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Homepage: „Es geht um mehr als die Weltmeere“
Der Potsdamer Biologe Sebastian Unger über die bedrohten Ozeane, Millionen Tonnen giftigen Plastikmüll, die drängende Zeit und seine Vorschläge für die Vereinten Nationen
Stand:
Herr Unger, haben Sie Seefisch von Ihrem Speiseplan gestrichen?
Nein, ich esse durchaus noch Fisch. Ich bemühe mich aber, nur nachhaltig gefangenen Fisch zu kaufen, bei dessen Fang auch die Lebensräume im Meer nicht zerstört werden. Es gibt dazu Einkaufsführer und mittlerweile auch Apps der großen Umweltverbände, die aktuell informieren. Auch bei Fisch aus Aquakultur ist zu beachten, dass viele Arten, wie etwa der Lachs, Raubfische sind. Die brauchen tierisches Eiweiß und werden mit Fischmehl von wild gefangenen Fischen gefüttert. Zudem werden in der Aquakultur Chemikalien freigesetzt, die nicht in den ökologischen Kreislauf gehören.
Wie steht es um die Weltmeere?
Ihr Zustand ist mittlerweile kritisch. Mehr als die Hälfte der Weltmeere sind stark vom Menschen beeinträchtigt. Selbst in den größten Tiefen der Ozeane findet man heute Plastikmüll. Dabei geraten die Meere zunehmend unter Druck: Die Weltbevölkerung wird bald neun Milliarden zählen, also noch mehr Menschen, die in Zukunft auf Lebensmittel und andere Ressourcen aus dem Meer angewiesen sind. Das muss aber kein Widerspruch zu nachhaltiger Nutzung sein – im Gegenteil: Nachhaltig genutzte Fischpopulationen können langfristig auch größere Erträge erbringen.
Was charakterisiert die aktuelle Entwicklung der Meere?
In vielen Teilen der Meere wird mittlerweile mehr Fisch gefangen, als natürlich nachwächst. Der Radius der weltweiten Fangflotten hat sich seit den 1950er-Jahren etwa verzehnfacht. Während es damals noch viele weiße Flecken auf den Karten gab, die nicht befischt wurden, sieht das heute ganz anders aus. Auch die Böden der Meere werden durch die Fischerei geschädigt. Besonders kritisch ist das bei unterseeischen Bergen oder Kaltwasser-Korallenriffen, die man unter anderem westlich vor Norwegen und der Britischen Inseln entdeckt hat. Viele dieser Lebensräume sind mittlerweile schon stark geschädigt, ganze Seeberge werden von Schleppnetzen regelrecht abgeräumt. Auch die Schifffahrt hat mit der Globalisierung stark zugenommen und beeinträchtigt die Meere zusätzlich.
Welchen Bedrohungen sind die Meere neben der Überfischung ausgesetzt?
Vor allem dem Klimawandel: Das Wasser wird erwärmt und aufgrund schmelzender Gletscher und Eismassen steigt der Meeresspiegel. Durch steigende Kohlendioxidkonzentration in der Luft versauert das Meer zunehmend. Das hat Konsequenzen für Korallenriffe und alle Meerestiere, die Kalkschalen bilden. Zudem ist die Meeresverschmutzung ein großes Problem. Allein in die Nordsee gelangen durch den Betrieb von Bohrinseln jedes Jahr etwa 10 000 Tonnen Öl. Hinzu kommt der Plastikmüll. Er baut sich nicht ab, reichert sich zunehmend in den Meeren an und findet sich mittlerweile als Mikropartikel in zahlreichen Tierarten. Ein großer Teil der toten Seevögel, die in der Nordsee gefunden werden, hat Plastikmüll im Magen.
Und die Menschen
konsumieren die Umweltgifte aus dem Plastik über die Nahrungskette. Auch in vielen Kosmetikprodukten oder auch Zahnpasta sind bisweilen Mikroplastikpartikel enthalten, die über das Abwasser in die Meere gelangten. Es ist noch offen, was diese weiter anrichten werden.
Es gibt mittlerweile riesige Müllstrudel.
Das ist ein großes Problem, es haben sich mehrere Brennpunkte gebildet – etwa im Pazifik –, in denen mittlerweile nach Schätzungen 100 Millionen Tonnen Kunststoffmüll zirkulieren – mit steigender Tendenz. Letztlich gibt es weltweit keine Bereiche, in denen man keinen Plastikmüll findet.
Warum sind die Meere für uns so wichtig?
Neben der Rolle als Quelle für Nahrung und als wichtiger Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten haben sie durch Ihre Speicherung von Kohlendioxid auch eine große Bedeutung zur Regulierung des Erdklimas. Sie sind auch ein wichtiger Erholungsraum für uns Menschen, viele Ballungsräume liegen an den Küsten ebenso wie wichtige Transportrouten für den Welthandel. Deshalb entwickeln wir am IASS Vorschläge zur Nachhaltigkeit und Governance der Meere – also der Frage, wie ein verantwortungsvoller Umgang von Politik und Gesellschaft mit den Meeren aussehen kann.
Warum ist Ihnen dabei gerade die Hohe See so wichtig?
Diese Gebiete machen fast die Hälfte der Erdoberfläche aus, damit sind sie das größte Gemeingut der Erde. Sie liegen 200 Seemeilen von den Küsten entfernt und damit außerhalb nationaler Souveränität. Durch die steigende Nachfrage nach Ressourcen und eine zunehmende Ausschöpfung der küstennahen Gewässer weitet der Mensch seine Aktionen weiter aus und dringt in immer tiefere und entferntere Meeresgebiete vor. Fischfang, Schifffahrt und bald auch Tiefseebergbau sind Aktivitäten, die zunehmend auf der Hohen See stattfinden. Das geschieht alles ohne internationale Regelungen, die den Schutz und die nachhaltige Nutzung dieser Gebiete sicherstellen.
Sie werden in dieser Woche zu den anstehenden Verhandlungen zum Schutz der Hohen See vor der UN in New York Ihre Forschungsergebnisse vorstellen. Was werden Sie zur Sprache bringen?
Die Gefährdung der Weltmeere wurde als zentrale Herausforderung 2012 auf dem Nachhaltigkeitsgipfel „Rio+20“ erkannt und zu Recht hoch auf die politische Agenda gesetzt. Am IASS haben wir daher konkrete Vorschläge entwickelt, wie der Schutz der Meere verbessert werden kann. Eine Möglichkeit wäre die Schaffung eines neuen Abkommens zum Schutz der Hohen See, das unter dem Dach des bereits bestehenden internationalen Seerechtsübereinkommens geschaffen werden sollte. Uns geht es nun darum, dass in diesen Gebieten international verbindliche Regelungen, wie etwa die Ausweisung von Meeresschutzgebieten, eingeführt werden. Auch schlagen wir vor, Regelungen für Umweltverträglichkeitsprüfungen und für die Nutzung genetischer Ressourcen einzuführen. Genetische Ressourcen, die aus Meeresorganismen gewonnen werden, können für die Entwicklung neuartiger Arzneien oder anderer Industrieanwendungen nutzbar sein. Die Frage ist nun, wem diese Ressourcen auf der Hohen See eigentlich gehören, und was mit den möglichen Einkommen geschieht.
Welche Entwicklung hat das Potsdamer IASS in diesen Fragen angestoßen?
Wir haben gemeinsam mit Partnern und Experten aus Wissenschaft, Politik und von NGOs im vergangenen Jahr dazu einen Prozess gestartet, um zu untersuchen, welche Optionen für ein solches Abkommen bestehen und wie Verhandlungen dafür gestartet werden können. Darüber hinaus haben wir uns intensiv mit der Frage beschäftigt, welche kurzfristigeren Alternativen zu einem neuen rechtlichen Abkommen bestehen. Dies ist wichtig, da es immer schwieriger wird, neue internationale Umweltabkommen zu beschließen. Dies sehen wir zum Beispiel gerade wieder bei den globalen Klimaverhandlungen.
Ihre Folgerung daraus?
Neben einem neuen Abkommen sollten auch Wege gefunden werden, wie die bereits bestehenden Institutionen, beispielsweise solche zur Regelung der Schifffahrt oder Fischerei, besser für den Meeresschutz genutzt werden können. Gute Ansätze gibt es dafür bereits auf regionaler Ebene, hier ist es häufig einfacher, sich zu einigen, wie beispielsweise in Europa, wo bereits erste Hochsee-Schutzgebiete im Nordost-Atlantik ausgewiesen wurden. Diese sollten konsequent weiterentwickelt und auf andere Regionen übertragen werden. Unsere Forschungsergebnisse, die wir gemeinsam mit führenden Meeresschutz-Experten veröffentlich haben, stellen wir nun bei den Verhandlungen zum Schutz der Hohen See der UN vor und diskutieren sie mit den Delegierten.
Es geht um die Rettung der Weltmeere. In welchem Zeitfenster bewegt sich das?
Der Zeitdruck ist sehr groß. Wir wissen, dass ein internationales Abkommen ohne weitere Verzögerung in Angriff genommen werden sollte. Die Entscheidung dafür wird nächstes Jahr fallen müssen. Die konkreten Verhandlungen könnten sich dann aber viele Jahre hinziehen. Diese Zeit haben wir nicht. Daher raten wir dringend, parallel komplementäre Ansätze im Rahmen bestehender Konventionen voll auszuschöpfen und weiterzuentwickeln.
Sind die Weltmeere überhaupt noch zu retten?
Ich bin Optimist. Ich denke, dass wir zu einer nachhaltigen Nutzung der Meere kommen können. Aber es verlangt unser aktives Handeln. Und: Es geht dabei um mehr als die Meere. Hier kann sich zeigen, wie nachhaltige Entwicklung insgesamt machbar ist. Insofern sind die Ozeane auch eine Art Labor, in dem wir demonstrieren können, wie ein Übergang zu Nachhaltigkeit auf globaler Ebene aussehen kann.
Das Gespräch führte Jan Kixmüller
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