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Von Kay Grimmer: Falsche Zahlen im Sozialbericht bemängelt

Awo kritisiert überholte Handlungsempfehlungen Verwaltung zeigt sich „überrascht“ über Vorwürfe

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Mit deutlicher Kritik hat die Arbeiterwohlfahrt (Awo) auf den aktuellen Sozialbericht der Stadt reagiert. Im Sozialausschuss am Dienstagabend protestierte vor allem die Leiterin des Potsdamer Obdachlosenheims, Christa Zinnecker, gegen die „Missachtung unserer Arbeit“. Das Papier enthalte falsche Zahlen, fehlende Arbeitsbeschreibungen sowie unvollständige und überholte Handlungsstrategien. „Sie stellen das Obdachlosenheim negativ dar“, bemängelte Zinnecker.

Als falsch wurden insbesondere die geschätzten Fälle von Alkoholerkrankungen im Obdachlosenheim kritisiert. Im Sozialbericht hieß es dazu: „Es ist davon auszugehen, dass derzeit circa 50 Prozent der Bewohner als alkoholkrank diagnostiziert und weitere 30 Prozent durch Alkoholkrankheit gefährdet sind“. Dazu Leiterin Zinnecker: „Wir haben konkrete Zahlen und keine Schätzungen.“ Bei der letzten umfassenden Untersuchung seien von insgesamt 105 Bewohnern 33 Personen als alkoholkrank eingestuft worden – „nach der international standardisierten IDC- 10-Klassifizierung“, betonte Zinnecker. Im Klartext: Nicht die Hälfte, sondern weniger als ein Drittel der Bewohner im Potsdamer Obdachlosenheim sind alkoholkrank. „Natürlich ist Alkoholismus ein Problem im Haus, aber dann soll es anhand korrekter Zahlen belegt sein“, begründete Zinnecker ihre Kritik.

Die Potsdamer Awo-Bezirksgeschäftsführerin Angela Basekow kritisiert zudem überholte Handlungsempfehlungen im Sozialbericht: „Die angedachten Suchtberatungen werden längst durchgeführt. Zusätzlich gibt es einmal monatlich eine psychiatrische Sprechstunde direkt im Heim – dank einer Kooperation mit der Institutsambulanz des Bergmann-Klinikums“, so Basekow. Die empfohlenen Schuldnerberatungen gebe es ebenfalls seit geraumer Zeit. „All das, was in der Leistungsbeschreibung des Obdachlosenheims hätte stehen können, wird im Bericht empfohlen.“ Die Awo-Geschäftsführerin setzte sich auch mit der Verweildauer der Obdachlosen im Heim auseinander. Sozialdezernentin Elona Müller (parteilos) hatte bei der Vorstellung des Sozialberichts konstatiert: „Mehr als jeder vierte Heimbewohner lebt seit über fünf Jahren dort“, doch Ziel müsse es sein, das Heim nicht zur dauerhaften Wohnstätte werden zu lassen. Christa Zinnecker relativierte diese Einschätzung: „Wir brauchen Zeit, wollen wir langfristige Ergebnisse bei den Bewohnern erreichen.“ So müssten diese von sich aus erkennen, dass sie medizinische Behandlung bei Suchterkrankungen benötigten. „Schuldnerberatung, Alltagsbegleitung in ein ,normales Leben’ – all das müssen viele wieder schrittweise erlernen“, so Zinnecker. Nachhaltigkeit benötige Zeit, im Durchschnitt rund fünf Jahre Begleitung und Betreuung, so die Leiterin.

Auch die nicht beschriebenen Betreuungs- und Unterstützungsangebote in anderen Wohnformen bemängelten Vertreter der Awo. So wird die Arbeit im Jugendwohnprojekt Wiesenhof etwa wie folgt beschrieben: „Regelmäßige Gruppengespräche, gemeinsames Kochen, Grillnachmittage, kulturelle Angebote“. „Auch bei wiederholtem Lesen des Sozialberichts bleibt nur hängen: Das Obdachlosenheim ist eine Treberanstalt und beim Jugendprojekt wird fröhlich gegrillt“, spitzte es Basekow im Sozialausschuss zu.

Vertreter der Stadt, allen voran die verantwortliche Sozialbeigeordnete Müller zeigten sich über die geäußerte Kritik „enttäuscht“ bis „fassungslos“. Der für den Schwerpunkt „Wohnungslosigkeit“ im Sozialbericht verantwortliche Wohn-Bereichsleiter Hans Joachim Böttche war über die massive Kritik „erschrocken“. Im Bericht sei es nicht darum gegangen, „die Arbeit des Obdachlosenheims darzustellen, sondern „Obdachlosigkeit in Potsdam zu thematisieren sowie Prävention und Handlungsfelder aufzuzeigen“. Allerdings kündigte Elona Müller an, in „bilateralen Gesprächen“ auf die Kritik der Awo eingehen zu wollen.

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