
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Familie für ein Jahr
Christina Pavlov lebt als Austauschschülerin in Potsdam. Mit ihrer Gastfamilie teilt sie den Alltag und zahlreiche bereichernde Erlebnisse. Im September wird Christina mit vielen neuen Eindrücken im Gepäck in die USA zurückkehren – und mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Der Kontakt aber zu Potsdam wird bleiben
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Der Frühling meint es gut an diesem Tag. Die Sonne strahlt, auf der Wiese blühen Blausterne um die Wette. Die zehnjährige Elsa turnt auf dem Klettergerüst im Garten, während Hündin Quanta erschöpft von der Wärme auf dem Boden liegt. „Komm zu uns, Elsa“, ruft Christina Pavlov und schenkt aus einer Glaskaraffe Wasser in die Gläser auf dem Tisch. „Wie war es heute im Kindergarten?“, fragt sie kurz darauf den kleinen Johann, der mit seiner Schwester Mathilde durchs Gartentor kommt. „Gut“, strahlt der Zweijährige und möchte auch ein Glas Wasser haben. Würde Christina Pavlov nicht mit amerikanischem Akzent sprechen, könnte man sie leicht für die große Schwester von Johann, Mathilde und Elsa halten. Seit knapp acht Monaten lebt die 18-Jährige aus Pennsylvania als Gastschülerin bei Familie Glahr in Potsdam. Und zwar als „vollwertiges Familienmitglied“, wie ihre Gastmutter Marie-Luise Glahr betont. Insgesamt ein Jahr wird Christina in Deutschland verbringen und in dieser Zeit das Evangelische Gymnasium Hermannswerder besuchen.
Angefangen hat alles mit Antonia aus Potsdam, erzählt Christina. Das Mädchen verbrachte ein Austauschjahr in den USA und lernte dort Christina kennen. Die beiden wurden rasch beste Freundinnen. Als Antonia zurück nach Deutschland kehrte, war für die zwei Freundinnen klar: Christina muss auch ein Austauschjahr machen - in Deutschland.
Möglich gemacht hat dies schließlich das Parlamentarische Patenschafts-Programm - ein gemeinsames Austauschprogramm des Deutschen Bundestages und des Kongresses der USA. 1983 wurde es anlässlich des 300. Jahrestages der ersten deutschen Einwanderung nach Amerika ins Leben gerufen und hat seitdem rund 19 000 Schülern, Auszubildenden und jungen Berufstätigen den einjährigen Aufenthalt im jeweiligen Partnerland ermöglicht. Jedes Jahr bewerben sich etwa 4500 junge Menschen allein aus Deutschland für die 350 Stipendien des Austauschprogramms. In den USA entscheiden Abgeordnete des Kongresses, in Deutschland Mitglieder des Bundestags, wer ein Stipendium bekommt und als Junior-Botschafter verreisen darf. Gleichzeitig übernehmen die Politiker für den Stipendiaten eine Patenschaft, stehen als Ansprechpartner zur Verfügung und bieten Unterstützung und Hilfe bei Problemen an.
Die Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein (SPD) hat bereits mehrfach Stipendiaten des Austauschprogramms entsendet und als Patin begleitet. Es sei sehr schwer, aus den vielen Bewerbungen einen Kandidaten auszuwählen. „Das sind alles sehr ambitionierte, engagierte junge Menschen“, beschreibt die Politikerin, die auch für Christina die Patenschaft übernommen hat. Im Februar haben sich die beiden persönlich kennengelernt. Demnächst möchte Andrea Wicklein Christina und ihre Gasteltern in den Bundestag einladen. Der jungen US-Amerikanerin möchte sie dort ihren Arbeitsplatz zeigen, eine Führung organisieren und so auch ein wenig die deutsche Politik nahe bringen. Denn mit ihrem Aufenthalt vermitteln die Stipendiaten nicht nur gesellschaftliche, kulturelle und politische Werte ihres eigenen Landes. Gleichzeitig lernen sie das Gastland in all seinen Facetten kennen. „Es ist immer wieder spannend zu beobachten, wie sich nach einem Jahr im Ausland die Persönlichkeit der Jugendlichen entwickelt haben“, sagt Wicklein, die sich mit ihren deutschen Paten vor und nach ihrem Aufenthalt in den USA zu Gesprächen trifft. Häufig seien dauerhafte Freundschaften entstanden, die Vorstellungen der eigenen beruflichen Zukunft seien oft klarer als zuvor. „Fernab der Heimat auf sich selbst gestellt zu sein und Erfahrungen zu sammeln - das formt natürlich“, sagt die Potsdamer Politikerin.
Ihren Aufenthalt in Deutschland genießt Christina in vollen Zügen. „Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt sie. Natürlich vermisse sie ihre Familie – die Eltern und die neun Geschwister – doch Johann, Mathilde, Elsa und deren Eltern sind inzwischen wie eine zweite Familie. Die Nachmittage verbringt sie häufig mit ihren Gastgeschwistern, redet und spielt mit ihnen. „Ich wollte unbedingt in eine Familie mit Kindern“, so die junge Frau. Mit ihrer Gastmutter geht Christina regelmäßig joggen, am Abend schauen sie gemeinsam Filme im englischen Originalton- Hitchcock, Pretty Woman oder Sense and Sensibility. Die Wiederwahl Barack Obamas haben sie zu zweit nachts live am Fernseher verfolgt. Und noch eine Leidenschaft hat Christina in Deutschland entdeckt: „Ich liebe backen“, verrät sie. Rezepte findet sie in den zahlreichen Backbüchern von Marie-Luise Glahr. „Seitdem Chris hier ist, essen wir viel zu viele amerikanische Cookies“, lacht die Gastmutter.
Dass für Christina eine Gastfamilie in Potsdam gesucht wurde, hat Marie-Luise Glahr über eine E-Mail aus dem Bekanntenkreis erfahren. „Als ich das Foto gesehen habe, habe ich sofort zugestimmt“, sagt sie, es sei „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen. Das Gastkind wie ein eigenes Kind in die Familie aufzunehmen, es an allem teilhaben zu lassen und sich Zeit zu nehmen - diese Bereitschaft sollten Gasteltern mitbringen, beschreibt Marie-Luise Glahr. „Natürlich hat man auch einen Erziehungsauftrag“, betont sie. Besondere Unterstützung habe die Familie auch durch den American Field Service (AFS) erfahren, der die Austauschschüler und ihre Gastfamilien betreut. Der AFS ist eine der größten Austauschorganisationen weltweit und arbeitet auf ehrenamtlicher Basis in rund 60 Ländern. „Wenn es Fragen oder Probleme gäbe, könnte man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit an den jeweiligen Betreuer wenden“, beschreibt Marie-Luise Glahr. Zudem prüfe der AFS zuvor die Gastfamilien, bevor ein Gastkind untergebracht werde.
„Ich habe richtig viel über Deutschland, die USA und mich selbst gelernt“, resümiert Christina ihren bisherigen Aufenthalt. Der Kontakt zu ihrer Gastfamilie wird nicht mit ihrer Abreise enden – davon ist sie überzeugt. „Definitiv nicht“, sagt auch Marie-Luise Glahr. Die USA-Reise sei schon geplant. „Ich hoffe, dass meine Kinder eines Tages auch einen Austausch machen werden – es ist für alle eine Bereicherung, auch für uns als Gastfamilie.“
Das Parlamentarische Patenschafts-Programm sucht regelmäßig Gasteltern für Stipendiaten aus den USA.
www.bundestag.de/ppp.
Heike Kampe
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