Landeshauptstadt: „Frau komm“ und „Uhri, Uhri“
Vergewaltigungen und Plünderungen: Das Verhalten der sowjetischen Sieger in Potsdam
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Vergewaltigungen und Plünderungen: Das Verhalten der sowjetischen Sieger in Potsdam „Es verging fast kein Abend, keine Nacht, in der man nicht die jammervollen Hilfeschreie von Frauen, die auf der Straße und in den immer unverschlossenen Häusern überfallen wurden, hörte, schreibt Ellen Gräfin Poninski in ihren „Aufzeichnungen nach täglichen Notizen über die Jahre in Potsdam 1945 - 1949“. „Man hat in glücklicheren Zonen damals vielleicht gedacht, die Beschreibungen seien übertrieben. Aber leider war es in Wirklichkeit wohl noch viel schlimmer, und die Qualen, die Frauen und Mädchen von 10 bis 80 Jahren zu dulden hatten, brauche ich hier nicht wiederzugeben.“ Dieser Zeitzeugenbericht ist nicht in einer Veröffentlichung des Potsdamer Militärgeschichtlichen Forschungsamtes nachzulesen und auch nicht des Potsdam-Museums. Wenn er im 1997 erschienenen Buch „Die Russen in Deutschland“ des amerikanischen Historikers Norman M. Naimark gedruckt wurde (der für diese wissenschaftliche Pionierarbeit das Bundesverdienstkreuz erhielt), erscheint dies keineswegs als Zufall. Die mit „Frau komm!“ und „Uhri, Uhri“ eingeleiteten Vergewaltigungen und Plünderungen der fast ausnahmslos stark betrunkenen Soldateska, die plündernd durch die Stadt zog und wahllos auf Zivilisten schoss, waren in der DDR-Zeit ein Tabuthema, und dieser Vorhang des Schweigens wirkt bis heute nach. Dass die Verbrechen „Rachedurst und Deutschenhass“ (Naimark) entsprangen, stand im Gegensatz zur offiziellen Propaganda, die sowjetischen Truppen seien allein als Befreier des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus gekommen. Auch der Potsdamer Gymnasiast Günter G. Zwanzig ließ 1946 in seinem Schulaufsatz „Wie ich das Kriegsende erlebte“ aus gutem Grund diese Verbrechen aus. Der 17-Jährige wusste aber sehr wohl, dass seine Cousine (20), seine Tante (42) und auch seine Großtante (63) Vergewaltigungen zum Opfer gefallen waren. Außerdem hatten die Soldaten Uhren und Schmuck mitgenommen. Karl-Heinz Voß berichtet, dass im Gartenkassenhaus von Sanssouci die couragierte Mieterin Eleonore von Heeringen eindringende Sowjetsoldaten mit dem Ruf „Offizier, Offizier“ verscheuchte und so die Frauen schützte. Von Offizieren mit höherer Bildung durfte man hoffen, dass sie gegen die Vergewaltiger einschritten. Dagegen erlitt in der nahe gelegenen Villa Liegnitz eine Flüchtlingsfamilie ein grauenhaftes Schicksal. Die 74-jährige Frau wurde brutal vergewaltigt und starb tags darauf. Ihren Ehemann, der zu Hilfe kommen wollte, schlugen die Eindringlinge tot. In der Sonnenlandstraße hatte die Familie von Mandelslohe ihre 12-jährige Tochter in einem Kleiderschrank versteckt. Nach Vergewaltigung der Mutter fanden die russischen Soldaten auch das Mädchen und missbrauchten es. Die Tochter erlitt schwerste körperliche und psychische Schäden, konnte nie mit einem Mann zusammensein und verbrachte ihr restliches Leben im Kloster. Diese Verbrechen nahmen nicht jene Ausmaße an wie bei der Eroberung der ersten deutschen Gebiete in Ostpreußen. Dazu trug ein Befehl vom 16. April 1945 bei, der Marodeuren aus Sorge um die Gefechtsbereitschaft und Kampfkraft der sowjetischen Truppen strengste Strafen androhte. Dennoch ging die Zahl der Fälle auch in Potsdam in die Tausende. Die meisten sind bis heute nicht aufgearbeitet. Neben der jahrzehntelangen Tabuisierung dieses Themas liegt die Ursache bei den vergewaltigten Frauen selbst, die über ihre grauenvollen Erlebnisse nicht sprechen wollten. Die aktuelle Ausstellung des Potsdam-Museums „Kohldampf und Bombentrichter“ zum 60. Jahrestag des Kriegsende geht auf die Verbrechen kaum ein. Nur im Begleitheft sind zwei Zeitzeugenberichte gedruckt, die das Thema streifen. In postsozialistischen „Memoirenzirkeln“ feiern Autorinnen, die in der SED-Zeit die offizielle Propaganda mitgetragen haben, die Sowjetsoldaten nach wie vor als die moralisch untadeligen „Befreier“, die Brot an die Kinder verteilten. Sicher, das haben sie auch getan ...
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