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ZUR PERSON: „Es gab auch Zeiten der Mutlosigkeit“

Prof. Wolfgang Loschelder über elf Jahre als Rektor der Universität Potsdam, die Wendezeit und Perspektiven Potsdams

Stand:

Herr Professor Loschelder, 16 Jahre an der Universität Potsdam, mehr als elf davon als Rektor: Was war ihr schönstes Erlebnis in dieser Zeit?

Zu den ganz großen Ereignissen zählt die Ordination der ersten drei an der Universität ausgebildeten Rabbiner im vergangenen Jahr in Dresden. Es war das erste Mal, dass seit 1942 in Deutschland wieder Rabbiner ordiniert wurden. Wir können nicht gutmachen, was geschehen ist. Aber wir können dazu beitragen, dass die wichtige Rolle, die die Juden einst in Deutschland gespielt haben, wieder aufgenommen wird.

Sie haben sich für die Religionen an der Universität immer stark gemacht.

Neben den Jüdischen Studien gibt es Institute für katholisches und evangelisches Kirchenrecht, mittlerweile auch eins für Kirchliches Urheberrecht und Kirchenmusik, das Abraham Geiger Kolleg, die Jüdischen Studien und die Professur Religionswissenschaft/Christentum nicht zu vergessen. Solch ein Ensemble findet man in Deutschland sonst nicht.

Spielt Ihr christlicher Hintergrund bei den Gründungen eine Rolle?

Zweifellos. Aber ich bin kein Missionar. Es geht darum, dass in einem Land, in dem nur 20 Prozent der Menschen getauft sind, nach über zwei Generationen ein Kulturriss eingetreten ist. Ein Beispiel: Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurden in der Kunst vor allem biblische und antike Stoffe verarbeitet. Wenn man heute mit jungen Menschen durch die Museen geht, können die sich meist die biblischen Inhalte der Kunst nicht mehr erklären. Insofern macht es sicher Sinn, diese Inhalte wieder verstärkt zu lehren, in ganz Deutschland, aber vor allem auch hier im Osten.

Was war das schlimmstes Erlebnis Ihrer Hochschulzeit?

Das war meine Zeit als Prorektor 1994 / 95, als wir anfingen, alle Mitarbeiter auf eventuelle Stasi-Kontakte zu durchleuchten. Die Potsdamer Universität war damals unter starken Beschuss aus Berlin (West) geraten, sie hatte den Ruf einer „roten Uni“. Das Rektorat beschloss darauf hin, alle Mitarbeiter zu überprüfen, gleich ob Ost oder West. Ich war in beiden Kommissionen Vorsitzender, beziehungsweise stellvertretender Vorsitzender. Diese Verfahren haben mich außerordentlich belastet. Es ging ja um menschliche Schicksale, meist waren auch Familien betroffen. Für mich als Westler war es besonders prekär, weil ich Dinge beurteilen musste, die ich nicht aus eigenem biografischen Erleben kannte. Wir haben das, glaube ich, hinreichend sensibel gemacht. Aber es mussten eben auch Leute gehen. Es wurde gerade in diesen Fällen deutlich, dass Schwarz und Weiß im Leben selten sind, man es vielmehr meist mit einer Abstufung von Grautönen zu tun hat. Wie man sich auch entschied, ein schaler Geschmack blieb oft.

Und die Finanznot der Universität ab 1995?

Auch das war sehr unangenehm, aber nicht mit den Belastungen durch die Gauck-Kommissionen zu vergleichen. Die finanzielle Lage hat sich ja inzwischen deutlich stabilisiert, es gibt vor allem Planungssicherheit. Als man uns 1995 eröffnete, wie schwierig die Haushaltssituation war und die Zahl der Professoren nach und nach von 263 auf 190 fiel, da gab es schon Zeiten der Mutlosigkeit. Es ist wirklich schwer zu ertragen, wenn man noch im November nicht weiß, wie viel Geld man eigentlich zur Verfügung hat. Es fehlte in hohem Maße an der Planbarkeit.

Sie kamen im Januar 1991 nach Potsdam

zunächst nur um eine Vorlesung zu halten. Ich kam von der Bochumer Ruhr-Universität, sozusagen der Paten-Universität von Potsdam. Daraus hat sich alles Weitere ergeben. Zwei Jahre später wurde ich Nachfolger des Gründungsdekans, wiederum ein Jahr später Prorektor und im Oktober 1995 Rektor. Die Wendezeit war schon recht abenteuerlich. Ich bin auch – rein westlich sozialisiert, wie ich war – in manche Fettnäpfe getreten. Als ich im Park Babelsberg 1991 zum ersten Mal in den Hörsaal kam, herrschte eine eisige Stimmung. Der damalige Wissenschaftsminister Enderlein hatte den juristischen Studiengang gerade zum zweiten Mal geschlossen. Beim Neuanlauf haben wir dann die Semesterferien durchgelehrt und -studiert, um keine Zeit zu verlieren. Heute treffe ich manchmal ehemalige Studenten, die in den Verwaltungen und bei den Gerichten von Stadt und Land arbeiten.

Gerieten Sie nicht schnell in die Rolle des unliebsamen Aufbauhelfers?

Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass dieses negative Bild auch etwas damit zu tun hatte, wie man sich gab. Viele der Kollegen, die damals hier her gekommen waren, verschwanden abends in West-Berlin. Von Anfang an habe ich gesagt, dass ich hier bleiben und dazu gehören wollte. Mir war neben dem Aufbau der wissenschaftlichen Einrichtung gerade die Zusammenführung von Ost und West wichtig. Damals konnte man sofort sagen, wer aus Ost oder West kam, das ist heute nicht mehr so. Das ist der schönste Erfolg dieser Jahre.

Drei Amtszeiten, gut elf Jahre als Rektor, gab es auch Momente, wo Sie alles hinschmeißen wollten?

An meiner Entscheidung, mit meiner Familie nach Potsdam zu ziehen, bin ich nie irre geworden. Es gab natürlich Momente, in denen ich mir überlegt habe, ob ich mir das alles antun muss. Zum Beispiel die Kontroverse mit dem Studierendausschuss.

Die Studierenden wollten vor zweieinhalb Jahren Ihre Abwahl initiieren.

Was hart für mich war. Nicht die Auseinandersetzung, das gehört zum Geschäft dazu. Bitter aber war, dass teilweise unter der Gürtellinie gekämpft wurde. Etwa mit Plakaten, auf denen ich verunglimpft wurde. Ich wurde beschädigt. Richtig unter die Haut ging es, als meine Familie darunter zu leiden begann. Da war die Gelassenheit dahin. Aber wenn ich damals gegangen wäre, wäre ich fahnenflüchtig geworden – gerade was das Zusammenwachsen von Ost und West anging.

Beim Haushalt der Uni geht es aufwärts. Die Uni Potsdam ist aber bei der Exzellenzinitiative nicht mit dabei. Welche Defizite hinterlassen Sie ihrer Nachfolgerin?

Mindestens zwei Sonderforschungsbereiche müssen wir noch in absehbarer Zeit schaffen. Das Potenzial dazu hat die Universität. Bei dem Exzellenzwettbewerb wurden uns ersichtlich die Kooperationen mit den außeruniversitären Einrichtungen nicht angerechnet. Aber allein bringen wir im Wettbewerb mit Großuniversitäten nicht genug auf die Waage, das ist unser Problem. Natürlich ist nicht alles geglückt, was wir hätten machen wollen und können. Etwa hat, trotz entscheidender Fortschritte, die Lehrerbildung noch viel zu tun, bis sie so exzellent ist, wie sie sein müsste und sein kann.

Und das Gleichgewicht zwischen Natur- und Geisteswissenschaften?

Einer der schwierigsten Punkte. Das kann man nicht fixieren, das muss immer wieder aufs Neue austariert werden. Unsere Naturwissenschaften sind sehr gut und robust. Die verfügen über einen natürlichen Expansionsdrang. Die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften haben es schwer, dagegen anzukommen. Die Naturwissenschaftler sind per se Teamworker, während beispielsweise Juristen und Philosophen meist eher als Einzelkämpfer arbeiten. Zurzeit sind die Bereiche aber relativ ausbalanciert.

Welche Perspektiven sehen Sie für den Wissenschaftsstandort Potsdam?

Das war zunächst ein schwieriges Feld. Die Stadt Potsdam hat erst spät erkannt, was sie an der Wissenschaft hat. Das ist aber nun Vergangenheit. Für die positive Entwicklung spielt die Bewerbung um den Titel „Stadt der Wissenschaft“ eine erhebliche Rolle. Dabei ist den Beteiligten vor Augen geführt worden, in welchem Maße Wissenschaft und Stadt aufeinander zugehen müssen. In den vergangenen zwei Jahren gab es hier den Durchbruch. Die Aktivitäten, die dabei in Gang gesetzt worden sind, müssen auf jeden Fall weitergeführt werden. Das gilt in gleicher Weise für die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft. In dieser Hinsicht hat die Stadt heute eine sehr gute Perspektive.

Und die Perspektive der Universität?

Innerhalb von Potsdam ist die Vernetzung der Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen ausgezeichnet. Aufholbedarf sehe ich aber noch bei der Zusammenarbeit mit den Berliner Einrichtungen. Es war ein sehr langer Weg, die Kontakte zu knüpfen und zu festigen. Anfänglich konnte man durchaus den Eindruck gewinnen, dass man unsere Neugründung für ziemlich überflüssig hielt. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Aber natürlich kann man die Beziehungen noch erheblich verbreitern und intensivieren. Das Verhältnis zu den anderen brandenburgischen Hochschulen ist seit Langem eng und vertrauensvoll. Ich bin mir sicher, dass auch der Generationswechsel bei den Leitungen, der nun in den meisten Häusern ansteht, daran nichts ändern wird.

Vor zwei Jahren erhielten Sie die Päpstliche Auszeichnung „Pro Ecclesia et Pontifice“. Wie kam es dazu?

Man selbst erfährt in einem solchen Fall nichts darüber, wer mit wem gesprochen hat, und auf welchen Wegen dies nach Rom gelangt ist.

Es hatte sicher auch etwas damit zu tun, dass sie nicht nur als Wissenschaftler Engagement gezeigt haben.

Ich habe mich selbstverständlich auch in der katholischen Kirchengemeinde Potsdams engagiert und bin Vertreter der Gemeinde St. Peter und Paul im Aufsichtsrat des St. Josefs-Krankenhauses. Auch bin ich Stadtbeauftragter des Malteserhilfsdienstes und damit insbesondere zuständig für den Jugend Treffpunkt Freizeit. All dies mag mit zu der Auszeichnung beigetragen haben.

Sie wurden in Rom geboren, hat Sie das geprägt?

Schon als Dreijähriger kam ich nach Deutschland. Dennoch hat Italien mich geprägt. Mein Vater war Musikwissenschaftler in Rom. Bei uns zu Hause wurde viel Italienisch gesprochen, vor allem, wenn wir Kinder nichts verstehen sollten. Ich habe meinen Eltern aber nie verraten, dass ich relativ viel verstanden habe.

Von Rom über Bochum nach Potsdam, wohin wird Ihr Weg Sie noch führen?

Ich bleibe hier. Ich werde weiter meine Vorlesung für Lebensmittelrecht an der Universität halten, vielleicht auch sonstige Veranstaltungen anbieten, weiter im Vorstand des Vereins „pro Wissenschaft“ bleiben und mich für die Kirchengemeinde engagieren. Und ich werde forschen und schreiben.

Ein Buch?

Nicht unbedingt ein Buch, vor allem wissenschaftliche Beiträge. Allerdings hat sich in den vergangenen 16 Jahren ein relativ ungeordnetes Archiv angesammelt. Diese Unterlagen werde ich jetzt in Ruhe sichten. Es könnte ja sein, dass sich daraus noch etwas anderes ergibt.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Wolfgang Loschelder wurde am 25. Juli 1940 in Rom geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bonn promovierte und habilitierte er sich dort. 1981 wurde er Professor für Öffentliches Recht an der Ruhr-Universität Bochum. An die Universität Potsdam kam er im Oktober 1991 als Vertretungsprofessor, 1992 erhielt er einen Ruf als Jura-Professor. 1993 bis 1994 war er Dekan der Juristischen Fakultät, von 1994 bis 1995 Prorektor für Entwicklung und Finanzen. Loschelder wurde 1995 zum Rektor der Uni Potsdam gewählt und bekleidete die Position drei Amtszeiten lang bis Ende 2006. Am 18. Januar findet zum Neujahrsempfang der Universität Potsdam die feierliche Amtsübergabe von Professor Wolfgang Loschelder an die neue Präsidentin der Universität, Sabine Kunst, statt. PNN

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