Homepage: „Es fehlte an Demokraten“
Prof. Julius H. Schoeps über den „Tag von Potsdam“ / Konferenz im Moses Mendelssohn Zentrum
Stand:
Herr Prof. Schoeps, haben Sie 75 Jahre nach dem „Tag von Potsdam“ eine neue Sicht auf das Ereignis gewonnen?
Schon kritische Zeitgenossen haben den „Tag von Potsdam“ als den öffentlich inszenierten Schulterschluss großer Teile der alten Eliten mit den neuen Machthabern wahrgenommen. Das waren leider auch gerade die gesellschaftlichen Kreise, die die Tradition Preußens verkörperten. Dadurch wurde Hitler auch innerhalb des Adels und im Bürgertum, wo vorher noch da und dort eine gewisse Skepsis gegenüber der NSDAP und der randalierenden SA bestanden hatte, zu einer akzeptablen Person.
Waren es denn nun die Nazis, die an diesem Tage die Nationalkonservativen verführten, oder ließen diese sich vielmehr willig verführen?
Verführt worden sind eher die Massen, die auf Hitler setzten und dafür letztlich mit Krieg und Vertreibung belohnt worden sind. Die Konservativen, die Deutschnationalen erhofften sich ja mehr: Sie wollten ihre ökonomische Macht sichern und ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss erweitern. Historisch gesehen, sind die Deutschnationalen die Verlierer. Hitler hat es schnell geschafft, das ihn tragende Spektrum zu paralysieren und die eigene Macht zügig auszubauen. Allerdings – auch das ist eine Wahrheit – gelang es der NSDAP ja durchaus die breite Masse der vorherigen Stahlhelm DNVP-Angehörigen, aber beispielsweise auch viele Zentrumsleute zu integrieren. Neben der Verführung spielte auch der Terror eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denken Sie nur daran, dass beispielsweise am selben 21. März die SA in Oranienburg und Umgebung zahlreiche Hitlergegner verschleppte und am 22. März 1933 das berüchtigte KZ Oranienburg eröffnet wurde.
Was sagt uns der Tag über die Mitverantwortung der deutschen Gesellschaft am Nationalsozialismus? Wie groß war die gesellschaftliche Bereitschaft, die „dynamische Bemächtigung“ (Sabrow) des NS anzunehmen bzw. sogar noch zu verstärken?
Nun, der „Tag von Potsdam“ markiert ja eine schon gelaufene Entwicklung: Das Anwachsen der nationalsozialistischen Partei von der Splittergruppe zur Massenbewegung und die kampflose Aufgabe der Republik. Das Ermächtigungsgesetz war dann nur noch der formale Abschluss einer Entwicklung, die weit vor dem Jahr 1933 begann. Hier trugen weite Kreise der Bevölkerung – über die gesellschaftlichen Eliten hinaus – ihren Teil bei. Der Weimarer Republik fehlte es vor allem an Demokraten, leider auch in den staatlichen Institutionen selbst.
Hitler musste in Potsdam auf Geheiß von Papen in zivil erscheinen. Manch ein Historiker sagt, dass es nicht Hitlers Tag war, sondern vielmehr Hindenburg an diesem Tage die Fahne hoch hielt. Er habe im Mittelpunkt gestanden. Auch wenn dies nach dem Ermächtigungsgesetz zwei Tage später wieder hinfällig war.
Hitler war kein so ungeschickter Politiker: Zu diesem Zeitpunkt brauchte er die Unterstützung und das große Renommee Hindenburgs. Er musste die Kirchen und das Militär ruhig halten und einbinden. Das ist Hitler auch mit dem Tag von Potsdam und einem eher bescheidenen Auftreten dort gelungen.
Das Straßenbild soll an diesem 21. März 1933 in Potsdam stärker von schwarzweißen und schwarzweißroten Fahnen geprägt gewesen sein als von Hakenkreuzen. Wird die Inszenierung dieses Tages durch die Nazis überbewertet? Ist der Tag Propagandainszenierung oder Ausdruck des Bündnischarakters nationalsozialistischere Herrschaft?
Schwarz-weiß-rot war die einigende Farbenkombination der gesamten antidemokratischen Rechten in Weimar, egal ob sie sich die Monarchie zurückwünschten oder ein nationalrevolutionäres, faschistisches oder nationalsozialistisches „Drittes Reich“ herbeisehnten. Übrigens greift auch die aktuelle extreme Rechte, die NPD eingeschlossen, wieder verstärkt auf diese Farbenkombination zurück. Ob der „Tag von Potsdam“ nur Propagandainszenierung war oder vor allem den Bündnischarakter der nationalsozialistischen Herrschaft symbolisiert, das wollen wir gerade auf unserer Konferenz in der Abschlussrunde diskutieren. Zuvor wird in rund 10 Vorträgen vielen Aspekten und Einzelfällen nachgegangen, die diese Frage berühren.
Hindenburg erhob sein Veto gegen politische Verhandlungen in einem Gotteshaus. Welche Rolle spielte die Garnisonkirche?
Sie war zunächst der Ort, der die Verbindung von preußischem Militär und der protestantischen Kirche symbolisiert. Insofern war die Einbindung der Garnisonkirche von großem symbolischen Wert. Mein Lehrstuhlnachfolger an der Universität, der Kollege Professor Brechenmacher, wird auf unserer Konferenz explizit zur Rolle der evangelischen Kirche und ihres Generalsuperintendenten Otto Dibelius sprechen.
Zur Erinnerungskultur: Wie sollte Potsdam heute mit dem Tag und dem Ort – Garnisonkirche – umgehen?
Wenn es hier in Potsdam und dort gerade in der Bevölkerung ein großes Bedürfnis gibt, die Kirche in ihrer historischen Form wieder aufzubauen, kann das kaum verwerflich sein. Allerdings sollte mindestens mit einer Ausstellung auf die unsägliche Tradition, für die die Garnisonkirche eben auch steht, hingewiesen werden. Noch besser wäre es, hier würde eine evangelische Akademie oder ein ähnlicher Lernort entstehen, von wo aus durch kulturelle und Bildungsveranstaltungen unsere Demokratie aktiv gestärkt werden würde.
Die Fragen stellte Jan Kixmüller
Julius H. Schoeps ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam und emeritierter Professor für Neuere Geschichte.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: