Homepage: Etwas Sinnvolles im Alter
Der demografische Wandel aus Sicht einer Psychologin und Sozialpädagogin der Potsdamer Fachhochschule. Von Jutta M. Bott
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Das Jahr 2013 ist vom Bundesforschungsministerium zum Themenjahr „Die demografische Chance“ benannt worden. Die Frage, wie sich der Wandel gestalten lässt, steht dabei im Fokus. In den PNN stellen Wissenschaftler aus der Region ihre Arbeit und Erkenntnisse dazu vor.
Die Zahlen sind hinlänglich bekannt. Aufgrund der allgemeinen gesellschaftlichen Lebensumstände in den westlichen Industrieländern und des medizinischen Fortschritts ist heutzutage in Deutschland jeder Fünfte über 60 Jahre alt. Weitere Änderungen stehen in den nächsten Jahren bevor. Bis 2020 werden die Altersgruppen der 50- bis 65-Jährigen um 24 Prozent und der 80-Jährigen und Älteren um 48 Prozent wachsen. Im Land Brandenburg heißt es schon 2030, dass jeder Dritte im Rentenalter sein wird.
Man kann diese Veränderung der Bevölkerungspyramide, die sich nicht einfach umkehren lässt, als Bedrohung oder Chance begreifen. Was könnte daran die Chance sein? Die Situation muss politisch und gesellschaftlich gestaltet werden. Das betrifft einerseits gesellschaftliche Rahmenbedingungen, wie die auf dem Generationenvertrag beruhenden Sozialversicherungen, andererseits gesellschaftliche Leitbilder von Alter und Jugend überhaupt. Das Alter als Lebensphase ist nicht vorrangig grau, hinfällig, pflege- und hilfsbedürftig. Ältere Menschen sind – wenn sie aus dem Beruf ausscheiden – meist in einer gesundheitlich guten Verfassung und möchten mit den bevorstehenden Jahren etwas Sinnvolles machen. So engagieren sich viele Menschen neben der Unterstützung ihrer eigenen Kinder und Enkelkinder häufig für die jüngere Generation.
Mittlerweile gut etablierte und bekannte Projekte sind z.B. Wunschgroßelterndienste, Vorlesen in Kitas, Konfliktlotsen oder Mediatoren in Schulen, Berater für junge Menschen in der Berufsausbildung und Schulunterstützung für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Darüber hinaus bieten soziale und kulturelle Initiativen, Kirche, Gesundheitswesen, Altenhilfe und Altenpflege, Naturschutz und Freiwilligendienst in fremden Ländern viele Möglichkeiten des Engagements.
Aber neben der veränderten Bevölkerungspyramide der reichen Industriestaaten sind auch andere gesellschaftliche Fragen wichtig geworden, die teils direkt und teils indirekt mit der Entwicklung moderner Gesellschaften zusammenhängen. Viele Menschen stehen dem schnellen Leben, das auf Wachstum und steigenden Konsum setzt, kritischer gegenüber. Ältere, die zu diesem gesellschaftlichen Prozess und Lebensstil wesentlich beigetragen haben, stellen durchaus Fragen zur Nachhaltigkeit und ob diese Art, das Leben zu führen, richtig ist.
Jüngere Menschen, insbesondere wenn sie gut ausbildet sind, wollen sich häufig nicht in ständigen Konsum und immer mehr Besitz reindrängen lassen, probieren andere Formen des Teilens und Besitzens aus. Sie wollen mit weniger Hektik und Getriebensein ihr Leben bewusster gestalten. Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen – auch ältere Menschen gehören irgendwann dazu – machen sensibel, dass Normen der Normalität relativ sind und veränderungswürdig, damit viele Menschen ein gutes Leben führen können. Fragen von gesellschaftlicher Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt, in der das Billigsein von Waren für die reichen Industriestaaten auf den schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhnen in ärmeren kinderreichen Teilen der Welt beruhen, drängen sich auf, wenn es um Lebensstil, Lebenssinn und Ziele geht.
Nichtsdestotrotz gibt es sehr wohl Probleme, die mit der Bevölkerungsentwicklung einhergehen. Wir werden nicht eine bessere Gesellschaft, weil wir viele alte Menschen haben, sondern wir werden vielleicht eine bessere Gesellschaft, wenn wir dringende Fragen des Miteinanders, auch von Pflege und Unterstützung, Förderung der jungen Menschen, die aus einfachen oder ärmeren Verhältnissen stammen, und Fragen des Umgangs mit Migranten lösen.
Das Berlin-Institut hat 2007 in einer Studie für den Brandenburgischen Landtag zum Aspekt der Altenversorgung die Zukunft prägnant und klar beschrieben: „In manchen Brandenburger Dörfern wird die Bevölkerung 2030 mehrheitlich aus Alten und Hochbetagten bestehen, die dann prinzipiell einander pflegen müssten. Es werden kaum junge Menschen da sein, die diese Arbeit leisten – und es ist unklar, wer dafür aufkommt. Denn schon heute gibt es weder genug potenzielle Mitarbeiter noch ausreichend ökonomischen Spielraum für angemessene Pflegedienste.“ An solcher Art von Zukunftsszenarien wird sich zeigen, ob wir die demografische Chance einer neuen Sozialität bei aller individuellen Selbstverwirklichung schaffen werden.
Jutta M. Bott ist Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Potsdam.
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