Landeshauptstadt: Faszinierende Experimente, pointierte Thesen
Beim erste Potsdamer Tag der Wissenschaften „Tausend Fragen, eine Stadt“ präsentierten sich mehr als 20 Forschungseinrichtungen – ein Rundgang.
Stand:
Ein mittelalterliches Quiz-Labyrinth in der Uni am Neuen Palais, chemische Experimente auf dem Neuen Markt, an der Fachhochschule an der Pappelallee ein Vortrag zur Zukunft der Spültoilette – im Programm für den ersten Potsdamer Tag der Wissenschaften unter dem Motto „Tausend Fragen, eine Stadt“ fand sich am Samstag viel Lehrreiches, Interessantes und auch Skurriles. Die PNN haben einen kleinen Rundgang unternommen.
Ein unsichtbarer Affe
„Strafrichter hergeschaut“ möchte man nach einem faszinierenden Experiment in den Communs am Neuen Palais ausrufen. Da läuft um 11 Uhr in einem Film ein Affe durchs metergroße Bild – und kein Zuschauer sieht ihn. Zum Verständnis: Der Potsdamer Strafverteidiger René Börner zeigt in einem Raum ein „Filmchen“, wahrscheinlich nicht einmal eine Minute lang: Zwei Menschen-Gruppen sind zu sehen. Eine in Weiß, die andere in Schwarz. Jede Gruppe hat einen Ball, den sich die Mitglieder untereinander zuwerfen. Das ergibt ein ziemliches Gewirr, denn alle spielen dicht beieinander und wechseln ihre Plätze dabei. Die Zuschauer an diesem Samstag in den Communs sollen die Ballwürfe der weißen Gruppe zählen. Anschließend fragt Anwalt Börner, wie viele Würfe es denn nun waren. Dreizehn, vielleicht auch fünfzehn – wohl niemand weiß es so ganz genau.
Doch bald dämmert den vierzehn Teilnehmern dieses Experiments, dass es auf diesen verdammten Ball im Grunde überhaupt nicht ankommt. Denn jetzt fragt Börner, was den Zuschauern noch aufgefallen ist. Kaum einer kommt drauf – und dann führt Börner den Film noch einmal vor: und tatsächlich wandert ein mannshoher Affe gemächlich von rechts nach links durchs Bild – und (fast) keiner hatte ihn zuvor bemerkt. Börner erklärt, durch das Zählen der Ballwürfe verenge sich die Wahrnehmung der Zuschauer derart, dass sie den eigentlich unübersehbaren Affen nicht mehr mitbekommen. Börner will damit zeigen, dass Zeugenaussagen vor Gericht hinterfragt werden müssen. Denn was würde da wohl ein Strafrichter denken, wenn ihm der Angeklagte sagt: „Der Affe war’s.“?
„180 Meter Wohnmaschine“
Pointiert zur Sache geht es in der Fachhochschule an der Kiepenheuerallee. Die Potsdamer Architekturprofessoren Ludger Brands und Bernd Albers finden klare Worte für die jüngsten Entwicklungen in Potsdams neuer alter Mitte. Klare Worte, die aufrütteln sollen: Eine „180-Meter-Wohnmaschine“ befürchtet Brands, wenn die bisherigen Planungen für den Langen Stall hinter der einstigen Garnisonkirche umgesetzt werden sollten. „Stärker banalisieren kann man einen solchen Ort glaube ich nicht“, sagt der Architekturprofessor – und liefert gleich eine Horrorvision für den geplanten Wohnriegel mit: Auf den zahllosen Loggien hängt die Wäsche der Bewohner und stört damit das Stadtbild hundsgemein.
Die geplante Wohnsituation anstelle des historischen Langen Stalls führe zu einer „Veralltäglichung im unangenehmen Sinne“, sagt auch Albers. Er hoffe, dass der geplante Workshop noch eine Veränderung zum Guten hin bewirken könne. Man solle sich dort „nicht abfrühstücken“ lassen, ermutigt er die Kritiker der bisherigen Planungen. Zuvor hatte Albers noch einmal seine Ideen für eine Kunsthalle im Langen Stall vorgestellt – deren Chance auf Realisierung jedoch deutlich gesunken sein dürfte, seit klar ist, dass in das wiederaufzubauende Palais Barberini das Kunstmuseum von Mäzen Hasso Plattner einziehen soll.
Auch der Bibliotheksumbau steht an diesem Samstagnachmittag in der Fachhochschule in der Kritik. Brands tituliert das Bauwerk als „eine banale Kiste in unstädtischem Maßstab“. „Kontinuität statt Brüche“ verlangt der Professor und wirbt damit für eine Architektur, die auch noch in Jahrhunderten Bestand haben solle. Moderne Entwürfe müssten den Vergleich mit der Vergangenheit aushalten. Wenn ein Entwurf schlechter als der Vorgängerbau sei, „sollte man gleich einpacken“.
Ein großes Familienfest
Ein paar Hundert Meter vom Campus am Neuen Palais entfernt feiern Mitglieder des Nil-Studentenclubs auf dem Sportplatz am Neuen Palais ein Familienfest. Es gibt Bastelstände, zwei Planschbassins, eine Hüpfburg – und ein Mann mit Holzstelzen unter den Füßen bläst unablässig schmale Luftballons auf, aus denen er Tierfiguren bastelt. Dutzende Eltern lümmeln auf der Wiese, wer Brötchen oder Apfelsaft will, kann etwas in die Kasse des Vertrauens spenden, ein herrlicher Sommernachmittag eben – und wen es interessiert, muss einen Steinwurf weit laufen, um etwa bei einem Quiz die Dialektvielfalt im Land Brandenburg zu erkunden, die italienische Architektur in Potsdam kennenzulernen – oder das wesentlich weiter entfernte, wilde Sibirien. Auch an allen anderen Veranstaltungsorten gab es Angebote für Kinder und Familien – etwa eine Bastelstube am Campus Golm oder einen Sägekurs für Kinder an der Fachhochschule. (mit HK)
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: