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Ohne Skrupel. Die Zahl der Fahrraddiebstähle in Potsdam ist rasant angestiegen. Die Täter schlagen selbst in Fahrradgeschäften zu. Verbraucherschützer, Stadt und Polizei raten zur Vorsicht.

© dpa

Kriminalität: Fahrraddiebe in Potsdam immer dreister

2013 wurden täglich fünf Räder gestohlen, jetzt schlagen Täter auch in Radläden zu. Experten warnen

Stand:

Innenstadt - Nur schnell Brötchen holen? Eine Potsdamerin hatte am Mittwochmorgen in der Friedrich-Ebert-Straße nur noch das Nachsehen. Als sie auf ihr auf dem Fußweg abgestelltes Rad steigen wollte, hatte sich ein Dieb schon auf den Sattel geschwungen und davon gemacht. Auch mit lauten Rufen und einem Sprint hinter dem Raddieb her in Richtung Platz der Einheit war nichts mehr zu machen, der Mann entkam. Offenbar hatte er nur darauf gewartet, dass ein argloser Radler in einen Laden verschwindet, ohne sein Rad abzuschließen.

Der Vorfall ist kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 1850 Raddiebstähle bei der Polizei angezeigt – statistisch gesehen haben Fahrraddiebe jeden Tag fünfmal zugeschlagen. Erst vor kurzem landete Potsdam bei einem Vergleich des Versicherungsportals „Geld.de“ als Hochburg der Fahrraddiebe auf Platz sieben von 80 untersuchten Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern (PNN berichteten). Die Langfinger sind offenbar stadtweit aktiv, besondere Schwerpunkte konnte die Polizei noch nicht ausmachen.

Selbst die Stadtverwaltung rät angesichts der rasant steigenden Zahl von Raddiebstählen mittlerweile zu besonderer Vorsicht. Am Fahrradschloss sollte man nicht sparen, mahnt die Stadt etwa. Potsdamer sollten ihre Räder immer mit dem Rahmen an einen fest eingebauten Gegenstand – etwa einen Fahrradständer oder einen Laternenmast – angeschließen, um es Dieben möglichst schwer zu machen. Die Stadt rät zudem dazu, Räder über Nacht hinter verschlossenen Türen im Keller oder in der Wohnung abzustellen.

Empfohlen wird auch, Informationen wie die Rahmennummer, Marke und Modell des Fahrrads zu notieren und das Rad zu fotografieren. Das könne im Ernstfall die Fahndung erleichtern. Gleiches gelte für eine Codierung des Rades – die nächsten Termine in Potsdam bietet die Polizei dafür am 27. August zwischen 14 und 17 Uhr in der Kleingartenanlage am Hinzenberg und am 29. August zwischen 10 und 15 Uhr im Polizeipräsidium in der Kaiser-Friedrich-Straße an.

Ähnliches empfehlen auch Verbraucherschützer. Nur mit einer Codierung oder entsprechenden Belegen könne der Bestohlene nachweisen, dass das Rad – sollte es wiedergefunden werden – ihm gehört, betonte Sylvia Schönke, Beraterin bei der Verbraucherzentrale Brandenburg. Der Nachweis sei aber auch für eine Entschädigung durch die Versicherung wichtig. Wird das Rad aus der Wohnung oder aus dem privaten Keller gestohlen, sei es über die normale Hausratsversicherung versichert, erklärte Schönke. Gegen Diebstahl aus Gemeinschaftskellern oder von anderen Orten sei dagegen ein zusätzlicher Versicherungsschutz nötig: Entweder eine Spezialklausel in der Hausratversicherung oder eine gesonderte Versicherung gegen Fahrraddiebstahl. Welche Variante sinnvoll ist, hänge unter anderem vom Wert des Rades, aber auch von den Lebensumständen ab, sagte Schönke. So könne sich etwa für einen Studierenden, der keinen großen Hausrat zu versichern hat, eine Spezialversicherung für das Rad lohnen. In jedem Fall solle man die Angebote verschiedener Versicherungen vergleichen. Die Verbraucherzentrale biete dazu auch eine Beratung an.

Auch für Fahrradläden und -werkstätten in Potsdam sind die Diebstähle mittlerweile Thema – und das nicht nur, weil Kunden nach sicheren Schlössern fragen. Denn selbst vor den Geschäften machen die Täter offenbar keinen Halt. Steffen Linke von der „Räderei am Kanal“ und Riccardo Rath, Werkstattleiter in „Helmuts Fahrradcenter“ in der Breiten Straße, berichteten den PNN am Mittwoch übereinstimmend von einer perfiden Masche: In beiden Geschäften waren demnach Männer erschienen – gut gekleidet, im Anzug –, die vorgaben, ein Rad probefahren zu wollen. Sie seien dann aber mit dem Rad auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Der als Pfand zurückgelassene Personalausweis stellte sich als falsch heraus. Diebe hätten aber auch schon zugeschlagen, wenn besonders viele Kunden im Geschäft waren, sagte Rath.

Linke kritisiert, dass die Polizei zu wenig unternehme, um verschwundene Räder aufzuspüren – selbst wenn es Hinweise und Spuren gebe. So hätten die Beamten nach einem Diebstahl aus seinem Geschäft eine mehrmonatige Wartezeit für die Auswertung von Fingerabdrücken in Aussicht gestellt. Ähnlich hilflos habe die Polizei reagiert, als er sie auf ein möglicherweise gestohlenes Rad aufmerksam machen wollte: „Ab und zu bekomme ich ein Fahrrad in die Werkstatt, das mir komisch vorkommt, zum Beispiel weil ich weiß, dass es einem anderen Kunden gehört hat“, erklärte Linke. Als er der Polizei die Rahmennummer eines solchen Rades faxen wollte, um es auf eine eventuelle Diebstahlmeldung prüfen zu lassen, hätten die Beamten aber nur die Hände gehoben. Von ähnlichen Erlebnisse berichteten auch seine Kunden immer wieder.

Die Polizei selbst bezifferte die Aufklärungsquote bei Raddiebstählen in Potsdam zuletzt auf 10,5 Prozent – das ist sogar etwas besser als der Bundesdurchschnitt von 9,6 Prozent. Trotzdem können die Beamten bei neun von zehn gestohlenen Rädern nicht helfen. Radhändler Linke vermutet – wie die Polizei auch –, dass professionelle Diebesbanden viele Räder in Richtung Osteuropa schaffen. Mittlerweile rufe bei ihm die Bundespolizei ab und zu an: „Wenn sie unsere Aufkleber auf einem gefundenen Rad sehen – dann können wir eine Adresse des Käufers heraussuchen.“ mit wik

STATISTIK

1850 Fahrraddiebstähle sind laut Polizei im Jahr 2013 in Potsdam angezeigt worden – ein Anstieg um 50 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Damals gab es 1250 registrierte Fälle, 2011 lag die Zahl bei 1223. Die Polizei geht davon aus, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher liegt, weil viele Fälle nicht angezeigt werden. Die Polizei hatte vor dem Sommer verstärkte Kontrollen angekündigt – mit Zivilstreifen an Orten, an denen viele Räder abgestellt sind, wie beispielsweise dem Hauptbahnhof. Im August und im September sind neben den Kontrollen im Rahmen des normalen Streifendienstes weitere Schwerpunktkontrollen über mehrere Tage geplant, sagte ein Polizeisprecher am Mittwoch auf PNN-Anfrage. Die Polizei vermutet, dass auch organisierte Banden hinter den Diebstählen stecken. 36,6 Prozent der im vergangenen Jahr erwischten Fahrraddiebe in Potsdam stammten laut Polizei nicht aus Deutschland. (jaha)

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