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Gruppenzwang? 14 000 Potsdamer Studenten „gruscheln“ bei StudiVZ. Doch die Internet-Kommunikationsplattform und ihre Gründer sind nicht unumstritten
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„Bist du bei StudiVZ?“ Die Frage gehört mittlerweile in jedes Kennenlerngespräch unter Studenten. Beantwortet wird sie – auch in Potsdam – immer häufiger mit „Ja“: 14 000 Potsdamer sind drin, erklärt Julian Artopé, Pressesprecher des Online-Studentennetzwerks „StudiVZ“, den PNN. Das sind immerhin zwei Drittel der Potsdamer Studierendenschaft.
Die Internetplattform – der Name ist die Kurzform für „Studierendenverzeichnis“ – wurde im vergangenen Jahr regelrecht überrannt: 1,85 Millionen Nutzer gibt es mittlerweile im deutschsprachigen Raum, erklärt Artopé. Die Firma mit Sitz in Berlin Prenzlauer Berg, die im Herbst 2005 von zwei Studenten gegründet wurde, beschäftige heute bereits 70 Mitarbeiter. Im Januar 2007 kaufte die Holtzbrinck GmbH das Unternehmen. Auf 85 Millionen Euro bezifferte die Financial Times Deutschland den Kaufpreis damals. Veränderungen gab es bei StudiVZ seitdem kaum. Immer noch ist der Service kostenlos: Nutzer erstellen sich auf der Plattform ein „Profil“, das andere Nutzer einsehen können. Foto, Name, Adresse, Hochschule, Angaben zu politischer Ausrichtung, „Beziehungsstatus“ und belegten Vorlesungen finden sich da neben „Alben“ mit Urlaubs- und Partyfotos. Ebenfalls gelistet: Die Zahl der „Freunde“.
Die findet man bei StudiVZ viel einfacher als im richtigen Leben. Nimmt man die Einladung eines anderen Mitglieds an, ist die Freundschaft bereits besiegelt: Die Nutzerprofile werden verlinkt. Per Mausklick gelangt man auf die Seiten seiner Freunde, deren Freunde und deren Freunde und kann ihnen zum Beispiel Nachrichten ins Gästebuch schreiben. Fehlen einem dazu die Worte, gibt es die Option „gruscheln“, wie es im StudiVZ-Jargon heißt. Was man dann mit der Mitteilung „Du wurdest gegruschelt“ anfängt, bleibt jedem selbst überlassen.
Ein anderes Mittel zur Vernetzung sind „Gruppen“. Dort finden sich Leute mit gleichen Interessen, gleichem Geburtsort oder gleichem Sinn für Humor. Die Gruppen tragen Namen wie „Nansenstraße 10 oder das legendäre rote Eckhaus“ (20 Mitglieder), „Du bist Golm“ (865 Mitglieder) oder „StudiVZ lenkt mich vom Lernen ab“ (8842 Mitglieder). Allein 357 Gruppen haben laut Artopé „Potsdam“ im Namen.
Zur anfänglichen Vernetzungshysterie hat sich mittlerweile jedoch bei vielen Skepsis gemischt. So denkt ein 26-jähriger Informatikstudent darüber nach, wieder auszutreten. Auf die Frage, warum er überhaupt dabei ist, hat er eine einfache Antwort: „Gruppenzwang.“ Viele seiner Kontakte liefen mittlerweile über StudiVZ, so der Potsdamer. Dabei kommt ihm das Netzwerk „total unsicher“ vor. „Am Anfang habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht“, erzählt eine 23-jährige Biologiestudentin. Sie habe Schulfreunde wiedergetroffen, surfte jeden Tag. Es mache „echt ein bisschen süchtig“, gibt sie zu. Jetzt hat sie die Sicherheitseinstellungen ihres Profils jedoch geändert: Ihre persönlichen Daten können nur noch „Freunde“ sehen.
Vor Sicherheitslücken warnten Kritiker allerdings von Anfang an. Erst Ende Februar 2007 mussten die Passwörter aller Nutzer ausgetauscht werden. Der Grund: Hackern war es gelungen, Mailadressen, Zugangsdaten und Freundschaftsverbindungen aus der StudiVZ-Datenbank auszulesen.
Dass trotzdem so viele Studenten ihre Daten dem Unternehmen anvertrauen, kann Nico Roicke nicht nachvollziehen: „In der realen Welt sind wir so vorsichtig wie möglich“, meint der 27-jährige Medienwissenschaftler, der in StudiVZ ein „Stalking-Werkzeug“ sieht. „Man kann praktisch nachvollziehen, an welchen Orten du dein Leben führst“, kritisiert auch Hannes Mandel. Er gehört – wie Roicke – zur Potsdamer Bloggerszene und studiert Europäische Medienwissenschaften. Für einen Personalchef könne der Einblick ins Privatleben potentieller Mitarbeiter sehr interessant sein, warnt er: Die Fotos von der letzten Party könnten dann unerwünschte Folgen haben.
Mehrfach in die Schlagzeilen geraten war auch Mitgründer und Ex-Geschäftsführer Ehssan Dariani, unter anderem mit einer Geburtstags-Einladung im Stil des Nazi-Blattes „Völkischer Beobachter“. Am 12. März gab der 26-Jährige seinen Rückzug aus der Geschäftsführung bekannt. Jana Haase
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