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Landeshauptstadt: Flügel drüber

Das Team ist der Star: Dr. Georg Günther gehört zu den besten Krebsärzten im Land – will aber kein Lob hören

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Es dauert nur die Hälfte einer Sekunde. Aber einmal geschehen, kostet die kleine Armbewegung eine große Menge Vertrauen. Dr. Georg Günther weiß, dass er sie gegenüber einem Patienten niemals machen darf. Jetzt freilich darf er. Der Onkologe blickt auf seine Armbanduhr. Sein Fitnesstrainer wartet auf ihn, er will zum Sport. Fünf Mal ist der 56-Jährige bereits den Halbmarathon gelaufen, in zwei Stunden und 15 Minuten. Zwei 4000er Berge hat bestiegen und im nächsten Jahr will er auf den Kilimandscharo, der 5000 Meter hoch ist. Da muss er fit sein. Nicht dass es der hochgewachsene Mann nicht schätzt, wenn ein Porträt von ihm in der Zeitung steht. Schließlich dürfen Arztpraxen nicht von sich aus für sich werben. Aber Dr. Günther ahnt, was auf ihn zukommt, da würde er sich dem wohl lieber so schnell wie möglich entziehen. „Ich will keine Lobhudelei“, warnt er.

Dr. Georg Günther ist vom Nachrichtenmagazin „Focus“ zu den 100 besten Krebsärzten in Deutschland gezählt worden. Und er ist der einzige Potsdamer Arzt, der überhaupt in der Hitliste auftaucht. Ein Grund, sich zu feiern, wäre das allemal. Doch Georg Günther weiß, dass der Erfolg viele Väter, hier korrekterweise Mütter hat und – um im Bild zu bleiben – er dem Baby nur seinen Namen gibt. Das Team ist der Star. Wer zuhört, wie er über seine Mitstreiterinnen Dr. Annette Sauer und Dr. Berit Böttcher sowie die Schwestern in seiner Praxis spricht, der weiß, dass Dr. Günther keiner ist, der sich im Glanz falscher Bescheidenheit sonnen will. Sie verstehen sich gut untereinander und das kommt dem Patienten, der in der Praxis in der Kurfürstenstraße 20 behandelt wird, auch zugute. „Diese Atmosphäre hier spüren sie“, erklärt der Arzt. Patienten, die sich mit der Diagnose Krebs auseinandersetzen müssen, stehen einer besonderen Bedrohung gegenüber, sie sind emotionalisiert und haben „ein Gespür für Spannungen“, sie würden merken, wenn irgendetwas nicht stimmt in der Praxis. Darum versucht Dr. Günther, in jedem seiner Mitstreiter zunächst die Stärken und das Gute zu sehen „und nicht immer zu denken, was bezweckt der damit“. Der Mediziner beschreibt seine Praxis als einen harmonischen Ort, in dem sich der Patient aufgehoben fühlt. „Flügel drüber“, dieses Motto erwähnt der Onkologe mehrmals. Es meint, die Patienten müssen in der Praxis bei den Schwestern beschützt sein wie die Küken bei der Glucke. Wichtig sei, dass der Patient nicht nur gut behandelt wird, sondern sich auch gut behandelt fühlt. Das Verhältnis von Ärzten, Schwestern und Patienten ist ausgewogen und bewährt – da kann es Georg Günther also nicht gebrauchen, wenn da einer öffentlich in den Himmel gehoben wird. Nicht einmal, wenn er es selber ist.

Mit Harmonie allein ist Krebs allerdings nicht zu besiegen. Georg Günther hat 1977 in Jena sein Examen gemacht. Das dortige Uni-Klinikum ist in der DDR nach Berlin-Buch das zweite Zentrum für Blutkrebs-Erkrankungen. Zunächst arbeitet er für ein Jahr in der Pathologie und seziert etwa einhundert Leichen. Das macht ihm nichts aus, nur bei toten Kindern bittet er die Kollegen ans Messer. Zwei seiner vier Töchter sind da gerade drei und fünf Jahre alt.

Am Seziertisch sieht er, wie sich der Krebs im Körper ausbreitet und schult seinen Blick auf die Krankheit, was ihm heute, beim „Tumorkonzil“, den Fall-Beratungen unter Kollegen, sehr zugute kommt. Es war eine Aufbruchszeit damals, erst 1964 können Ärzte fortgeschrittenen Lymphdrüsenkrebs erstmals vollständig heilen. „Es hat einen fasziniert, hier bewegt sich etwas, hier will ich rein“. Parallel zur Arbeit in der Humanpathologie forscht Georg Günther an Ratten. Diese bekommen krebserregende Mittel und er muss sie immer zu einer bestimmten Tageszeit schlachten, um den Einfluss des Tagesrhythmus bei der Zellteilung auf das Krebswachstum zu analysieren. 1984 geht Dr. Günther ans Bergmann-Klinikum, damals noch Bezirkskrankenhaus. Dort wird er 1987 Oberarzt der onkologischen Station. 1992 eröffnet er sein Medizinisches Versorgungszentrum für Blut- und Krebserkrankungen. Mit den heutigen Kollegen vom Klinikum bilde seine Praxis „eine lockere Einheit“, die Zusammenarbeit sei gut. Das Verhältnis zum St. Josefs-Krankenhaus nennt er „entwicklungsfähig“. Ihm ist daran gelegen, dass alle Mediziner in Potsdam zusammenarbeiten, dann bestehe die Chance, dass der „Wunderglaube“ an die vermeintlich bessere Medizin in Berlin einmal aufhört.

An der Wand seines Sprechzimmers hängt ein Foto, das ihn mit seinen vier erwachsenen Töchtern im vergangenen Jahr bei seinem 55. Geburtstag zeigt. „Sie waren alle da“, sagt er und es ist unverkennbar, wie viel ihm das bedeutet. Zu den wichtigen Dingen in seinem Leben – seine Mädchen und die Medizin – gehört als Drittes im Bunde die Musik. Bis 1982 ist er Frontmann und Gitarrist von „Pneumothorax“, einer Rockband für 7 bis 70-Jährige: „Auf die Tische haben wir sie alle gekriegt“, sagt er. Noch immer spielt er Folkbeat in einer Band und wie zum Beweis singt er mit rauchiger Stimme: „If I were a Carpenter, and you were a Lady“, ein Song von Bobby Darin.

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