
© Andreas Klaer
ZUR PERSON: „Es gibt nicht das Richtige“
Ud Joffe, Vorsitzender der Synagogengemeinde, über die Weihe einer Thora-Rolle und den Synagogenneubau
Stand:
Herr Joffe, am Sonntag weiht Ihre noch junge Synagogengemeinde eine eigene Thora-Rolle, ein freudiges Ereignis – aber auch eine Zementierung Ihrer Abspaltung von der Jüdischen Gemeinde?
Nein, eine Thora-Rolle spaltet nicht. In der Thora steht das Wort Liebe mehrmals. Du sollst nicht nur Gott lieben, sondern Du sollst auch deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Das nehmen wir ernst. Praktisch gibt es auch keinen Grund, warum nicht zwei Thora-Rollen, unsere und die der Jüdischen Gemeinde, in eine Synagoge integriert werden können.
Eine weitere Thora-Rolle ist kein Hinderungsgrund für eine mögliche spätere Wiedervereinigung?
Nein. Wir haben bisher nur ein ausgeliehenes Buch aus Frankreich. Es ist einfach nur schön, dass die Potsdamer Juden nun eine weitere Thora-Rolle bekommen, die ihnen zur Verfügung steht.
Schildern Sie bitte, was die Weihe einer Thora-Rolle bedeutet für eine Gemeinde.
Sicher, das hat schon ein gewisses konstituierendes Moment. Das zeugt von einer gewissen Selbständigkeit und Lebensfähigkeit, wenn eine Gruppe von Juden es schafft, ihr Gemeindeleben, ihre Gottesdienste zu organisieren. Die Thora ist die Lehre, wonach wir uns richten. Sie ist notwendig für die Liturgie. Man soll regelmäßig am Samstag und zwei Mal in der Woche aus der Thora-Rolle lesen. Das kann man natürlich nur machen, wenn man eine hat. Eine Thora-Rolle ist sehr teuer und sehr aufwändig zu produzieren. Wenn eine Gemeinde eine Thora-Rolle hat, zeigt das auch eine gewisse Bedeutung und Akzeptanz in der jüdischen Welt. In der Regel spendet jemand eine Thora-Rolle für die Gemeinde. Das ist eine erhebliche Summe, ab zehntausend Euro. Das zeigt, dass jemand an die Gemeinde glaubt und dass diese Gemeinde Kontakte hat in der Welt.
Wer hat diese Thora-Rolle finanziert?
Das ist eine Spende aus Dneprpetrowsk. Das sind Kontakte, die über unseren Rabbiner Nachum Presman zustande gekommen sind.
Schön. Nun fehlt der Synagogengemeinde nur noch eine Synagoge.
Jein. Es kommt darauf an, was Sie unter Synagoge verstehen. Darüber diskutieren wir in Potsdam seit zwei Jahren. Einen Gebetsraum haben wir in unserem Zentrum in der Hans-Thoma-Straße. Für die Abläufe unserer Liturgie reicht der zunächst aus. Es ist kein erhabener Gebetsraum, keine erhabene Synagoge, aber diese Thora-Rolle wird zunächst dort in einem Thora-Schrank ihren Platz finden. Sicher, wir wünschen uns nach wie vor eine repräsentative, erhabene Synagoge in Potsdam.
Dazu müssten Sie sich mit der Jüdischen Gemeinde Potsdam einigen, von der Sie sich zunächst einmal abgespalten haben.
Es wird sich zeigen, ob diese momentane strukturelle Abspaltung auch eine zwingend inhaltliche, dauerhafte Spaltung sein muss. Wir betonen immer: Wir stehen für Annäherungsgespräche bereit. Wir sind bereit, uns jederzeit mit viel Zeit an einen Tisch zu setzen, über inhaltliche Schwerpunkte zu reden und inhaltliche Lösungen zu suchen für eine Zusammenarbeit mit der Perspektive der Wiedervereinigung. Ganz konkret haben wir der Jüdischen Gemeinde angeboten, zwei Arbeitsgruppen zu bilden, die über verschiedene Aspekte unseres Gemeindelebens und über Vorstellungen zur Zukunft des jüdischen Lebens in Potsdam beraten. Der Ball liegt nun bei der Jüdischen Gemeinde. Wir warten auf eine Antwort.
Die Jüdische Gemeinde reagiert auf ihr Werben zögerlich. Ist das nicht verständlich? Schließlich könnte dieser Tage die Synagoge nach dem Entwurf von Jost Haberland bereits im Bau sein. Sie, Herr Joffe, – freilich mit vielen anderen Juden und Nichtjuden in Potsdam – haben das verhindert.
Was alles in unserer Welt in konjunktiven Formulierungen hätte sein können! Da wage ich gar nicht darüber nachzudenken. Wir sind gar nicht der Meinung, dass wir es verhindert haben. Wir Kritiker des Entwurfes haben in den zurückliegenden zwei Jahren immer Angebote gemacht für Kompromisse, die – wie Sie wissen – immer strikt abgelehnt worden sind. Heute will man mit uns über Kompromissvorschläge sprechen, die wir vor eineinhalb Jahren gemacht haben, die heute aber anhand der Entwicklungen nicht mehr aktuell sind. Deshalb rate ich, konjunktivistische Denkweisen hinter sich zu lassen und realistisch zu schauen, wo jetzt die Möglichkeiten für Lösungen sind.
Schildern Sie doch einmal die Vorteile einer erhabenen Synagoge.
Ich würde jetzt gerne vorsichtig sein und nicht sagen, was nach meinen Geschmack, meinem kulturellen und religiösen Hintergrund das Richtige sein sollte. Ich will nicht meine Vorstellungen als das Nonplusultra bezeichnen. Ich betone seit Monaten, dass keiner ganz allein behaupten kann, was das Richtige ist. Es gibt nicht das Richtige. Es gibt nur das, was wir miteinander erreichen. Der einzige Weg ist, dass alle verinnerlichen, dass keiner in diesem Synagogenstreit zu einhundert Prozent seine Vorstellungen durchsetzen kann. Wir müssen unsere Gedanken so lange miteinander austauschen, bis es einen breiten gemeinsamen Nenner gibt. Das momentane Stocken des Synagogenprojektes ist dem Verzicht auf jeden Gesprächsprozess geschuldet.
Wer trägt dafür die Verantwortung?
Die Arbeit des Vorstandes des Bauvereins war eine technokratische Glanzleistung, die aber leider nicht genug Menschen mitgenommen hat, Juden und übrigens auch Nichtjuden. Den Architekten Jost Haberland müssen wir in der Diskussion außen vor lassen. Der hat nach Vorgaben gearbeitet, die nicht ausgegoren waren.
Ich verstehe Ihre Zurückhaltung in dieser Phase hinsichtlich der Synagogengestaltung. Aber Sie hatten sich schon einmal positioniert: Sie wünschen einen repräsentativen Gebetssaal, der auch eine gewisse musikalische Nutzung möglich macht.
Nicht nur musikalisch. Nach unserer Überzeugung muss bei solch einem großen Projekt auf jeden Fall ein großer Raum herrausspringen, der für mittelgroße, erhabene Veranstaltungen in Frage kommt. Ob das der Gebetssaal ist, der Gemeindesaal oder beides zusammen in einer ,Gemeindesaalsynagoge'– wie auch immer – einen Ort muss es geben, wo mit Verlaub 250 bis 300 Leute sich versammeln können und zwar nicht wie Sardellen in der Dose. Dort müssen die Menschen etwas unter jüdischem Segen erleben dürfen. Kultur ist die einzige Möglichkeit, sowohl alle Juden in Potsdam an das Haus zu binden, als auch die nichtjüdische Bevölkerung zu einem Austausch an diesen Treffpunkt zu holen.
Warum kann das nicht in der Nikolaikirche passieren?
Christliche Symbole verhindern dort die Teilnahme von vielen Juden an Veranstaltungen. Andererseits sind große Säle in Potsdam oft terminlich und finanziell schwer zu binden. Wenn sich die Situation nach dem Bau einer Synagoge für die Juden in Potsdam und in Brandenburg nicht ändert, dann muss ich fragen: Wie hat uns dieser Bau infrastrukturell weitergebracht?
Ihre Kritiker sagen, der Dirigent Ud Joffe möchte sich ein Konzerthaus bauen lassen.
Jeder Fachkundige lacht sofort darüber. Für meine Arbeit wäre auch eine große Synagoge mit 300 Plätzen viel zu klein. Eine solche Synagoge wird für mich keine beruflichen Perspektiven eröffnen, die ich nicht schon längst habe. Was fehlt es mir an erhabenen Wirkungsstätten in Potsdam? Davon gibt es genug. Ich trete regelmäßig im Nikolaisaal, in der Erlöserkirche, in der Friedenskirche auf. Ich bin jetzt in Berlin in der großen Synagoge in der Rykestraße aufgetreten. Ich werde es nie schaffen, alle Wirkungsstätten zu bespielen, die mir zur Verfügung stehen. Ich persönlich habe keinen Raumbedarf. Wem eine erhabene Wirkungsstätte fehlt, das sind die Juden in Potsdam und Brandenburg.
Welche Rolle spielt die Musik im Gemeindeleben?
Musik veredelt die liturgischen Abläufe. Es wird nicht von Nachteil sein für die Juden in Potsdam, wenn sie sinnlich attraktive Gottesdienste besuchen dürfen. Dadurch wird der Gottesdienstbesuch gefördert. Wir glauben schon, dass ein hohes kulturelles Niveau auch ein repräsentatives Moment hat.
Oft wurde gesagt, eine Veranstaltung, zu der 300 Juden in Potsdam erscheinen, gibt es höchstens ein Mal im Jahr.
Die Erlöserkirche wurde gebaut zu einer Zeit, wo keinesfalls 900 Leute im Regen standen und nicht wussten, wohin gehen zum sonntäglichen Gottesdienst. Sie wurde trotzdem gebaut als ein Bekenntnis, als eine zukunftsweisende Vision. Die Zeiten heute sind nicht anders: Heute wird eine Garnisonkirche in Potsdam gebaut, die gar keine praktische Notwengigkeit hat. Es gibt keinen Bedarf für diese Kirche, es gibt schon genug Räume für Gottesdienste und für Versöhnungsarbeit. Die Garnisonkirche wird gebaut, weil die Menschen ein Bedürfnis nach ihr haben, keinen Bedarf. Das ist ihre Legitimation. Ich verstehe nicht, warum das bei der Synagoge anders sein sollte.
Das Interview führte Guido Berg
Der 1967 in Israel geborene Dirigent Ud Joffe übernahm als gläubiger Jude 1997 die Leitung der Kantorei an der Potsdamer Erlöserkirche. 1999 gründete er den Neuen Kammerchor Potsdam und 2000 das Neue Kammerorchester Potsdam. 2001 rief er die „Vocalise“ ins Leben, ein Festival für Vokalmusik.
Joffe kritisiert den offiziellen Synagogenentwurf. 2010 gründete er mit anderen Kritikern die Synagogengemeinde Potsdam, deren Vorsitzender er ist. An diesem Sonntag, den 25. September, weiht die Gemeinde um 15 Uhr am Platz der Einheit, dem Ort der alten Synagoge an der Hauptpost, ihre Thora-Rolle ein. Dem schließt sich ein Festumzug ins Gemeindezentrum in der Hans-Thoma- Straße an. Interessierte sind laut Joffe herzlich eingeladen. gb
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