Straßenbahnen in Potsdam: Fahrplan statt Lehrplan
In Potsdam steuern auch Studenten die Straßenbahn. BVG und S-Bahn halten davon nichts.
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Potsdam/Berlin - In Potsdam ist möglich, was in Berlin gar nicht geht: Ein Student steuert eine Tram. Der 25-jährige Denis Newiak, der es in die Endauswahl für einen Marsflug geschafft hat (PNN berichteten), ist beim Potsdamer Verkehrsbetrieb (Vip) einer von zwei studentischen Aushilfen im Tramcockpit. In den nächsten Wochen beendet er nach einem halben Jahr seine Ausbildung und darf dann allein am Steuer sitzen – nach 200 Fahrstunden und zehn Fahrten mit einem erfahrenen Kollegen.
Was in Potsdam eine Ausnahme ist, lehnt Berlin völlig ab: Die BVG, die in Berlin das Straßenbahn-, Bus- und U-Bahnnetz betreibt, beschäftigt keine Studenten als Fahrer. Um langfristig und zuverlässig planen zu können, setze man auf fest angestellte Fahrer, sagte Sprecherin Petra Reetz. Außerdem sei man in der Lage, auch Spitzenverkehre mit dem vorhandenen Personal fahren zu können. Auch bei der S-Bahn sind Studenten als Fahrer kein Thema. Die Ausbildung dauere zu lang, was bei einer nur vorübergehenden Tätigkeit als Fahrer unwirtschaftlich wäre, sagte ein Sprecher.
Beim Vip ist man anderer Ansicht. Die Erfahrungen seien positiv, sagte Vip-Sprecher Stefan Klotz. „Beide Kollegen sind sehr engagiert und haben ein gutes technisches Verständnis“, sagte er. Sie leisteten einen qualitativ genauso guten Dienst wie die Stammkräfte. Die Studenten kommen wegen des Studiums allerdings nur sporadisch zum Einsatz. Sie seien aber bei besonders starker Nachfrage wegen Großveranstaltungen wie der Schlössernacht eine willkommene Unterstützung, sagte Klotz weiter.
An Bewerbern für den Job mangelt es dem Vip nicht: Oft werden erfahrene Busfahrer zu Straßenbahnfahrern weiterqualifiziert. „Diese sogenannten Kombifahrer ermöglichen uns zudem einen flexibleren Einsatz entsprechend der jeweiligen Verkehrs- und Personalsituation“, sagte Klotz. Perspektivisch werde aber auch die Vip von den Entwicklungen der Alterspyramide betroffen sein. Neue Tramfahrer anzustellen ist jedoch nicht so einfach: Die Fahrerlaubnis für Straßenbahnen müsse grundsätzlich für das jeweilige Streckennetz und die dort verkehrenden Straßenbahntypen erworben werden, so Klotz. „Wer in Potsdam fahren will, muss hier die Berechtigung erwerben“, sagte er. Vorkenntnisse aus anderen Städten seien zwar sehr hilfreich, allein aber nicht ausreichend.
Während Denis Newiaks Flug zum Mars die ganz große Ausnahme ist, sind Studenten als Fahrer von Straßenbahnen Alltag in mehreren Städten. Die Kölner Verkehrsbetriebe planen schon seit Jahren mit studentischen Aushilfen. Die Ausbildung dauert zwei Monate. In der Regel sitzen die Studenten zwischen acht und 20 Stunden wöchentlich in der Fahrerkabine. Vor allem bei Großereignissen, wenn es Sonderverkehre gibt, sind die Studenten gefragt. Und bezahlt wird relativ gut; meist mehr als bei anderen Aushilfsjobs. Cottbus hat gleich fünf unter Vertrag, die vor allem wie in Köln den Spitzenbedarf abdecken sollen, wie eine Sprecherin sagte. Einige, die ihr Studium abgeschlossen haben, überbrückten als Fahrer auch die Zeit bis zum Berufsstart.
Doch unumstritten sind die Aushilfen nicht. In Internetforen bezeichnen Kritiker sie sogar als Sicherheitsrisiko; ein Vorwurf, den die Cottbuser Verkehrsbetriebe entschieden zurückweisen. Die Ausbildung sei anspruchsvoll, und wer dann die Prüfung bestehe, sei auch geeignet, 300 Fahrgäste in einer Bahn sicher durch die Stadt zu fahren, sagte ein Sprecher. Und dass Studenten ständig durchfeiern und dann die Straßenbahn steuern, sei ein Vorurteil. Aber auch in der Belegschaft sind die Kollegen von der Uni nicht immer willkommen. Vor allem Gewerkschafter befürchten, dass die Aushilfen Arbeitsplätze für feste Mitarbeiter blockieren könnten.
Während die jungen Fahrer woanders begehrt sind, verzichten Verkehrsbetriebe in der Regel auf Rentner als Aushilfen am Steuer, obwohl es sogar für Busfahrer keine gesetzliche Altersgrenze gibt. Auf Ältere greifen aber gern private Firmen zurück, die im Auftrag Linienverkehr betreiben. Vor zwei Jahren hatte ein damals 71-Jähriger in Berlin beim Abbiegen einen 76-jährigen Fußgänger erfasst und tödlich verletzt. Ein „Augenblicksversagen“ – unabhängig vom Alter des Fahrers, urteilte das Gericht und verhängte eine Geldstrafe.
HINTERGRUND
Der Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH (Vip) betreibt sieben Straßenbahn- und rund 20 Buslinien sowie eine Fährverbindung. Das komplette Streckennetz ist 389 Kilometer lang. Die Busse und Bahnen nutzen laut Vip jährlich mehr als 29 Millionen Fahrgäste – eine Steigerung um 43 Prozent in zehn Jahren. 400 Mitarbeiter sind beim ViP angestellt. Der ViP ist ein kommunales Unternehmen und Teil der Stadtwerke. Mit den Gewinnen, die etwa die Stadtwerke-Tochter Energie und Wasser Potsdam (EWP) abwirft, wird dabei auch die Arbeit des Vip bezuschusst. Auf dem knapp 80 Kilometer langen Streckennetz sind bis zu 49 Trams unterwegs. 101 Straßenbahnfahrer arbeiten für den Vip. Die 54 Linienbusse des Vip werden von 137 Fahrern gesteuert. Insgesamt gibt es in Potsdam 127 Straßenbahn- und 496 Bushaltestellen. Davon sind die Haltestellen Brandenburger Straße, Nauener Tor, Rathaus, Reiterweg/Alleestraße und Im Bogen/Zeppelinstraße nicht barrierefrei. Die Haltestelle am Rathaus wird bis Oktober 2014 umgebaut. (PNN)
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