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Landeshauptstadt: Erstmal durchatmen

Die Potsdamer Diamantweg-Buddhisten versuchen, mit Meditation ihren Alltag zu beeinflussen. Dass sie sich in einer Wohnküche treffen, stört sie kaum

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Lesen Sie am Freitag, dem 7. April: Evangelische Gemeinde Groß Glienicke

Eine Kirche ist das hier nicht, auch Gotteshaus wäre der falsche Ausdruck. Sogar Gemeinderaum ist eigentlich zu viel gesagt – streng genommen handelt es sich um eine Wohnküche. Doch durch den Paravent, der die Kochzeile vom Rest abtrennt, durch die in warmem Gelb bemalte Wand und die dicken Matten auf dem Boden kommt auch hier ein wenig Spiritualität auf. Seit die Potsdamer Diamantweg-Buddhisten vor rund einem Jahr aus ihren Räumen in der Hermann-Elflein-Straße ausziehen mussten, kommen sie in diesem Provisorium zusammen, einer Privatwohnung im Hinterhof der Lindenstraße 12. Doch die vier Mitglieder, die heute Abend hier meditieren, scheint das nicht zu stören.

Drei von ihnen hocken dabei auf runden Sitzkissen, halb auf den Matten kniend, nur eine der beiden anwesenden Frauen hat sich auf einem normalen Stuhl niedergelassen. Sie alle haben sich zu der gelben Wand gerichtet, an der mehrere Bilder hängen. Darunter, auf einem niedrigen Möbelstück, sitzt eine etwa fußhohe, vergoldete Buddha-Figur. Bülent Gödgün, einer der vier Meditierenden, liest zunächst einige Minuten etwas vor, als Einstimmung. Er und die anderen drei bewegen sich kaum, ihre Körperhaltung strahlt eine Mischung aus Entspannung und Aufmerksamkeit aus. Außer Bülent Gödgün und der Mittvierzigerin auf dem Stuhl meditieren heute noch Bülent Gödgüns Frau Margareta und ein junger, breitschultriger Mann mit.

Den Worten von Bülent Gödgün zu folgen, ist für einen Laien gar nicht so einfach. Es geht um Licht, das durch den Körper fließt, das sich rot und blau und weiß färbt, es geht um Atem und um Geist. Die anderen scheinen den Text gut zu kennen, denn an den richtigen Stellen sprechen sie einzelne Silben mit: Om, Ah, Hung.

„Die Meditation ist für uns wie ein Labor“, hat Gödgün zuvor erklärt. „Wir versuchen darin herauszufinden, was in uns passiert.“ Einmal die Woche kommen er und die anderen hier in der Wohnung zusammen und meditieren – weil einige verreist sind, ist die Gruppe heute besonders klein. Angemietet haben die Wohnung Bülent Gödgün und seine Frau Margareta – eigentlich, um einen Ort zum Arbeiten zu haben. Doch weil der Mietvertrag in der Hermann-Elflein-Straße auslief und noch kein Ersatz gefunden wurde, wird die Arbeitswohnung eben jeden Mittwochabend ein buddhistischer Meditationsraum.

Offiziell handelt es sich bei den Diamantweg-Buddhisten in Potsdam um einen Verein, nicht um eine Religionsgemeinschaft (siehe Kasten). Etwa 15 zahlende Mitglieder hat dieser in Potsdam zurzeit, aber auch ein paar Nicht-Mitglieder gibt es, die immer mal wieder am Mittwochabend dabei sind. „Jeder kann hier kommen und gehen“, sagt Bülent Gödgün. Und man glaubt ihm das aufs Wort.

Der 47-Jährige macht es Fremden leicht, sich hier willkommen zu fühlen, bietet ayurvedischen Tee an, verweist auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten und erklärt geduldig und in einfachen Worten, worum es geht. Dass die buddhistischen Lehren für Unkundige teils etwas seltsam klingen, ist ihm offenbar durchaus bewusst. „Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen esoterisch“, dieser Satz fällt oft.

Den Diamantweg-Buddhismus, den er und seine „Freunde“, wie Gödgün die anderen Mitglieder nennt, verfolgen, gibt es in Deutschland seit den 1970er-Jahren. Der Däne Ole Nydahl hat die Lehren der Karma-Kagyü-Schule in Tibet gelernt und sozusagen auf die westliche Welt übertragen. Die Grundidee der Schule ist, grob gesagt, dass alle Menschen das Potenzial dazu haben, weise, glücklich und mitfühlend zu sein. Doch dieser innere „Diamant“ ist mehr oder weniger durch negative Emotionen und steife Vorstellungen verschmutzt und kann durch Meditation gereinigt werden.

Ole Nydahl hat den Diamantweg- Buddhismus im Auftrag des 16. Karmapa, einem tibetischen Buddhisten, verbreitet, heißt es. Karmapa ist das Oberhaupt der Karma-Kagyü-Schule, analog etwa zum Dalai Lama in der Gelug-Schule.

Der 16. Karmapa, der 1981 verstorben ist, ist auch eine der Personen auf den Bildern an der gelben Wand, vor der die Potsdamer Gruppe zusammenkommt. Daneben ist ein Foto seines Nachfolgers, des 17. Karmapa zu sehen, auf der anderen Seite lächelt Ole Nydahl mit kurzgeschorenen, weißen Haaren in den Raum.

Diamantweg-Buddhisten meditieren „auf“ einen Lehrer, wie Gödgün erklärt – deshalb haben sich er und die anderen den drei Bildern zugewandt. Jetzt, im zweiten Teil der Meditation, wirkt die Zeremonie für Außenstehende tatsächlich etwas esoterisch. Die vier sprechen immer wieder zwei Worte vor sich hin, „Karmapa Tschenno“, was so viel heißt wie „Tatkraft aller Buddhas, wirke durch mich“. „Karmapa Tschenno, Karmapa Tschenno, Karmapa Tschenno“, immer schneller, immer leiser tönen die Wörter durch den Raum, bis nur noch ein an- und abschwellendes Murmeln zu hören ist. Viele Minuten lang sagen die vier das Mantra auf, scheinen gänzlich in sich versunken. Zum Abschluss singen sie gemeinsam ein Lied, diesmal darf abgelesen werden, schließlich ist der Text auf Tibetisch. „Om ma da nö tschü tong par dschang“, lautet die erste Zeile.

„Die Meditation verringert den Abstand zwischen Aktion und Reaktion“, erklärt Margareta Gödgün anschließend. Sie helfe dabei, zum Beispiel in schwierigen Situationen erst einmal einen Schritt zurückzugehen, innezuhalten. „An meinem Mann kann ich das ganz wunderbar beobachten, in ganz alltäglichen Situationen in der Familie“, sagt sie und blickt ihn stolz an. „Ich versuche, jeden Tag zu meditieren, aber ich schaffe es nur etwa viermal die Woche“, sagt der etwas verlegen. Das gemeinsame Meditieren am Mittwochabend ist den beiden besonders wichtig. „Alleine ist es einfach, sich heilig zu fühlen“, sagt er. „Aber erst in der Gruppe merkst du, wo du wirklich stehst.“

Bülent Gödgün ist in Istanbul geboren und aufgewachsen. Mit 19 kam er zum Studium nach Deutschland, heute ist er Dozent an einer Berliner Wirtschaftshochschule. Seine Frau, eine Deutsche, betreibt eine Art spirituellen Seminarraum in Potsdam, gemeinsam haben sie zwei Kinder. Während des Studiums bekam Bülent Gödgün zum ersten Mal Bücher über Buddhismus in die Hände und konnte sofort damit etwas anfangen. „Für mich waren das überzeugende Antworten“, sagt er. „Religion ist wie Medizin, für jeden ist eine andere passend.“ Bis er sich der Weltanschauung Buddhismus – dieses Wort finden viele Buddhisten passender als Religion – aktiv zuwandte, vergingen noch ein paar Jahre. Vor allem ein Vortrag von Ole Nydahl war es dann, der ihn mitriss, erinnert sich Bülent Gödgün.

Auch der junge Mann mit den beeindruckenden Schultern hat es nach der etwa halbstündigen Meditation nicht eilig, wieder zu verschwinden. Bei ihm sei es ein Freund gewesen, der ihn auf die Diamantweg-Buddhisten brachte, erzählt der 19-jährige Erik Walther, der eine Karriere als Profisportler anstrebt – bis vor Kurzem als Gewichtheber, jetzt als Bob-Fahrer. Am Anfang habe er bei den Meditationen nicht viel verstanden, gibt er zu. „Aber mit der Zeit kommt man rein.“ Auch er findet, dass das Meditieren im Alltag hilft, vor allem in unangenehmen Situationen. „Man lernt, erstmal durchzuatmen“, sagt er.

Text: Katharina Wiechers Fotos: Andreas Klaer

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