Landeshauptstadt: Es muss nicht alles nobel sein Jann Jakobs über Jugendkultur, Spannungen innerhalb der Stadt, die große Koalition, ein eigenes Jubiläum in diesem Jahr und
seine Vision vom Potsdam 2018
Stand:
Herr Jakobs, was nervt Sie in Potsdam am meisten?
Relativ wenig, vielleicht der Müll am Wochenende in der Innenstadt. Beispielsweise, dass irgendwelche Leute den Müll rausstellen, obwohl vollkommen klar ist, dass am Wochenende kein Müll abgeholt wird. Dann steht er bis Montag oder Dienstag. Das geht so nicht.
Gibt es dafür eine langfristige Lösung?
Ich habe überlegt, ob ich mal eine Müllstreife oder so etwas einsetze. Aber wahrscheinlich müssen wir darüber aufklären, dass der Müll erst kurz bevor er abgeholt wird auf die Straße gestellt werden darf. Ich baue doch vor meinem Haus in der Russischen Kolonie auch nicht zwei Tage vor der Müllabfuhr einen Müllberg auf. Das wird erst am Vorabend rausgestellt.
Müll hat in den vergangenen Wochen für Streit in der Stadt gesorgt. Die Verwaltung hat jahrelang zu hohe Müllgebühren kassiert.
Es gibt einen sachlichen Kern. Wir haben zu viel vereinnahmt. Das war keine böse Absicht. Nun haben wir die Situation, dass die Stadtverordneten gesagt haben, es soll alles mit einem Mal gegengerechnet werden. Das werden wir tun. Unser Kompromiss war, dass wir die Summe auf zwei Jahre aufteilen. Das hätte den Vorteil gehabt, dass die Gebühr jetzt nicht drastisch gesenkt worden wäre, um nach dem Jahr wieder nach oben zu gehen. Aber wenn das so gewollt ist, werde ich das akzeptieren.
Mit einer besseren Kommunikation wäre die Empörung womöglich kleiner gewesen.
Richtig ist, wenn daran Kritik geübt wird. Als man gemerkt hat, dass es sich in der Summe um etwas über fünf Millionen Euro gehandelt hat, war die Überraschung groß. Denn thematisiert wurden zuvor nur die 1,3 Millionen Euro, die wir im Jahr 2009 gegenrechnen wollten. Es stand zwar alles in den Vorlagen, aber mit einer offensiveren Kommunikation hätten wir uns viel Ärger ersparen können.
Das war am Ende des Jahres, wie sieht Ihre Bilanz für 2008 aus?
Ich finde, 2008 war ein sehr erfolgreiches Jahr. In der Potsdamer Mitte sind wir ein richtiges Stück vorangekommen, das Straßenproblem werden wir im Januar gelöst haben, die Lange Brücke nimmt Form an und Ende 2009 wird es mit der Nerverei für die Potsdamer, was den Verkehr angeht, zu Ende sein. Wir haben den 150 000. Einwohner begrüßen können. Wir sind zur familienfreundlichsten Stadt Deutschlands erklärt worden, wir haben einen Preis für unseren Gründerservice bekommen und wir haben spektakuläre Ansiedlungen gehabt, wenn ich an Porta und Erhard Automotive denke. Auch das Toleranzedikt hat eine erfreuliche Resonanz gefunden.
Und die Bauaufsicht hat mit der Sperrung einzelner Schulen gedroht, wenn die Baumängel nicht abgestellt werden. Wieso wird nach der Sanierung einer Schule festgestellt, dass die Fluchtwege nicht richtig eingebaut sind?
Das habe ich mich auch gefragt, als mich die Nachricht erreicht hat. Die Situation ist so, dass sich die Brandschutzauflagen in der letzten Zeit verschärft haben. Das sind verbindliche Richtlinien, die wir umsetzen müssen. Dafür werden jetzt nochmals zusätzliche Gelder mobilisiert, um der Aufgabe gerecht zu werden.
Das Paket zur Schulsanierung und weitere Investitionen auf der einen Seite, auf der anderen Seite droht eine Wirtschaftskrise. Steuereinnahmen könnten sinken, die Sozialausgaben für Hartz IV steigen. Wie wollen Sie den Haushalt sanieren?
In der Tat können wir in diesem Punkt auch noch nicht sagen, wie sich alles auswirken wird. Die Wirtschaftskrise beginnt zu greifen. Das wird bei uns vermutlich Auswirkungen auf die Gewerbesteuereinnahmen haben. Eine andere Tendenz gibt es allerdings bei der Einnahme aus der Einkommenssteuer, die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Wir gehen davon aus, dass es weitere Steigerungen gibt. Das Anwachsen wird aber mit Sicherheit nicht die fallenden Gewerbesteuereinnahmen kompensieren. Das ist eine große Herausforderung.
Ein am Ende mindestens ausgeglichener Haushalt gilt immer als Ziel eines Kämmerers.
So wie es gegenwärtig aussieht, werden wir in diesem Jahr wieder zu einer schwarzen Null kommen. Das wird uns im Jahr 2009 aber nicht gelingen. Wir müssen alle Anstrengungen für eine weiterhin solide Finanzpolitik unternehmen. Aber die Rahmenbedingungen sind ungleich schwerer als bisher.
Inwieweit hat die Stadt darauf Einfluss durch eigene Konjunkturprogramme.
Was wir mit unseren Investitionsprogrammen machen ist in beträchtlicher Weise konjunkturfördernd. Das können wir über den Kommunalen Immobilienservice Gott sei Dank auch kreditfinanziert machen. Aus dem städtischen Haushalt direkt heraus geht das nicht, weil wir eine Stadt mit Haushaltssicherungskonzept sind. Was uns aber helfen würde, wären entsprechende Konjunkturprogramme von Bundesseite. Ich denke, dass fördert nachhaltig die Wirtschaftsstruktur vor Ort, wenn beispielsweise Investitionsbeihilfen für Kitas und Schulen realisiert werden. Das halte ich für wesentlich wirksamer als Konsum-Gutscheine, mit denen sich die Leute einen koreanischen Farbfernseher kaufen.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie für 2009?
Was besonders spannend werden dürfte, ist das Jubiläum zwanzig Jahre Mauerfall. Da werden wir uns auch mit der Frage beschäftigen, welche Hoffnungen hat es 1989 gegeben und was von dem konnte umgesetzt werden. Das wird ein Selbstvergewisserungsprozess, der viel mit der politischen Kultur in der Stadt zu tun hat. Und mit dem, was man an demokratischer Entwicklung versprochen hat und was dabei herausgekommen ist. Außerdem werden wir 200 Jahre Stadtverordnetenversammlung und 100 Jahre Potsdam-Museum feiern.
Fangen Sie bei sich an, Sie haben dieses Jahr 15. Dienstjubiläum in Potsdam. Haben sich Ihre Hoffnungen von einst umsetzen lassen?
Als ich hierher gekommen bin, habe ich mir nicht ausmalen können, was für eine rasante Entwicklung die Stadt nehmen würde. Grundlegende Beschlüsse sind damals gefasst worden, aber die Umsetzung hatte sich nichtmal am Horizont abgezeichnet. Damals hatten wir absolute Wohnungsnot, die Gutenbergstraße war eine einzige Ruine. Teilweise galt das auch fürs Holländerviertel. Eins, was mich damals schon sehr beschäftigt hat, dass Potsdam bei guten Rahmenbedingungen der Gefahr ausgesetzt war, zum schicken, noblen Vorort von Berlin zu werden und sich in dieser Funktion auch erschöpft.
So wird Potsdam inzwischen von außen gesehen.
Die rasante Entwicklung hat es gegeben, aber wir wollen Potsdam nicht allein auf den noblen Vorort der Bundeshauptstadt reduzieren. Potsdam hat eine eigene Kultur, eine eigene Dynamik, die sich von Berlin sehr wohl unterscheidet. Die Stadt hat sich einen eigenen Charakter bewahrt und das ist ganz wichtig. Potsdam erschöpft sich nicht nur darin, dass wir Reiche und Wohlhabende haben, sondern überspitzt ausgedrückt: eine spannende Mischung aus Schlaatz und Berliner Vorstadt.
Die Stadt gilt als geteilt – in reicher Norden und armer Süden.
Es ist nicht die Situation eingetreten, dass hier Grabenkämpfe zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen stattfinden, oder dass Wohlhabende die nicht so Wohlhabenden verdrängen. Aber es wird immer eine Herausforderung bleiben, die Balance zu halten. In den letzten Jahren ist das gelungen.
Spiegelt sich die Balance auch in der politischen Auseinandersetzung wider?
Man spürt sie, aber immer weniger in Garagen oder Kleingartenstreits. Eher in den Protesten der Jugendlichen. Es ist eine neue Herausforderung, weil bei den Jugendlichen das Empfinden vorhanden ist, wir haben hier keinen Platz mehr in der Stadt. Das macht sich fest an solchen Themen wie Waschhaus, Lindenpark oder auch dem Klub S13 und Spartacus. Und am Thema Archiv. Die Jugendlichen äußern damit ein Lebensgefühl, damit müssen wir uns ernsthaft auseinandersetzen.
Wie wollen Sie das machen?
Wir müssen überzeugende Konzepte haben, wie es beispielsweise mit dem Archiv weitergehen soll. Die Probleme bei Waschhaus und Lindenpark haben wir erstmal gelöst. Aber wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, wie wir die Stadt auch für junge Leute attraktiv machen. Das ist die Generation der Zukunft, die wir an die Stadt binden müssen und die sich hier aufgehoben fühlen soll. Und sie muss das Gefühl haben, es ist ihre Stadt. Denn diese Generation soll irgendwann diese Stadt weiterentwickeln.
Wie macht man eine barocke Innenstadt mit bürgerlichen Vorstädten und Plattenbauvierteln für Jugendliche attraktiv?
Wir müssen die Lehren aus dem Vorhaben Schiffbauergasse ziehen. Damals haben wir in dem Glauben gehandelt dass das, was wir dort vorhaben gut ist. Dort ist für viel Geld alles hergerichtet worden und die Veränderungsprozesse haben eingesetzt. Plötzlich ist es nicht mehr der Standort, an dem sich die jüngeren Leute wohl fühlen. Das Archiv ist in einer vergleichbaren Situation wie damals die Schiffbauergasse vor der Sanierung. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass diesmal Angebote wie das Archiv am Standort erhalten bleiben. Dabei soll der Archiv e.V. selbst bei der Sanierung Hand anlegen, was der Identifikation dient. Danach muss ja nicht alles nobel und schick sein, dass kann auch mal ein bisschen marode aussehen, sofern die Sicherheitsauflagen eingehalten werden. Nebenan in der Speicherstadt gibt es Investoren, die wunderschöne Sachen machen wollen. Das halte ich auch für richtig, denn so kann es da nicht bleiben.
Thema Kommunalpolitik. Warum hat es nach der Kommunalwahl keine rot-rote Allianz, sondern eine große Koalition aus SPD, CDU, FDP und Familienpartei gegeben?
Man kann nicht bei allen Entscheidungen mit wechselnden Mehrheiten operieren. Dabei besteht die Gefahr, dass längst abgeklärte Dinge infrage gestellt werden, weil die Mehrheitsverhältnisse sich plötzlich anders gestalten. Das haben wir bei der Potsdamer Mitte erlebt. Wenn man eine zielgerichtete und nachhaltige Politik machen will, braucht man stabile Mehrheiten. Was wir nach der Kommunalwahl erlebt haben ist ein verändertes Kräfteverhältnis zu Gunsten der bürgerlichen Parteien. So wie sich die Stadtverordnetenversammlung jetzt darstellt, spiegelt sie das Lebensgefühl in dieser Stadt wider. Es ist kein Bündnis gegen die Linke, sondern es ist ein Verständigen auf bestimmte politische Leitlinien, die für die Stadt wichtig sind. Da kann sich die Linke anschließen oder auch eigene Vorschläge machen, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Dann wird man sehen, ob sie mehrheitsfähig sind oder nicht. Im Augenblick ist es so, dass das Kooperationsbündnis mit 34 Stimmen eine sehr solide Basis hat.
Solche großen Koalitionen gelten nicht als besonders fortschrittlich, eher als konsensbildend. Hält sie über das Jahr 2010 hinaus, in dem Sie erneut bei den Oberbürgermeisterwahlen antreten wollen?
Was wir miteinander verabredet haben, soll die gesamte Wahlperiode reichen. Wenn man sich die Themen Stadtentwicklung, Haushaltskonsolidierung, Kita- und Schulsanierung und ähnliches mehr ansieht, dann ist das ein Programm, das nicht nur bis zur Oberbürgermeisterwahl reicht. Das wäre zu kurz gegriffen, weil die Dinge bis dahin noch nicht erreicht sind.
Die SPD hat sich für die kommunalen Unternehmen ausgesprochen. Ab Januar werden Fernwärme, Gas und kurz darauf auch Strom teurer. Inwieweit kann die Kommune diese Spirale beeinflussen?
Wir sind nicht von der Welt isoliert. Diese Tendenz ist bedauerlich, aber sie unterscheidet sich auch nicht von der Entwicklung in anderen Städten. Wir haben es mit einer allgemeinen Verteuerung von Rohstoffen zu tun. Im Augenblick gibt es die erfreuliche Tendenz, dass die Preise nach unten purzeln. Ich fürchte nur, das wird nicht von langer Dauer sein. Alle Welt wird sich, und so auch die Potsdamer, darauf einstellen müssen, dass das eine Entwicklung ist, die wir nur bedingt beeinflussen können.
Dann vielleicht zumindest klimafreundlich teuer sein?
Alternative Energiequellen sind eine Aufgabe für die Energie und Wasser Potsdam GmbH, der sie sich stellen muss. Aber es soll keiner glauben, dass es am Ende billiger wird. Wenn mit Photovol taik anlagen oder mit Hilfe von Wind zusätzliche Energie erzeugt wird, dann ist das klimaschonend, aber durch das Erneuerbare-Energie-Gesetz auch teurer. Ich beklage das nicht, ich sage nur ganz deutlich, dass keiner die Illusion haben darf, dass langfristig Preissenkungen erfolgen werden.
Der Stadtwerke-Geschäftsführer hat allerdings eine Preissenkung in Aussicht gestellt.
Wir werden vermutlich im nächsten Jahr die Preise senken können. Beim Gas, eventuell auch beim Strom, weil der Gaspreis nach unten gehen wird. Das wird nur eine kurzfristige Entwicklung sein. Da will ich aber nicht zu viel versprechen, damit werden wir uns im Januar und Februar auseinanderzusetzen haben.
Energiepreise sind Wohnnebenkosten, die stärker gestiegen sind als die Mieten. Sie werden nicht müde, immer wieder Förderprogramme für neue Wohnungen und sozialverträgliche Mieten vom Land zu fordern. Haben Sie Hoffnungen, dass diese aufgelegt werden?
Wir sind dabei, ein gezieltes Wohnungsbauprogramm für die Landeshauptstadt aufzulegen. Herauskommen wird ein Bündel unterschiedlichster Maßnahmen. Angefangen von der Frage, wie wir als Stadt preisgünstig, vielleicht sogar kostenlos, Grundstücke zur Verfügung stellen können. Im Land wird es natürlich nicht mehr die Förderung wie vor zehn Jahren geben, da machen wir uns auch nichts vor.
Förderprogramme haben Konjunktur. Der Bund stellt 150 Millionen Euro für die Unesco-Welterbestätten zur Verfügung. Wie kann Potsdam davon profitieren?
Da hat sich eine Arbeitsgruppe von der Stadt und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten etabliert, weil es keine Zeit zu verlieren gibt. Die Stiftung will ganz konkrete Objekte gefördert sehen, wir hätten gerne die Infrastruktur im Mittelpunkt. In Rede steht ja ein verbessertes Wegeleitsystem und eine ganze Reihe von Straßenbauprojekten und Fahrradwegen, die ich da auch ganz gerne mit verwirklicht sehen möchte. Ziel ist es also, eine Mischung aus Objektförderung und Infrastrukturmaßnahmen hinzubekommen.
Herr Jakobs, es ist Weihnachten und Sie bekommen den Wahlsieg 2010 geschenkt. Wie sieht Potsdam im Jahr 2018 aus, wenn Sie ihre Amtszeit beenden?
Es ist gelungen, die Balance zwischen sehr unterschiedlichen Ansprüchen beizubehalten. Potsdam hat sich als weltoffener Ort für Potsdamer und seine Gäste etabliert, Potsdam hat internationale Ausstrahlung mit einer Mitte als zusätzliche Attraktion für Touristen. Die historische Bausubstanz ist komplett saniert, ebenso die Schulen und Kindertagesstätten, die Speicherstadt ist fertig, die Bebauung an der Alten Fahrt, der Landtagsneubau steht in der äußeren Fassade von Knobelsdorff, die Garnisonkirche müsste dann ebenfalls fertig sein und es bleibt nur noch ein kleines Stück Stadtkanal, was noch ausgegraben werden muss.
Das Gespräch führte Jan Brunzlow
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