Landeshauptstadt: „Etwas überspannt“
Der selbst ernannte Tatverdächtige aus der Schweiz wirkt unglaubwürdig. Selbst sein rechtsradikaler Anwalt traut ihm die Tat von Potsdam nicht zu
Stand:
Das Auftauchen des selbst ernannten Täters Marcus Sch. aus der Schweiz, der vorgibt, den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. in der Nacht zum Ostersonntag an einer Haltestelle in Potsdam-West niedergeschlagen zu haben, hat bei der Justiz keine Irritationen ausgelöst. Die Haftbeschwerde des Anwalts des Hauptverdächtigen Björn L., Matthias Schöneburg, wurde gestern abgelehnt. Demnach geht die Justiz weiter fest davon aus, dass Björn L. dringend tatverdächtig ist. Was im Umkehrschluss darauf hindeutet, dass man die Selbstbezichtigung von Sch. nicht wirklich ernst nimmt. Dieser wurde gestern in Zürich erstmals offiziell vernommen – dabei habe er die Ermittler nicht davon überzeugen können, dass er der Täter war, hieß es am späten Abend in Ermittlerkreisen.
Sch. verhielt sich bislang auch nicht wie ein Tatverdächtiger. Während diese sich vor einem Strafverfahren oder einem Prozess aus guten Gründen mit Äußerungen zurückhalten, hat der arbeitslose Züricher, der in einem Wohnheim lebt, offenbar kein Problem damit, sich in den Medien als Selbstdarsteller zu profilieren. In verschiedenen Tageszeitungen gab er in den vergangenen Tagen bereitwillig Auskunft über seine Person, seine angebliche Tat in Potsdam und seine Motivation. Auch ließ er sich in Pose fotografieren.
Was Sch. im Überschwang des medialen Interesses offenbar außer acht ließ: Die verschiedenen, von ihm stammenden Aussagen lassen sich vergleichen – und da widerspricht sich Sch. mehr als nur einmal. Während er der einen Tageszeitung mitteilte, dass er Björn L. nicht gekannt habe, sagte er gegenüber einem anderen Blatt aus, dass er Björn L. und Thomas M., den zweiten Tatverdächtigen, flüchtig kenne. In einem dritten Bericht teilte die Mutter von Björn L. mit, dass Sch. bei ihr angerufen habe um ihr mitzuteilen, dass ihr Sohn unschuldig sei.
Während Sch. in einer ersten Aussage gegenüber der Potsdamer Staatsanwaltschaft behauptete, dass gegen ihn in der Schweiz und in Deutschland wegen seiner rechtsradikalen Gesinnung ermittelt werde, seien die entsprechenden Nachforschungen über Interpol negativ gewesen, so Behörden-Sprecher Benedikt Welfens. Außerdem seien erste Aussagen von Sch. zum Tathergang undetailliert und widersprüchlich gewesen.
Übereinstimmend heißt es in Presseberichten auch, dass der Luzerner klar in Schweizer Dialekt sprechen würde, was auch Veikko Bartel, der frühere Anwalt des Tatverdächtigen Björn L., bestätigt, der Kontakt zu Sch. hatte. Die möglichen Täterstimmen auf dem Mitschnitt jenes Telefonats, dass das Opfer Ermyas M. kurz vor der Attacke in der Nacht zu Ostersonntag führte und das vom Anrufbeantworter seiner Frau aufgezeichnet wurde, wurden jedoch klar als märkisch eingestuft. Sch. behauptet hingegen, dass er bei seinen häufigen Besuchen in Potsdam bereits nach kurzer Zeit in den Dialekt seiner früheren Heimatstadt zurück falle. Bei der gestrigen Vernehmung soll sich aber heraus gestellt haben, dass er gar nicht in Potsdam geboren wurde
Dass Sch. der rechtsradikalen Szene angehören könnte, dafür spricht zumindest die Tatsache, dass er Mandant des Hamburger Anwalts Jürgen Rieger ist. Dieser zählt zu den bekanntesten deutschen Neonazis, stand bereits selbst mehrfach wegen rechtsextremistischer Vergehen vor Gericht. Er verteidigte unter anderem den Holocaust-Leugner Ernst Zündel, die Neonazis Horst Mahler und Michael Kühnen sowie die rechtsextremen Schläger, die im Februar 1999 den algerischen Asylbewerber Farid Guendoul durch Guben jagten und ihn dabei bis in den Tod trieben: Als Farid Guendoul die Glastür eines Wohnhauses eintrat, um Schutz zu suchen, verletzte er sich schwer und verblutete im Hausflur.
Rieger erklärte gestern, dass er Sch. „aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur“ nicht zutraue, die Tat begangen zu haben. Sch. habe ihn über seine angebliche Tat über den Anrufbeantworter des Telefons informiert, danach habe es in dieser Sache keine weiteren Kontakte gegeben. Er vertrete Sch. anwaltlich in einer anderen Angelegenheit. Rieger betonte, sein Mandant sei ein „eher zartes Persönchen“ und könne eigentlich „keiner Fliege etwas tun“. Sch. sei „etwas überspannt“. Rieger: „Ich halte die Selbstbezichtigung für nicht zutreffend.“ Weitere Einzelheiten wollte er mit Verweis auf den Mandantenschutz nicht nennen.
Michael Erbach
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: