ZUR PERSON: „Fahrt mit angezogener Handbremse“
Gerrit Gohlke vom Brandenburgischen Kunstvereins (BKV) über Bildende Kunst in Potsdam
Stand:
Wie geht es derzeit der Bildenden Kunst in Potsdam?
Die Frage lässt sich in zwei Richtungen beantworten. Es gibt einen erkennbaren Aufbruch und die freie Szene ist ein Stück näher zusammengerückt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht besteht in der Lage der Förderung für die Freien Träger, die seit Jahren trotz viel versprechender Ansätze und vieler Gespräche auf sehr niedrigem Niveau stagniert. Dadurch gleichen alle unsere Bemühungen von Anfang an einer Fahrt mit angezogener Handbremse.
Verspricht die geplante Verdreifachung der Projektförderung in Potsdam auf 30 000 Euro ab 2008 da nicht eine deutliche Verbesserung?
Jede Verbesserung ist willkommen, was aber fehlt, ist eine grundsätzlich gesicherte institutionelle Förderung.
Unterscheidet sich denn die institutionelle Förderung in Potsdam so stark von der in anderen Städten?
Städte wie Freiburg und Münster haben einen Etat für die institutionelle Förderung, der sich im Millionenbereich bewegt. Da ist so viel Förderung vorhanden, dass professionelles Arbeiten und produktiver Austausch erst möglich wird. Wir befinden uns da seit Jahren an der alleruntersten Skala und Besserung ist nicht in Sicht. Das ist kein Problem. Das ist ein Drama.
Und die bisherige Projektförderung?
Die freie Projektförderung für Bildende Kunst lag in diesem Jahr bei 10 000 Euro. Will man aber gute Kunst für eine Ausstellung nach Potsdam holen, kann man mit diesem Betrag nicht einmal den Transport und die notwendigen Versicherungen abdecken.
Also heißt Ihre Forderung: Mehr Geld?
Das Umschichten von irgendwelchen Etats hilft da nicht. Potsdam muss grundsätzlich erkennen, dass auch Gegenwartskunst zur Kultur der Stadt gehört und den Initiativen ermöglichen, die notwendigen Projekte durchführen zu können. Die Vereine werden durch die geringe Unterstützung ständig behindert, denn ständig wird eine Leistungssteigerung gefordert, bevor sie überhaupt anfangen können zu arbeiten. Institutionelle und Projektförderungen müssen deutlich ansteigen auf das Niveau von anderen vergleichbaren Städten.
Das klingt doch ziemlich unrealistisch.
Natürlich muss das Schritt für Schritt geschehen. Uns ist klar, dass das nicht von einem Tag auf den anderen geht. Aber bisher fehlt jegliches Signal seitens der Stadt, dass sich da überhaupt etwas bewegt. Potenzial gibt es in dieser Stadt genug.
Zum Beispiel?
Da sind die ganzen wissenschaftlichen Einrichtungen wie das Max-Planck-Institut oder das Geoforschungszentrum, mit denen wir ja schon zusammen gearbeitet haben. Und die sind offen für derartige Projekte.
Vielleicht kommt einfach kein Signal, weil die Stadt kein Geld hat.
Langfristig bleibt der Stadt gar nichts anderes übrig als kreativ zu überlegen, woher die nötigen Gelder kommen könnten. Da muss es auch offene Gespräche mit den Vereinen geben, die nicht länger als die ungeliebten Antragsteller zu betrachten sind. Wir können nicht einfach stehen bleiben und sagen, wir haben kein Geld und sowieso ganz andere Sorgen. Diesem defensiven Denken fehlt jegliche zukunftsweisende Vision.
Wie sieht unter solchen Widrigkeiten die Arbeit des Brandenburgischen Kunstvereins aus?
Auf der kreativen Ebene wird versucht, mit den begrenzten Mitteln gute Ausstellungen zu ermöglichen. Da bekommen wir sehr viel Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern. Es ist uns auch gelungen, gute Partner zu finden wie beispielsweise die königliche Akademie in Kopenhagen oder der Bankenverband der Volks- und Raiffeisenbanken. Ohne diese Partnerschaften wäre dieser Verein längst geschlossen. Das Dach über unseren Köpfen bezahlen wir mit Fördermitteln, der ganze Rest für die sonstige Arbeit stammt aus Drittmitteln.
Ist unter solchen Umständen überhaupt eine vernünftige Planung möglich?
Unsere Planung reicht immer nur bis kurz hinter die nächste Monatsgrenze. Die Kollegen in Münster beispielsweise planen jetzt schon für das Jahr 2009.
Hört sich nicht so an, als ob Sie so überhaupt auch nur im Ansatz professionell arbeiten können?
Wir arbeiten auf professionellem Niveau. Auch wenn es wie Eigenlob klingt, aber wir waren vorgeschlagen für den deutschen Kunstvereinpreis der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine, der jedes Jahr auf der Art Cologne vergeben wird. Uns werden Ausstellungen angetragen, wir sind in Jurys vertreten und wir sind einer von zwei ostdeutschen Kunstvereine im Dachverband der Kunstvereine. Wir sind dabei, Potsdam auch international als Standort für Gegenwartskunst zu etablieren. Das ging unter den gegenwärtigen Umständen als Gewaltakt bis heute. Es wird aber nicht mehr unbegrenzt durch Selbstausbeutung und Notspendeaktionen so weiter gehen.
Wie viele Ausstellungen macht der Kunstverein im Jahr?
Das sind sechs Ausstellung in unseren Räumen in der Brandenburger Straße. Dazu kommen dann noch weitere Veranstaltungen.
Mit welchem Ziel wurde der Brandenburgische Kunstverein vor 15 Jahren gegründet?
Ziel war es in dieser Stadt durch bürgerliche Engagement Gegenwartskunst zu etablieren – Kunst, die begeistert, gerade weil sie auch aneckt.
Wenn das Ziel des Vereins darin besteht, Gegenwartskunst in Potsdam zu etablieren, warum dann nicht der Name Potsdamer statt Brandenburger Kunstverein?
Weil wir uns als Leuchtturm auf Landesebene sehen wie der württembergische, wie der westfälische Kunstverein. Natürlich wollen wir uns nicht nur auf Potsdam beschränken sondern mit unterschiedlichsten Projekten in das ganze Land ausstrahlen. Unter den derzeitigen Bedingungen ist das allerdings utopisch.
Wie viele Mitglieder hat der Verein?
Eigentlich hätten wir gern 500 doch sind wir derzeit 50. Das ist guter Standard bei den Neugründungen in den neuen Bundesländern.
Woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass die Gegenwartskunst in Potsdam den Stellenwert hat, dass die von Ihnen geforderte deutliche Erhöhung der Institutions- und Projektförderungen gerechtfertigt ist?
Wir haben ein Publikum, von dem ich wirklich begeistert bin. Für unsere Besucher ist das nicht einfach nur Kunst, die man sich an die Wand hängt. Die reagieren auf das, was wir hier zeigen. Und hier gibt es eine Szene, die sich mächtig bewegt. Kunst wird nicht in New York und auf der Messe in Miami gemacht, sondern hier bei uns in den Ateliers. Die Stadt muss endlich begreifen, dass Kultur in Potsdam nicht nur Musik und Theater ist. Und sie muss erkennen, dass Kultur nicht einfach nur eine Spende, sondern ein prosperierender Markt ist, mit dem andere Städte längst erfolgreich wachsen!
Das Gespräch führte Dirk Becker
Gerrit Gohlke ist Publizist und schreibt über Kunst und Kultur. Seit Herbst 2007 ist er Redakteur des Online-Magazins artnet.de. Den Brandenburgischen Kunstverein Potsdam hat er zuerst als Autor kennengelernt, als er 1994 die Kippenberger-Retrospektive rezensieren sollte. Seither war er ständig mit dem Verein in Kontakt. 2004 wurde er Mitglied des Vorstandes, dessen Vorsitzender er inzwischen ist. Seine Erfahrungen mit Institutionen reichen weit zurück, so war er Leiter eines Medienlabors am Künstlerhaus Bethanien und hat zahlreiche Projekte zu Grenzgebieten der Kunst veranstaltet. Seit 2006 ist er Lehrbeauftragter an der F+F Schule für Kunst und Mediendesign in Zürich. In diesem Jahr hat er ein Buch über den Berliner Maler Frank Nitsche publiziert.
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