Landeshauptstadt: Frankreich ist weit weg
Seit Jahren reisen Schüler des OSZ „Johanna Just“ ins Nachbarland. Doch das Interesse schwindet
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Michael Ballstädt hat sich alle Rezepte geben lassen: wie man Schnecken zubereitet, Austern, Mousse au Chocolat. Er will Koch werden und absolviert derzeit eine Ausbildung am Oberstufenzentrum (OSZ) „Johanna Just“ in der Berliner Straße. Für drei Wochen war er in der französischen Bourgogne – dem Burgund – zum ersten Mal zum Schüleraustausch und hat im Hotel „Chez Camille“, einem Haus aus dem 16. Jahrhundert mit renommierter Küche, gearbeitet. Für ihn werde es nicht das letzte Mal gewesen sein, dass er im Ausland tätig ist, sagt er. Aber damit ist der 22-Jährige eher die Ausnahme.
Seit mehr als zehn Jahren veranstaltet Sprachenlehrerin Dorothea Wollenberg am OSZ den Austausch mit dem beruflichen Gymnasium „François Mitterrrand“ in Château-Chinon. Ende des vergangenen Jahres war es wieder so weit: Drei Wochen verbrachten die angehenden Gastronomen in Frankreich, dann kamen die französischen Austauschschüler in die Landeshauptstadt. Nun wurde das diesjährige Schulprojekt ausgewertet und die Schüler bekamen ihre Euro-Pässe für ihre Mobilität verliehen.
Dabei hat für viele Jugendliche die berufliche und private Beweglichkeit in Europa bei Weitem nicht die Bedeutung, die sich manche EU-Politiker wünschen würden. Für einige ihrer Schüler, sagt Wollenberg, sei es überhaupt die erste Auslandserfahrung gewesen. Noch in den 90er-Jahren habe eine regelrechte Aufbruchstimmung geherrscht, erzählt die Lehrerin, die den Austausch seit Anbeginn begleitet. Die Jugendlichen hätten die Reisen genutzt, um Neues entdecken zu können. „Die Schwerpunkte liegen heute woanders.“ Es herrsche ein hohes Sicherheitsbedürfnis, sagt die Französischlehrerin über die jetzige Generation der Berufsschüler. „Ich beobachte in den letzten Jahren immer mehr Ängste, das Vertraute zu verlassen.“ Auch sei es inzwischen nicht mehr so einfach, eine Gruppe an interessierten Jugendlichen zusammenzustellen.
Die Berufsschüler sind zwischen 17 und 22 Jahre alt und mussten sich zum ersten Mal sich allein im Ausland bei ihren Gastfamilien und in den französischen Betrieben bewähren. Sich selbst ausbilden, nennt das Wollenberg, „eine Erfahrung, die nichts aufwiegt“. Gleichzeitig bekommen die Jugendlichen einen Einblick in hochkarätige Häuser gewährt, sie können einem Sternekoch über die Schulter schauen und über ein 30-seitiges Buch als Weinkarte staunen.
Als Ausbildungsbetrieb unterstütze man den Austausch nach besten Kräften, sagt Sandra Kober vom Dorint-Hotel: „Die Schüler reifen an so einem Projekt.“ Auch vom Landhotel Potsdam, Michael Ballstädts Ausbildungsstätte, heißt es, auch wenn es schwer gewesen sei, auf ihn zu verzichten, habe sich der Austausch gelohnt.
Die wenigsten der Berufsschüler werden allerdings nach ihrer Ausbildung wohl in die weite Welt ziehen. Michael Ballstädt hat jedoch genau dies vor: Als junger Koch will er an dem Erasmus–Programm „Europäische Schule der Tafelkultur“ teilnehmen und ein Jahr lang jeweils mehrere Monate in Frankreich, Spanien und Italien arbeiten. Dann wird er noch mehr Sprachen lernen und Rezepte aus anderen Ländern ausprobieren können. giw
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