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Sport: „Es geht voran“

Dreimal Potsdam, einmal Berlin: Deutschlands WM-Geher kommen alle aus der selben „Ecke“

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Dreimal Potsdam, einmal Berlin: Deutschlands WM-Geher kommen alle aus der selben „Ecke“ Von Klaus Weise Was waren das für Zeiten, als die deutschen Geher – vornehmlich jene mit der Abstammung Ost – bei internationalen Ereignissen abräumten und ein Abo auf Podestplätze hatten. Bei Olympia gewannen sie zwischen 1964 und 1992 viermal Gold, viermal Silber und fünfmal Bronze (West-Beitrag: einmal Gold), bei WM zwischen 1983 und 1991 zwei Titel und je einen zweiten und dritten Platz (West-Beitrag: null), bei EM von 1958 bis 1990 fünf Gold-, sechs Silber- und vier Bronzemedaillen (West-Beitrag: einmal Silber). Wobei alle Erfolge auf das Konto des sogenannten starken Geschlechts gehen, die Frauen – seit 1986 bei EM, 1987 bei WM und 1992 bei Olympia im Geschäft – gingen bislang leer aus. An der genannten Ausbeute hatten Potsdamer Aktive einen erquicklichen Anteil: Peter Frenkel, Ronald Weigel und Bernd Gummeltl. Allerdings drohen die Meriten zu verjähren, werden sie nicht bald einmal aufgefrischt. Sieht man von Hallen-Championaten ab, dann hat Ronald Weigel mit seinem dritten Rang über 50 km bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona letztmals fürs Aufziehen einer deutschen Flagge bei einer Geher-Siegerehrung gesorgt. Dieser Mann, mittlerweile 44 Jahre alt und zwischenzeitlich von 1997 bis 2002 Geher-Trainer in Australien, will nun die jahrelang eher fußlahmen deutschen Athleten wieder wettbewerbsfähig im Vergleich mit der Weltspitze machen. Und sich selbst en passant aus den deutschen Rekordlisten katapultieren – er hält nach wie vor die Bestmarken im 10 000- und 20 000-m-Bahngehen sowie im 35- und 50-km-Straßengehen. „Da bin ich völlig uneitel, ich würde mich freuen, wenn jemand als Zeichen des Aufschwungs meine Rekorde unterbietet“, sagt der Heimkehrer. Im Herbst vergangenen Jahres wurde er vom DLV als Teamleiter Gehen und Bundestrainer engagiert, zunächst bis Ende 2004. Weigel sagt mutig: „Wir können genauso schnell gehen wie der Rest der Welt. Das wollen wir jetzt anpacken und zeigen.“ Nach Auffassung des gelernten Antiquars „ist das Potenzial da, um ähnliche Leistungen zu erreichen, wie sie Hartwig Gauder und ich selbst einmal erbracht haben“. Das freilich legt eine hohe Meßlatte an die Nachfolger. Der Erfurter Gauder war Olympiasieger und Weltmeister, Weigel gewann 1983 WM-Gold und 1988/1992 drei olympische Medaillen (zweimal Silber, einmal Bronze). Trotz der mehr als zehn Jahre Podest-Abstinenz glaubt Weigel an ein baldiges Ende dieser Durststrecke. „Ich bin nicht nach Deutschland zurückgekommen, um mich mit Mittelmaß zu bescheiden.“ Ob es schon bei den bevorstehenden Weltmeisterschaften in Paris gelingt, diesem Anspruch zu genügen, ist fraglich. In den drei Wettbewerben – Männer 20 und 50 km, Frauen 20 km – gehen vier DLV-Vertreter an den Start: Andreas Erm, Olympia-Fünfter in Sydney über 20 km, gilt bei seinem internationalen 50-km-Debüt als aussichtsreich, gehört er doch mit seiner Jahresbestleistung von 3:43:53 Stunden (die von Weigel aus dem Jahre 1986 steht bei 3:38:17 Std.) zu jenen nur vier deutschen Athleten, die in den aktuellen Welt-Charts überhaupt unter den Top 3 gelistet sind. Auch Erms Klubkollegin Melanie Seeger vom SC Potsdam, WM-Siebente 2001, hat mit Deutschem Rekord im Frühsommer ein Karriere-Formhoch versprochen, das den von Weigel als Zielmarke verkündeten „Anschluss an die internationale Spitze“ einlösen könnte. Der Berliner André Höhne (20 km) und die das SC Potsdam-Trio vervollständigende U23-EM-Dritte Sabine Zimmer sind dagegen noch in die Kategorie Zukunftshoffnungen einzustufen. Alles in allem stehen die Geher nach Überzeugung Weigels nicht schlechter da als andere Disziplinengruppen. Im Gegenteil. „Wir bringen in drei Wettbewerben vier Sportler an den Start. Die Läufer dagegen können in 12 Entscheidungen gerade mal auf acht Athleten verweisen.“ Insofern sei die Ausgangsposition vertretbar – „allerdings muss jetzt daraus mehr als bisher gemacht werden“. Für Weigel bedeutet das die Forcierung der Stützpunktarbeit, rege Kommunikation zwischen Basis und Spitze, verbesserte Kooperation und Harmonie zwischen den Trainern. Bei den Nachwuchs-Championaten der vergangenen Wochen (U18-WM, U20-, U23-EM) habe man beachtliche Resultate erzielt. „Um die in den Seniorenbereich zu übertragen, sollten die Top-Talente im Training eher und stärker mit den Spitzengehern verbunden werden“, sagt er. Und rührt in diesem Zusammenhang auch an einem Sakrileg. „Es wäre gut, wenn Trainer nicht stur nur im eigenen Saft schmoren, sondern sich auch von Kollegen beraten lassen. Das könnte im speziellen Fall sogar so weit gehen, dass einer sagt: ich habe alles getan, was ich konnte, kann meinen Sportler jetzt nicht mehr weiter entwickeln – also gebe ich ihn ab an jemanden, der sein Potenzial vielleicht ausreizen kann. Dass das allen mehr bringt, müssen manche freilich erst noch kapieren.“ Weigels Hoffnung, dass das geschieht, ist relativ groß. „Wir können und wollen nicht zufrieden sein. Aber eins ist festzustellen: es geht voran.“ Dass der Standort Potsdam/Berlin dabei eine zentrale Rolle spielt, liegt auf der Hand. Das WM-Quartett wird vollständig von Klubs aus den beiden Städten gestellt - Erm, Seeger und Zimmer kommen von SC Potsdam, Höhne vom SC Charlottenburg. Ron Weigel, der auch Erm als „Trainer am Mann“ betreut, sieht seine Rolle vor allem darin, Vorschläge zu unterbreiten, wie der Leistungsaufbau optimiert werden kann. Im September soll auf einer Trainersitzung resümiert werden, wie weit man dabei gekommen ist, wo Veränderungen vorgenommen werden müssen und wo noch Defizite bestehen. Der SC Potsdam, dessen Mitglied Weigel ist, hat sich in Sachen Gehen inzwischen zur Vorzeigeadresse in Deutschland gemausert. „Wir bemühen uns, jene Komplexität der Bedingungen zu schaffen, die tatsächlich auch Spitzenresultate ermöglicht“, sagt Geschäftsführer Peter Rieger. Dazu gehören Schule, Ausbildungsstreckung, finanzielle Absicherung, medizinische Prophylaxe. „Man muss davon wegkommen, Gehen als quasi abseitige Disziplin zu betrachten – aber wenn Olympiamedaillen gewonnen werden, dann werden sie gern genommen. Man muss was tun und investieren, wenn man international vorn mitgehen will. Genau das tun wir, trotz aller Schwierigkeiten“, so Rieger.

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