesehen.
Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam
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