Homepage: FDGB von Stasi durchsetzt
Historikerin legt Buch zu DDR-Gewerkschaft vor
Stand:
Unter den Vertrauensleuten des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) in den DDR-Betrieben war die Zahl der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit überdurchschnittlich hoch. Diese These vertritt Renate Hürtgen vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) in ihrem Buch „Zwischen Disziplinierung und Partizipation“ (ISBN 3-412-14206-0). Die Gewerkschaftsfunktionäre seien ihrem Auftrag, die Interessen ihrer Kollegen zu vertreten, nicht gerecht geworden.
Als Hürtgen, die in der DDR-Zeit an der Humboldt-Universität Kulturwissenschaften studiert hat, den Band in der Potsdamer Landeszentrale für Politische Bildung vorstellte, blies ihr aus dem Publikum Gegenwind ins Gesicht. Ein einstiger FDGB-Vertrauensmann aus dem Schaltgerätewerk Werder (Havel) – nach der Wende Betriebsratsvorsitzender – bekundete, dass er nie Kontakte mit der Stasi hatte und nie Berichte für sie schrieb. Er habe sich sehr wohl der Interessen seiner Kollegen angenommen, etwa was gerechte Lohnzahlung und bessere Arbeitsbedingungen betraf.
Noch eins drauf setzte ein ehemaliger leitender Mitarbeiter der IFA-Automobilwerke Ludwigsfelde. Sein Hinweis auf einen vermeintlichen Sabotageakt, der kurz vor Weihnachten die Heizung für den Betrieb und das angrenzende Wohngebiet außer Funktion setzte, hörte sich fast wie eine Rechtfertigung der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit an. Schließlich gebe es seit jeher auch in westeuropäischen Betrieben einen Werkschutz. Diesen Vergleich wollte Renate Hürtgen natürlich nicht stehen lassen. An Beispielen verdeutlichte sie, wie die Stasi „Verdächtige“ bis in ihre Intimsphäre bespitzelte und in Krisenzeiten schon wegen regimekritischer Äußerungen in Haft nahm. Im Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) hatten 1981 sechs Schmelzer wegen ungerechten Lohnkürzungen ihren Austritt aus dem FDGB erklärt. Gegen den Hochofenbrigadier, übrigens auch ein Vertrauensmann, wurde daraufhin eine drei Jahre anhaltende „Operative Personenkontrolle“ (OPK) eingeleitet und auf sein Familienleben und seine Freizeit ausgedehnt. Im Spanplattenwerk Beeskow wurden Produktionsstörungen einem Anlagenfahrer (in Stasijargon als „Störer“ bezeichnet) angelastet, weil er sich der kirchlichen Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ angeschlossen hatte.
Diese Erläuterungen halfen, die Diskussion wieder auf den Boden der historischen Fakten zurückzuführen. Die war wohl auch ein Ausdruck der aktuellen Debatte über den Alltag in der DDR, der zunehmend verklärt wird. Dazu hatte der ehemalige Vertrauensmann und Betriebsrat aus Werder erklärt, damals hätten die Arbeiter ihre Forderungen frei heraus geltend gemacht, heute würden sie aus Angst um ihren Arbeitsplatz schweigen. Manche gingen nicht einmal zum Arzt, wenn sie krank sind.
Hürtgen räumte den Einfluss der schwierigen Arbeitsmarktlage ein, wies aber darauf hin, dass es sich in der DDR-Zeit um wirtschaftliche Forderungen handelte. Wer das Regime in Frage stellte, sei dagegen konsequent verfolgt worden. Nur wer sich der Herrschaft unterwarf, habe auch am Arbeitsplatz jenen „ruhigen Alltag“ gehabt, dessen Fehlen heute beklagt werde. E. Hohenstein
E. Hohenstein
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