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Landeshauptstadt: „Es konnte nur besser werden“

Ferroum Boukhmis (48), ehemaliger algerischer DDR-Vertragsarbeiter

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Ferroum Boukhmis (48), ehemaliger algerischer DDR-Vertragsarbeiter Heimat ist das Wichtigste. Aber wir, meine Frau und meine Kinder, sind sowohl hier als auch in Algerien Ausländer. In meinem Geburtsland sind meine Wurzeln. Dort lebten meine Eltern in einem Dorf. Damals hatten wir keine Maschinen, um das Land zu bestellen. Das Leben war einfach. Meine Mutter wurde im Algerienkrieg, der zwischen 1954 bis 1962 war, von Franzosen umgebracht, mein Vater starb in den 80er Jahren. Natürlich habe ich noch Verwandte dort, aber es gibt dort keinen Platz mehr für mich, an den ich zurückkehren kann. Sie sind als Gastarbeiter in die ehemalige DDR gekommen. Damals wusste ich gar nicht wo die Deutsche Demokratische Republik liegt. Zwischen unseren beiden Ländern gab es ein Abkommen. In unserem Rathaus hing ein Zettel, auf dem stand, dass man sich für einen Ausbildungsplatz in der DDR bewerben kann. Das tat ich, legte Prüfungen ab und ließ mich gründlich untersuchen. Ich war niemals zuvor bei einem Arzt. Das war schon irgendwie komisch. Letztendlich war es ein bisschen wie ein Lottospiel. In Algerien hatte ich nichts: keine Wohnung, kein Geld und keine Arbeit. Es konnte nur besser werden. Zwischen 1979 bis 1982 wurde ich dann in Ludwigsfelde im ehemaligen Automobilwerk zum Schweißer und Schlosser ausgebildet. Fiel es Ihnen schwer, ihre Heimat zu verlassen? Ja, es war sehr, sehr schwer. Hätte ich zu Hause eine Lebensgrundlage gehabt, wäre ich nicht weggegangen. Ich hatte dort meine Geschwister und Kumpel. Mir war dort alles vertraut, ich sprach die Sprache. In Deutschland bin ich zunächst krank geworden. Anderes Klima, anderes Essen. Es war nicht leicht. Doch irgendwann habe ich mich an das Leben hier gewöhnt und Freunde gefunden. Wollten Sie nach Ihrer Ausbildung zurückkehren? Selbst wenn ich nicht gewollt hätte, mussten wir Vertragsarbeiter zurück. Mittlerweile hatte ich eine Potsdamerin geheiratet und eine sechs Monate alte Tochter. Wir gingen gemeinsam. Aber eigentlich wollten wir hier bleiben. Sie haben es dann von Algerien aus versucht wieder einzureisen. Auf Anraten der deutschen Botschaft in Algier reiste zunächst meine Frau mit unserem Kind zurück. Nach dem die beiden gelandet waren, wurden sie von den Behörden abgeholt und in Untersuchungshaft nach Fürstenwalde gebracht, dort kam ich später auch hin. Man stellte uns vor die Wahl: Scheidung oder Kind weg. Meine Frau war verzweifelt. Wir haben uns entschieden, in die Scheidung einzuwilligen. Glücklicherweise wurde die Drohung zurückgezogen und ich erhielt meine Einreisepapiere. Nach der Landung in Schönefeld kam ich direkt in Haft. Mein ganzes Leben wurde überprüft: Lebenslauf, mein Gesundheitszustand und ob ich straffällig geworden bin. Wann sind Sie nach Potsdam zurückgekommen? Sechs oder sieben Wochen musste ich im Gefängnis bleiben, das war 1984. Dann bin ich zunächst mit zu meinen Schwiegereltern gezogen. Später sind meine Frau und ich mit unseren mittlerweile zwei Kindern an den Schlaatz gezogen. 1997 haben wir uns scheiden lassen. Inzwischen bin ich wieder verheiratet, mit einer Algerierin. Wie hat sich das Leben für Sie nach der Wende verändert? Anfang 2002 habe ich meine Arbeit verloren. Ich habe das Gefühl, kein Mensch mehr zu sein. Es geht vielen Menschen so, leider. Wenn man hier in Deutschland ohne Arbeit ist, wird man wie ein Fußabtreter behandelt. Ich habe Glück, denn ich kann Fortbildungen besuchen, in der Hoffnung eines Tages wieder eingestellt zu werden. Hat sich das Miteinander verändert? Sehr. Einige Anwohner oder auch ehemalige Arbeitskollegen begegnen einem und rufen: Eh, Kameltreiber, bist du immer noch hier? Bist du immer noch nicht weg? Das sind Menschen die ich seit Jahrzehnten kenne, nie zuvor habe ich das erlebt. Mir ist nicht klar, woher das Misstrauen kommt. Nach dem 11. September 2001 hat sich die Situation noch einmal verschärft. Gibt es etwas, das sie vermissen? Meine Eltern. Als mein Vater starb, war ich in Deutschland. Ich konnte nicht zu seinem Begräbnis nach Algerien reisen. Dass ich nicht Abschied nehmen konnte, tut mir immer noch sehr weh. Wovon träumen Sie? Ich möchte bald eine Arbeit finden, um meine Familie zu ernähren. Für meine Kinder wünsche ich, dass sie eine gute Schulbildung erhalten und ihren Weg gehen.das Gespräch führte Ulrike Strube

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