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Ulla Luther.

© Andreas Klaer

ZUR PERSON: Fair, aber streng

„Bitte erwarten Sie nicht, dass wir die Allheilinstitution sind.“ „Die Kriegsverluste haben eine Sehnsucht nach Vergangenem entstehen lassen.“ „Es muss zur Auszeichnung werden, in Potsdam bauen zu dürfen.“ Die Vorsitzende des Potsdamer Gestaltungsrates, Ulla Luther, über die Verantwortung von Bauherren und Architekten in Potsdam

Stand:

Frau Prof. Luther, widersprechen Sie mir bitte: Heutige Architekten sind egozentrisch, erwerbsorientiert, sie sind Erfüllungsgehilfen ignoranter Bauherren und können nur quadratisch praktisch, aber nicht gut bauen.

Ach, nein! Das kann ich so nicht stehen lassen. Unsere Berufsgruppe ist in hohem Maße engagiert. Sie ist natürlich auch Dienstleister von Bauherren, auf die wir angewiesen sind. Es ist ein Geben und Nehmen aller Parteien, der Öffentlichkeit, der Stadt, der Architekten und Architektinnen und der Bauherren. Es ist wie in jeder Berufsgruppe: Unter den Architekten gibt es wenige sehr gute, und eine Vielzahl guter, mittelmäßiger und schlechter. Und da haben Sie mir nun gerade die schlechtesten Attribute unserer Berufsgruppe entgegengehalten. Es gibt äußerst engagierte Architekten, die um hervorragende Architektur ringen, damit wir in guter Umgebung und lebenswerten und schönen Städten leben können.

In schönen Städten leben – damit assoziieren viele Menschen ein Leben in Städten mit historischer Bausubstanz.

Unter anderem. Aber es gibt auch schöne und faszinierende Städte auf unserem Globus, die ganz anders aussehen – wie zum Beispiel die neuen boomenden Städte in Asien, wo Menschen fasziniert sind von dem Neuen. Ich glaube, dass das etwas sehr Europäisches ist, dass schöne Städte mit historischer Bausubstanz verbunden werden – weil wir auf eine sehr alte und lange städtische Kultur zurückschauen können. Die hohen Kriegsverluste haben in Deutschland eine besondere Sehnsucht nach Vergangenem entstehen lassen. Wenn man in Potsdam aufwächst, ist die Prägung durch historische Bauten vorgegeben und ihre Schönheit zu empfinden ist unausweichlich.

Sie sagen also: Architekten unserer Tage bauen auch verantwortungsvoll. Aber warum brauchen wir dann einen Gestaltungsrat in Potsdam?

Ich unterstütze dieses Gremium, weil ich meine, dass es ein Stück Baukultur darstellt, öffentlich und kontrovers über die Gestaltung neuer Bauwerke zu diskutieren – um zu verdeutlichen, welch hoher Kunst es bedarf, um in dieser Stadt angemessene und qualitätsvolle Gebäude hinzuzufügen.

Ist es nicht interessant, dass die Kritik an „Stuttgart 21“ auch eine an der modernen Architektur und ihren Dimensionen ist?

Ja, wobei „Stuttgart 21“ noch ganz andere Facetten berührt. Die heutige Demokratie muss meines Erachtens Veränderungen erfahren. Die demokratischen Entscheidungsprozesse müssen zum Teil verändert werden, sie müssen unmittelbarer und öffentlicher gestaltet werden. Eine aufgeklärte Bevölkerung goutiert die ausschließlich in gewählten Parlamenten gefallenen Entscheidungen nicht mehr. Der bestehende Lobbyismus hat wesentlich dazu beigetragen. Insofern finde ich den Ansatz in Potsdam gut, Projekte – neben der politischen Diskussion – nochmals im Gestaltungsrat öffentlich zu diskutieren, wenn es um ihre Gestaltung geht. Wobei diese Einschränkung gilt: Der Bauherr muss zustimmen, er investiert Geld und geht ins Risiko.

Transparenz bringt viel. In Potsdam habe ich aber auch das Gefühl, dass die Expertise zu kurz kommt. Viele Bauherren und Architekten bringen davon zu wenig mit.

Das mag sein. Als Architekt muss man sich auch dem Ort verschreiben. Manchmal geht das natürlich nur begrenzt, da die Wirtschaftlichkeit eines Projektes bedacht werden muss. Dass diese Stadt für jeden Architekten und Bauherren eine besondere Herausforderung darstellt, als manch andere, ist klar. Potsdam ist ein einzigartiges Kleinod. Menschen ziehen vorrangig wegen der Schönheit dieser Stadt mit ihrem ganz besonderen Flair hierher. Die Architektur und die Geschlossenheit des Stadtbildes tragen maßgeblich dazu bei. Man muss natürlich auch sagen, mit Potsdam ist während des Krieges und danach häufig grob fahrlässig umgegangen worden.

Mit mangelnder Expertise meinte ich auch: Schinkel konnte noch zeichnen wie Dürer

Täuschen Sie sich nicht, das können auch viele Architekten heute noch

Sie sind ja selber auch Hochschullehrerin gewesen.

In dem Bereich nicht, ich habe Stadtmanagement gelehrt. Aber zu meiner Ausbildung gehörte auch Malen und Zeichnen, Porträtmalerei und das schnelle Skizzieren von architektonischen Situationen sowie Aktzeichnen. Jetzt bemühe ich mich gerade wieder um die Porträtmalerei. In unserem Beruf hatte immer nicht nur das Mathematisch-Technische sondern immer auch das Ästhetisch-Künstlerische eine Bedeutung. Das heißt nicht, dass jemand, der gut malen und zeichnen kann, auch gleich ein guter Architekt ist.

Die Architektur wird auch als Königin der Künste gesehen.

Dem würde ich zustimmen. Ich rede natürlich pro domo, da ich von meinem Beruf bis heute begeistert bin. Er vereint alle Künste in sich. Deshalb gibt es wohl auch so wenige wirklich den Jahrhunderten standhaltende Gebäude. Wo alles stimmt, außen, innen, der Weg in die Zukunft, der Umgang mit dem Umfeld, die Proportionen, das Einfügen in die Landschaft, die Bereicherung für den Stadtraum.

Architektur ist auch eine Kunst mit Verantwortung für die Allgemeinheit. Ein Bild, dass mir nicht gefällt, kann ich abhängen, ein hässliches Haus muss ich ertragen.

Deshalb finde ich es gut, dass wir im Gestaltungsrat öffentlich diskutieren. Mich erstaunt immer wieder wie unkritisch der überwiegende Teil der Bevölkerung die Gestaltung ihres Umfeldes hinnimmt, obwohl sie täglich und damit stärker auf jeden Einzelnen einwirkt als ein Musikstück oder ein Film. Bei Kunstwerken dieser Art kann man wählen, ob man diese annimmt.

Wobei die Potsdamer ja vehement um Architektur streiten.

Das begeistert mich auch sehr. Der qualitative Anspruch muss dabei für alle Stilrichtungen gelten. Schinkel und Persius haben für ihrer Zeit Neues geschaffen, das muss auch heute gelten. Lassen Sie mich Schinkel zitieren: „Nur das Neue erklärt das Vergangene.“ Man muss das Neue im Kontext des Alten zulassen – und am Alten messen.

Potsdam hat ja schon Neues zugelassen – das Bahnhofs-Center, das Haus der Industrie- und Handelskammer – und ist enttäuscht worden.

Heutige Architektur ist häufig kubisch und solitär angelegt und auch nicht mehr so geschmückt , dennoch gibt es hervorragende Leistungen, wie in allen Zeiten. Es ist wie mit der modernen Musik oder Malerei. Die Expressionisten waren in ihrer Zeit höchst umstritten, heute wird niemand bezweifeln, dass es sich um große Kunst handelt. Es gilt aber auch, dass man sie nicht mögen muss.

Aber Kunst kommt von Können. Bei vielen heute entstehenden Gebäuden sehe ich nicht einmal ein Regenkonzept, da blühen schon nach einem Jahr die Algen am Putz.

Bauen bedarf eines hohen technischen Knowhows. Der heutige Markt, wird von einer ungeheuren Vielzahl von neuen Produkten überschwemmt, so dass die richtige Auswahl zu treffen für die Bauschaffenden nicht ganz einfach ist. Dass die Stadtgesellschaft da aufpasst, zeichnet Potsdam aus. Hier leben sehr gebildete und an der Stadt interessierte Menschen, die sagen, wir lassen uns nicht alles gefallen, was Architekten und Bauherren mit dieser Stadt vorhaben; wir wollen, dass die Stadt ansprechend gestaltet wird und wir uns hier wohl fühlen.

Beschreiben Sie doch einmal die Bauaufgabe, die Potsdam zu bewältigen hat: Sich eine neue Mitte zu geben, weil die alte verschwunden ist

Sie wissen ja, in der Nachbarstadt, der großen Schwester Berlin, passiert ähnliches. Die Auseinandersetzung ist dort noch nicht so weit gediehen wie hier in Potsdam. Der Verlust der Mitte, mit dem Schloss und der daraus resultierenden Kraft, die diese Regierungsform für die Stadtentwicklung hatte und nun, die Suche nach einer neuen Mitte – das ist schon eine einmalige Situation. Die ästhetische Herausforderung mit dem neuen inhaltlichen Anspruch zu verbinden und in eine Form zu bringen, die dieser Stadt nicht nur Vergangenes wiedergibt, sondern auch einen Weg in die Zukunft eröffnet, ist eine der größten Herausforderung für die nächsten Jahre und bestimmend für die Zukunft der Stadt.

Was muss Potsdam tun, um die Avantgarde des Bauens nach Potsdam zu holen, die „Schinkels“ und „Persiusse“ von heute?

In dem wir einen Anspruch formulieren. Ich glaube, die Stadt ist auf gutem Wege dahin. Sowohl die Bevölkerung als auch die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung müssen erklären: Wir wollen hier nur die Besten. Es muss zur Auszeichnung werden, in Potsdam bauen zu dürfen. Erreicht wird dieser Anspruch durch Standfestigkeit und öffentlichen Dialog. Ich nenne gerne Salzburg als Beispiel, die Stadt hat sehr früh einen Gestaltungsrat eingesetzt, als zu befürchten war, dass das Gesamtkunstwerk Salzburg durch banale Architektur verloren zu gehen droht. Diese Vorgehensweise machte Schule, sie führte zu öffentlichen Diskussionen über Architektur und zur Einrichtung von Gestaltungsgremien in ganz Deutschland.

In der ersten Sitzung des Gestaltungsrates monierten Sie, dass der Rat einen Entwurf nur noch abwinken soll. Das wirkte sehr kämpferisch

Das ist meine Art. Geschult durch mein Berufsleben, setzte ich mich immer noch mit großer Leidenschaft für Anspruch, Schönheit und den speziellen Ort bei Neubauten ein.

Wird sich der Rat nur Projekte ansehen, die noch nicht genehmigt sind?

Laut Satzung ist das so festgelegt. Grundsätzlich sind genehmigte Bauten nicht mehr zu beurteilen, da die Bauherren eine Baugenehmigung erhalten haben.

Es sind bereits einige Sachen in der Pipeline, die strittig sind: Die Alte Post am Platz der Einheit, der Dreiseitenhof in der Ribbeckstraße Da ist es schade, dass der Gestaltungsrat so spät kommt.

So ist das im Leben, irgendwann fängt man an. Bitte erwarten Sie nicht, dass wir die Allheilinstitution sind. Wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht mit zu großer Schärfe in unserem Urteil Bauherren verschrecken. Der Gestaltungsrat muss unter Beweis stellen, dass Projekte sich zum Besseren befördern lassen, dass es eine Auszeichnung ist, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir müssen durch sichere und präzise Argumentation zu höherer Qualität führen.

Der Architekt des ersten Projektes, das sie bewerteten, war recht bedrückt nach ihrer Kritik

Er war auch das Versuchskaninchen. Wir sind ein Gremium, das klar formulieren will und das die Baukultur vermitteln will, dass man Dinge präzise sieht. Er weiß ja auch, in welcher Stadt er baut und arbeitet mit großem Engagement – und dann kommen wir und sagen, an der Stelle und an der Stelle funktioniert es nicht. Es ist nicht leicht, das an öffentlicher Stelle gesagt zu bekommen. Aber das muss jeder Architekt und Bauherr aushalten, denn er darf in Potsdam bauen. Wir waren, finde ich, fair, aber streng.

Das Interview führte Guido Berg

Ulla Luther wurde 1944 in Celle geboren. Sie hatte mütterlicher- als auch väterlicherseits Architekten in der Familie. Ihr Urgroßonkel entwarf den alten Lehrter Bahnhof in Berlin. Sie studierte in Hannover Architektur. Auf Jamaika arbeitete sie als Entwicklungshelferin. Weitere Stationen ihres Berufslebens waren Hamburg, Lübeck, Berlin. In Bremen wurde sie 1997 Staatssekretärin für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung. Danach war sie Geschäftsführerin der Landesentwicklungsgesellschaft Berlin. Dem folgte eine Gastprofessur an der Universität Cottbus. Zu ihren Steckenpferden gehört die Malerei und das Reisen. Ulla Luther fotografiert gern und ist Autorin mehrerer Publikationen, etwa über die alte Mitte von Berlin. Am morgigen Dienstag leitet sie die zweite Sitzung des Potsdamer Gestaltungsrates. gb

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