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Gärtnern beflügelt. Angelique Walter (r.) und Fabian Koglin pflegen das Hochbeet, das bei einer deutsch-französischen Jugendbegegnung am Projekthaus Inwole in Babelsberg entstanden ist. Urbanes Gärtnern wird auch in Potsdam immer populärer.

© Stefan Gloede

Landeshauptstadt: Floraler Ungehorsam

Urbanes Gärtnern macht Schule – auch in Potsdam gibt es junge Projekte städtischen Gärtnerns

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Autos quälen sich durch die Metropole. Stoßstange an Stoßstange stehen sie im Feierabendverkehr. Die Luft flimmert. Plötzlich, in dieser Melange aus grauem Beton und matt-buntem Blech sieht der Autofahrer vor sich auf dem Mittelstreifen drei gelb leuchtende Sonnenblumen, umrahmt von Veilchen und Klatschmohn. Kein Grünflächenamt hat dieses Minibeet geschaffen. Nein, es war die Stadtguerilla. Nicht jene mit Maschinengewehr und Sprengstoff, sondern friedliche „Flower-Power-Menschen“, die sich dem „Guerilla Gardening“ verschrieben haben. In verschiedenen Ländern der Welt gibt es diese wilden Gärtner, die mit heimlichen Pflanzungen und dem Auswerfen von Samen urbane Räume begrünen. Sie selbst verstehen diese Aktionen durchaus als politisches Zeichen. Um die „Rückeroberung“ von urbanen Räumen geht es ihnen zumeist. Einige der Guerilla-Gärtner sind sogar bewaffnet – mit sogenannten Samenbomben. Diese walnussgroßen Samen-Erde-Ton-Gemische können auf unzugängliche Flächen geworfen oder auch einfach beim Spazierengehen fallengelassen werden. Unter günstigen Bedingungen geht die Saat aus der ökologischen Streubombe auf.

Das Gärtnern auf innerstädtischen Verkehrsflächen und Brachen macht auch in Potsdam zunehmend Schule. Im Mai 2010 hatte eine anonyme Initiative mehrere Betonplatten aus dem Mittelstreifen der Breiten Straße gerissen und die Erde begrünt. Die Stadtverwaltung stellte kurz danach den früheren Zustand wieder her.

Ein neues, allerdings nicht „wildes“ Projekt urbanen Gärtnerns entfaltet sich gerade auf dem riesigen Gelände des kürzlich eingeweihten Freiland-Jugendzentrums in der Friedrich-Engels-Straße. Eine Gruppe von 10 bis 15 jungen Menschen trifft sich hier jeden Mittwoch zwischen 17 und 20 Uhr, wie Achim Trautvetter, Geschäftsführer der für das Freiland zuständigen Firma Cultus, berichtet. Die jungen Leute im Alter von 18 bis 30 Jahren planen gärtnerische Projekte auf dem Freiland-Gelände. Erste Erfolge sind bereits sichtbar: ein Erdbeerbeet von vielleicht einem Quadratmeter Fläche mitten im Rasen oder auch ein mit Stiefmütterchen bepflanzter Kreis. Entlang des Zaunes habe man Sonnenblumen ausgesät, sagt Trautvetter. Erst einmal gehe es vordringlich um das Begrünen der Raumstruktur, später wolle man verstärkt auf Nutzpflanzen setzen, meint Trautvetter. Das Ganze sei „kein reines Gärtnerprojekt“. Vielmehr gehe es um stadtpolitische Auseinandersetzungen mit urbanen Räumen.

Ein anderes Potsdamer Projekt urbanen Gärtnerns ist auf dem Gelände des Projekthauses Inwole in der Rudolf-Breitscheid-Straße entstanden. Im Rahmen eines zehntägigen deutsch-französischen Jugendprojekts schufen Jugendliche aus beiden Ländern ein Hochbeet auf dem Projekthaus-Gelände. Unter Anleitung eines Fachmanns errichteten sie eine Trockenmauer als Beetbegrenzung. Die dafür verwendeten Natursteine habe man bisweilen 20-mal in der Hand drehen müssen, bis sie passten, erzählt Angelique Walter vom Projekthaus. Schließlich musste man gänzlich ohne Mörtel auskommen.

Bepflanzt wurde das Beet mit Kräuter- und Heilpflanzen sowie mit Stauden, deren Blüten Schmetterlinge und Bienen besonders anlocken, berichtet Walter. Aber nicht nur praktisch gearbeitet hätten die Jugendlichen in dieser Zeit. Man habe gemeinsam auch Filme über das urbane Gärtnern angeschaut und in der Region verschiedene mobile Gärten, also Kleinstbepflanzungen in Kisten, kennengelernt, erzählt Christin Zschoge-Meile vom Projekthaus. Angelique Walter sagt über die Wirkung von Mehrtagesprojekten wie diesem: „Die Menschen gehen und sind beflügelt.“

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