
© Andreas Klaer
PNN-Serie zu Flüchtlingshelfern in Potsdam: Erster Anschub
„Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt“, sagt Bundespräsident Joachim Gauck über die Helfer, die sich in diesen Tagen für Flüchtlinge einsetzen. Auch in Potsdam geben viele Freiwillige ihr Bestes. Wir stellen jede Woche ein Beispiel vor. Heute: Julie Müller.
Stand:
Mein Mann und ich engagieren uns schon seit zehn Jahren für die Ärmsten der Armen im Kongo. Doch als die vielen Zufluchtsuchenden nach Deutschland kamen, war uns klar, man muss auch vor der eigenen Haustür helfen. So war ich über die evangelische Flüchtlingshilfe Nord, die vor allem in der Unterkunft in der David-Gilly-Straße bei uns um die Ecke tätig ist, von Anfang an dabei. Zunächst wurde ich gebeten, mich um die Einschulung eines albanischen Jungen zu kümmern – eigentlich ging es zunächst nur um eine Schultüte. Doch dann stellte sich heraus, dass alles Mögliche fehlte. Letztlich habe ich die ganze Familie unterstützt, also auch den größeren Bruder und die Mutter. Als die Familie zurückgeführt wurde, sind ein paar Tränen geflossen, denn es hatte sich eine zarte Freundschaft entwickelt. Kurz vorher hatte sich bereits die nächste Aufgabe angebahnt: Eine Frau aus Syrien, Mutter von vier Kindern, bat mich um Unterstützung. Ich habe bei der Einschulung ihres damals siebenjährigen Kindes und bei der Kita-Eingewöhnung der drei und fünf Jahre alten Geschwister geholfen.
Den Eltern ist es wichtig, dass die Kinder schnell Deutsch lernen. Die Mutter selbst kommt jetzt mit ihrem Baby jeden Vormittag zu mir zum Deutschlernen. Sie kann keinen Kurs besuchen, weil sie mit den Kindern derart beschäftigt ist. Außerdem ist ihr Mann krank und oft im Krankenhaus. Wir gehen nach den offiziellen Büchern vor, auch die lateinischen Buchstaben haben wir quasi nochmal neu gelernt. Sie konnte zwar schreiben, führte den Stift aber anders als wir es in der Schule lernen. Wegen der Kinder habe ich darauf bestanden, dass sie es richtig lernt, und mittlerweile klappt es ganz gut. Am Nachmittag kommt die inzwischen Sechsjährige zum Deutschlernen und Üben und manchmal mache ich auch etwas mit dem ältesten Sohn alleine, er ist jetzt acht. Wir waren zum Beispiel im Zirkus oder zum Ponyreiten. Freitags begleite ich ihn im Unterricht in der Willkommensklasse, er braucht viel Unterstützung. Auch mein Mann engagiert sich sehr. Er kümmert sich hauptsächlich um einen jungen Syrer, aber auch die anderen Männer. Manchmal müssen wir uns gegenseitig daran erinnern, mal eine Pause zu machen und uns rauszunehmen. Aber ich denke, diese Hilfe für die Ankömmlinge ist wichtig. Wenn die Menschen nicht jetzt den richtigen Anschub bekommen, bedeutet das für die Gesellschaft später viel größere Anstrengungen.
Wir bekommen aber auch viel Unterstützung, sonst würde das gar nicht gehen. Viele hier in der Nachbarschaft kümmern sich, und auch unsere Bekannten spenden öfter etwas. Eines der schönsten Erlebnisse hatte ich in der Potsdamer Innenstadt. Ich war dort mit der syrischen Mutter unterwegs und als wir uns verabschiedeten, haben wir uns umarmt. Da kam ein fremder junger Mann auf uns zu und hat sich bei mir bedankt, dass ich mich um die Frau kümmere. Das hat mich wirklich sehr berührt. Aber der größte Lohn sind natürlich die Kinder. Sie machen so tolle Fortschritte. Und jedes Mal, wenn sie mich sehen, gibt es ein Wettrennen, wer mich zuerst umarmt.
Julie Müller, 58, betreut unter anderem eine sechsköpfige syrische Familie.
Sind Sie auch in der Flüchtlingshilfe aktiv oder kennen Sie jemanden, den wir hier vorstellen sollten? Schicken Sie uns eine E-Mail an potsdam@pnn.de.
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