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Landeshauptstadt: Finanzkrise ÖPNV im Fokus „Vom gemeinsamen Europa weit entfernt“ Für soziale EU Gegen Rechts

Hartz IV verursacht rund zehn Millionen Euro Mehrausgaben Diskussion um künftige Finanzierung des Nahverkehrs Nur knapp 100 Demonstranten am „Tag der Arbeit“ / Rund 2000 Besucher beim Familienfest Europa-Parlamentarier sprachen zur EU-Erwei

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Hartz IV verursacht rund zehn Millionen Euro Mehrausgaben Diskussion um künftige Finanzierung des Nahverkehrs Nur knapp 100 Demonstranten am „Tag der Arbeit“ / Rund 2000 Besucher beim Familienfest Europa-Parlamentarier sprachen zur EU-Erweiterung Open-Air-Konzert auf dem Luisenplatz gut besucht Das monetäre Bild, das Potsdams Stadtkämmerer Burkhard Exner, PDS-Stadtfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg, Brandenburgs DGB-Vorsitzender Detlef Baer und der Geschäftsführer von Brandenburgs Städte- und Gemeindebund (SGB), Karl-Ludwig Böttcher, zeichneten, war düster. Und alle waren sich beim Forum zur Schuldenkrise der Kommunen einig: Den städtischen Etats wird es künftig noch schlechter gehen. Schuld daran: unter anderem Hartz IV. Allein Potsdam muss wegen des Gesetzes rund zehn Millionen Euro mehr ausgeben, so Exner. „Eigentlich versprach man uns bis zu drei Millionen Euro Entlastung.“ Karl-Ludwig Böttcher sprach von der schwersten Finanzkrise, in der die Kommunen stecken. „Die Gemeindefinanzreform ist vor die Wand gefahren worden“, schimpfte der Geschäftsführer des SGB. Scharfenberg forderte eine Erhöhung der Finanzen, die vom Land an die Kommunen fließt. „Wir werden nachweisen, dass es möglich ist, 130 Millionen zusätzlich bereitzustellen“, kündigte er an. Brandenburgs DGB-Vorsitzender Detlef Baer wünschte sich für den aktuellen Haushalt vom Stadtkämmerer nur: „Kürzen Sie nicht im sozialen Bereich und bei Angeboten für Kinder und Jugendliche.“ Exner erklärte daraufhin, man habe 2,5 Millionen Euro umverteilt, unter anderem Geld von der Sanierung des Stadthauses in den Schulbereich gesteckt.KG Wenn es nach der verkehrspolitischen Sprecherin der PDS, Anita Tack, geht, steht der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) vor schwierigen Zeiten: „Die Novellierung des ÖPNV-Gesetzes wird in der Auslegung der Landesregierung sowohl den Nutzern als auch den Verkehrsunternehmen zum Nachteil gereichen“, erklärte sie beim Forum zum Nahverkehr auf der Bühne der PDS. Nach Tacks Einschätzung wollen SPD und CDU die derzeit pflichtige ÖPNV-Förderung zu einer freiwilligen Leistung deklarieren. „Die Folge wäre: Bei verschuldeten Haushalten – fast alle Gemeinden verzeichnen ein Minus – dürfen freiwillige Leistungen nicht mehr erbracht werden, Einschränkungen im Nahverkehr sind zu erwarten.“ Der Geschäftsführer des Verkehrsbetriebs in Potsdam (ViP), Martin Weiss, konnte nur bestätigen: „Unsere größten Sorgen sind, dass die Förderung nicht mehr im Pflichtbereich steht und die Mittel nach 2006 nicht sichergestellt sind.“ Die einzige Schraube, an der man dann drehen könne, sei der Fahrpreis, um Mindereinnahmen aufzufangen. Wann die Combinos wieder auf Potsdams Schienen rollen können, ist laut Weiss ungewiss. Anita Tack kritisierte, dass man in Potsdam nicht die Hennigsdorfer Bombardier (früher Adtranz)-Bahnen genommen hat. „Nun ist der ViP natürlich an die Aufträge gebunden“, bedauerte sie. KG Von Kay Grimmer Innenstadt. Der strahlende Sonnenschein am 1. Mai konnte auch in Potsdam nicht über die eigentliche Lage hinwegtäuschen. Die Stimmung unter den Arbeitnehmern ist düster. Gar so düster, dass ein Großteil den Sinn einer Demonstration am „Tag der Arbeit“ nicht mehr sieht? Jedenfalls waren es in diesem Jahr rund 500 Menschen weniger als 2003, die zum gemeinsamen Fest von Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB), PDS, SPD und Bündnis 90/Die Grünen und verschiedenen Verbänden und Organisationen zum Luisenplatz gekommen waren. Zur Demonstration fanden sich nur rund 100 Leute ein, insgesamt schätzte Detlef Baer, der Vorsitzende des DGB Brandenburg, die Besucherzahl auf rund 2000. Den Rückgang führte er auf die Demonstrationsmüdigkeit zurück. „Aber die Gewerkschaften haben bereits am 3. April bewiesen, dass sie mobilisieren können“, sagte der brandenburgische DGB-Vorsitzende. Der erste Mai werde seit einigen Jahren mehr als Familientag, denn als politisches Ereignis wahrgenommen. An einem Umdenken „müssen wir arbeiten“, gab Baer zu. In seiner Rede erklärte Baer im Hinblick auf die am gleichen Tag vollführte Erweiterung der Europäischen Union: „Von einem gemeinsamen Europa der Menschen und für die Menschen sind wir allerdings noch weit entfernt.“ Baer kritisierte vor allem die Wirtschaft: „Während Unternehmen unflexibler werden, sollen Arbeitnehmer immer flexibler werden.“ Der Bezirkschef der IG Metall in Brandenburg und Berlin, Hasso Düvel griff die Reformen der Bundesregierung scharf an: „Diese Politik ist nicht nur sozial ungerecht, sie ist auch wirtschaftlich unsinnig.“ Man sei für Veränderungen, jedoch, so Düvel, nicht rückwärts gewandte. Er sprach sich auch gegen den FDP- und CDU/CSU-Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl Horst Köhler aus, der „einseitig Partei“ ergreife und nicht die Bürger des Landes repräsentiere. Ferner kritisierte er den Plan, Elite-Universitäten einzuführen. Man benötige vielmehr öffentliche Bildungseinrichtungen für alle. Außerdem sprach er sich für die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe aus. Im Anschluss an die Reden begann das Familienfest. Die brandenburgische Big Band unterhielt, der Kinderzirkus „Brücke“ fand bei den Kleinen viel Anklang, während „die Großen“ politischen Talkrunden beiwohnten oder sich Bier und Gegrilltes schmecken ließen. Den Abschluss der Mai-Feierlichkeiten bildete ein Auftritt der Potsdamer Musik-Combo „Die Clogs.“ Chance oder Problem? Der 1. Mai 2004 war nicht nur Tag der Arbeit, sondern auch der Tag der EU-Osterweiterung. Für den Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit ein Tag, an dem er „Sonne und Sturm zugleich“ sah. Bei der Diskussion zum erweiterten Europa mit seine EU-Parlamentskollegen Helmuth Markov (PDS) und Norbert Glante (SPD) verglich er die Ängste und Erwartungen der alten und neuen EU-Bewohner mit der Wiedervereinigung Deutschlands. „Wir müssen nun alles daran setzen, Europa sozial und ökologisch aufzubauen“, sagte der Grüne. Markov hoffte vor allem darauf, dass bei der Anpassung der sozialen Standards in alten und neuen EU-Mitgliedsländern „nach oben angeglichen wird“. Er kritisierte, dass im EU-Verfassungsentwurf nicht mehr von einer sozialen Marktwirtschaft die Rede ist. „Soziale Standards müssen festgeschrieben werden“, erklärte denn auch Daniel Cohn-Bendit. Sowohl der grüne EU-Parlamentarier als auch sein PDS-Kollege sprachen sich für eine stärkere Einbindung der Bevölkerung bei europaweiten Entscheidungen wie der Abstimmung zur EU-Verfassung aus. „Sie darf aber nicht als Abstrafung der Regierung missbraucht werden“, erklärte Cohn-Bendit. Glante, der sich ebenfalls für eine Volksabstimmung stark machte, meinte im Hinblick auf das Zögern vieler Politiker: „Wir müssen auch mal Mut haben.“KG Lange Vorreden waren am Freitagabend auf dem Luisenplatz nicht angesagt. „Wir wissen, dass ihr nicht wegen uns gekommen seid“, gab der Regionsvorsitzende Detlef Baer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) von der Bühne aus, auf der für die nächsten drei Stunden vier Bands aus der Region „das Sagen“ hatten, offen zu. Mit „Liebe Freunde der Rockmusik“ sprach Oberbürgermeister Jann Jakobs das überwiegend junge Publikum zielgruppengerecht an, um dann doch einige Worte zum Motto des Festivals, „Rechts abbiegen verboten“, loszuwerden. Bereits zum vierten Mal veranstaltete die DGB-Jugend das Konzert und es habe im Kampf gegen Rechtsextremismus noch immer seine Berechtigung. Im Gegensatz zu Berlin, wo eine Demonstration der NPD für den 1. Mai genehmigt war, hätten rechte Gruppierungen in Potsdam keinen Erfolg – auch in Zukunft nicht: „Dieses hat in dieser Stadt keinen Platz“, betonte Jakobs unter Beifall. Schon ab 20 Uhr war der Luisenplatz bei freiem Eintritt mit Schülern, Studenten, Auszubildenden, aber auch älteren Leuten gut besucht. Mit geschätzten 2000 Musikinteressierten zeigte sich Brit Georgi von der DGB-Jugend mehr als zufrieden. Im letzten Jahr seien es bei Regenwetter nur rund 400 gewesen. „Nach der Feuershow und der Ska-Musik von den Ruffians hat sich das Festival friedlich aufgelöst“, sagte Georgi später. KaSa

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