zum Hauptinhalt
Katherina Reiche.

© dpa

Landeshauptstadt: „Es wäre das Gegenteil von Barmherzigkeit“

Ärzte sollen ihre Patienten, ohne Versteckspiel, bis zum Schluss begleiten dürfen, meint Katherina Reiche (CDU)

Stand:

Zu einem würdevollen Leben gehört auch ein Sterben in Würde. Es gibt ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Und somit gehört zum selbstbestimmten Leben auch ein selbstbestimmtes Sterben. In unserem Antrag richten wir uns an Menschen, die an einer organischen, irreversibel zum Tod führenden Erkrankung leiden, bei denen die Palliativmedizin an ihre Grenzen stößt. Wir wenden uns an Patienten, die am Ende eines langen Leidensweges sind. Die Schmerz und Qual und damit verbundene Not nicht mehr aushalten.

Von unserem Regelungsansatz nicht erfasst sind Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, die minderjährig oder nicht einwilligungsfähig sind. Wir richten uns auch nicht an Menschen, die aus anderen Gründen des Lebens müde oder überdrüssig sind. Was für Menschen am Ende ihres Lebens zu ertragen ist, wie viel Schmerz, wie viel Qual, was als Schmerz und Qual empfunden wird, ist absolut individuell. Nicht jeder kann gleichviel tragen. Patienten, die die letzte Strecke ihres Lebens als nicht mehr erträglich empfinden, geht es neben Schmerzen auch und vor allem um den Verlust ihrer Autonomie, den Kontrollverlust über ihren Körper, den Verlust ihrer Fähigkeit zur Kommunikation, den Verlust ihrer Würde und den Verlust ihres Lebenssinns.

Unser Antrag öffnet einen Notausgang beziehungsweise möchte, dass Notausgänge, die einige Landesärztekammern, wie die Bayerische Landesärztekammer, bieten, nicht verschlossen, sondern für alle Ärzte in allen Bundesländern geöffnet werden. Wir meinen, im Angesicht von sicher zum Tode führenden Erkrankungen sollte das Arzt-Patienten-Verhältnis besonders geschützt werden. Dort gehört die Entscheidung hin, in Würdigung der Lebens- und Leidensumstände des Patienten dem behandelnden Arzt zu vertrauen und ihm zu ermöglichen, den Patienten straffrei auf seinem selbst gewählten und selbst vollzogenen letzten Weg zu begleiten, ohne das Strafrecht fürchten zu müssen. Ärzte sollen ihre Patienten, ohne Versteckspiel, bei der eigenen Lebensbeendigung bis zum Schluss begleiten dürfen.

Dank der modernen Medizin, dank der Palliativmedizin, können Menschen heute viel besser, viel länger, mit weniger Schmerzen, am Ende des Lebens begleitet werden. () Die Palliativangebote müssen flächendeckend ausgebaut werden. (). Die Grenzen der Leidlinderung, Schmerztherapie, Sterbehilfe und -begleitung als ärztliche Aufgaben sind aber nicht schematisch, sondern gehen fließend ineinander über. Ich appelliere daran, die Gewissensfreiheit zu respektieren und nicht durch rechtliche oder religiöse Dogmen zu beschränken.

Was möchte der Patient? Er möchte Heilung oder Verhindern von Krankheiten, das Lindern von Beschwerden, das Verhindern vorzeitigen Sterbens. Dem sollen Ärzte entsprechen. Wo nun aber die moderne Medizin als Schattenseite ihres segensreichen Könnens Siechtum, chronisches Leiden und zuverlässige Unheilbarkeitsprognosen hervorbringt, sollten Ärzte in der Mitverantwortung bleiben dürfen, soweit sie es mit ihrem persönlichen Gewissen verantworten können. Es wird argumentiert, der Suizidwunsch mancher Patienten sei Ausdruck von Hedonismus, von falsch verstandener Entscheidungsfreiheit und gar mangelnde Achtung von dem Geschenk, das Gott uns mit dem Leben anvertraut. Wer so argumentiert, verkennt die existenzielle Not, in der solche Entschlüsse gefasst werden. Für mich wäre es ein Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe und der Menschenwürde, wenn aus dem Schutz des Lebens ein Zwang zum Leiden würde.

Ich möchte nicht, dass wir Patienten ein Würdeverständnis Dritter aufnötigen, das heißt, „wenn fast schmerzfrei, dann Durchhalten bis zum Schluss“. Wir wollen Ärzten für die Fälle, in denen die Palliativversorgung für die Patienten keine Alternative mehr ist, eine mitfühlende Hilfestellung bei der selbst vollzogenen Lebensbeendigung ermöglichen. ()

Die Ärzte bitten uns, ein Zeichen gegen ihre Kriminalisierung zu setzen, wenn es sich um einzelfallbezogenes, gemäß dem Patientenwillen ethisch verantwortbares ärztliches Tun oder Unterlassen handelt. Hier setzt unser Antrag an, um schwerstkranke Menschen nicht unter qualvollen Umständen alleinzulassen. Es wäre das Gegenteil von Barmherzigkeit. Ich bin zudem überzeugt, wenn sich Patient und Arzt auf diesen geschützten Freiraum verlassen könnten, würde dies den Bedarf an organisierter Laien-Suizidhilfe, ja gar gewinnorientierter Sterbehilfeorganisationen, die wir strikt ablehnen, absehbar überflüssig machen. Die Würde eines Sterbenden zu respektieren heißt im Übrigen gerade nicht, den Wert eines Menschenlebens von außen zu beurteilen. Ich meine, was zählt, ist das Urteil des Patienten über sein eigenes Dasein. Somit führt unsere Regelung auch mitnichten zu einer Aufweichung des Respekts vor der Würde eines jeden Kranken. Lassen Sie uns nicht das scharfe Schwert des Strafrechts führen. Lassen Sie uns den Ärzten und ihren Patienten vertrauen, und eine zivilrechtliche Regelung finden, die der Selbstbestimmung von Patienten Raum und Sicherheit gibt.

Auszüge aus der Rede von Katherina Reiche in der Orientierungsdebatte im Bundestag am 13. November 2014. Reiche hat den Gruppenantrag für ein Recht auf Sterbehilfe gemeinsam mit Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) initiiert. Zur Gruppe gehören neben Reiche unter anderen SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach (SPD).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })