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Landeshauptstadt: Feuerball mit Schönheitsfleck

Am frühen Mittwochmorgen beobachteten Potsdamer, wie die Venus vor der Sonne entlangzog

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Es ist 4.45 Uhr am Morgen des 6. Juni, als am Horizont eine Lichtsäule erkennbar wird. Am Ufer des Jungfernsees, unweit der Reste der Matrosenstation Kongsnaes, hat sich eine kleine Traube von Menschen gebildet. Inmitten dieser Gruppierung stehen zwei Teleskope – und Rolf König. Er ist Leiter des Urania-Planetariums in der Gutenbergstraße. „In wenigen Minuten ist es soweit“, verkündet er. Erwartungsvoll blickt die kleine Ansammlung von Menschen gen Himmel.

Das Schauspiel, das sich ihnen an diesem Mittwochmorgen bieten wird, ist ein sogenannter Venustransit, ein seltenes astronomisches Phänomen. Am Horizont haben sich ein paar Wolken gebildet, laut König ein eher geringes Problem: „Wir müssen höchstens ein paar Minuten länger warten“, sagt er gelassen.

Plötzlich, es sind nur noch wenige Augenblicke bis zur sechsten Stunde des Tages, leuchtet über den Baumkronen der Pfaueninsel ein Feuerball auf. „Ein Waldbrand“, murmelt jemand im Scherz. Rolf König steckt den Sonnenfilter auf eines der beiden Teleskope. „Ich kann sie sehen“, berichtet ein Junge, der gemeinsam mit seiner Schwester und Mutter zum Beobachten erschienen ist.

Und tatsächlich: Alsdann erkennt man mit einem Blick durch das Teleskop einen geradezu verschwindend kleinen, schwarzen Punkt vor der riesigen Sonne. Dieser „Schönheitsfleck“ ist nichts weniger als der zweitinnerste Planet des Sonnensystem, benannt nach der Liebesgöttin Venus. König spricht von der Venus als „Gluthölle“, mit Temperaturen von weitaus mehr als vierhundert Grad Celsius, aufgrund der Nähe zur Sonne. Der Planet schiebt sich förmlich zwischen Sonne und Erdball, passiert aus irdischer Sicht die Sonnenscheibe und verlässt seine Bühne etwa zwei Stunden später wieder. Die nächste Gelegenheit, ihn vor der Sonne entlangziehen zu sehen, bietet sich Berechnungen zufolge erst wieder im Jahr 2117.

„Die Abstände, in denen ein Venustransit von der Erde aus zu beobachten ist, sind zwar regelmäßig, aber nicht gleich“, erklärt Rolf König, „denn bei diesem Vorgang wechseln sich Intervalle von etwa acht und etwa 105 Jahren gegenseitig ab.“ Den letzten Venustransit konnte man im Jahr 2004 miterleben. Unter den etwa fünfzehn Frühaufstehern am Jungfernsee melden sich auch einige, die schon beim letzten Transit zugegen waren und die Venus nun zum zweiten Mal erspähen. Das Schauspiel werde jedoch schon seit Jahrhunderten von Menschen beobachtet und habe wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse geliefert, berichtet König. James Cook segelte für die Royal Society extra nach Tahiti, um von dort den Transit 1769 beobachten zu können. Berechnungen zum Venusdurchgang gab es bereits im 17. Jahrhundert: Johannes Kepler berechnete hier wenige Jahre vor seinem Tod die Venuspassage für das Jahr 1631. Mittels seiner Gesetze wurde damals auch – durch die Parallaxen der Umlaufbahnen – der Abstand von Erde und Sonne berechnet, so König. Aus diesem ließen sich alle Dimensionen des Sonnensystems ableiten. Ein sehr komplizierter Rechenprozess, auf den man heutzutage glücklicherweise nicht mehr angewiesen sei. Dennoch seien Keplers Bemühungen wichtige Grundlagen für zahlreiche astronomische Erkenntnisse, sagt König.

So viel Mühe wie James Cook musste sich im Neuen Garten freilich niemand geben. Das frühe Aufstehen erschien den Schaulustigen wohl nur als harmloser Kompromiss. Der elfjährige Leonard Moschca ist mit seinem Vater an den Jungfernsee gefahren. Er erzählt von der Arbeitsgemeinschaft an seiner Schule, die sich mit Astronomie beschäftigt. „Es ist schon beeindruckend, das Größenverhältnis zwischen Venus und Sonne so vor Augen geführt zu bekommen“, berichtet der Schüler, „gerade wenn man bedenkt, dass die Venus noch viel näher an der Erde dran ist und uns damit größer erscheint.“

Derart astronomiebegeistert sind nicht alle Menschen dieser kleinen Gruppe. Einige sind vor allem wegen des Ausblicks hier. Ein Mann aus der Gruppe berichtet, er habe nur eben seinen Spätdienst beendet und wollte sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Eine gute Gelegenheit, das war der Venustransit am Mittwochmorgen in Potsdam wahrlich. Denn vielen Menschen blieb der Blick auf das Ereignis verwehrt: In weiten Teilen Europas war der Venustransit nicht zu erkennen, Fernsehsender berichteten frustriert über Bemühungen, Liveübertragungen zu senden. Auch in Deutschland blieb für achtzig Prozent der Menschen der Blick auf die Sonne und damit auch auf das Jahrhundertereignis durch Wolken verdeckt, schätzte ein Meterologe des Deutschen Wetterdienstes. Umso glücklicher schätzten sich die Potsdamer im Neuen Garten.

Holger Manigk, Lukas Nils Regeler

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