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Wer ist mental stärker: die jungen Wilden wie Potsdams Julia Simic oder die „alten Hasen“ wie Wolfsburgs Martina Müller?

©  dpa

Sport: Frauen sind mental top

Der ehemalige Eishockey-Profi und heutige Sportpsychologe Markus Flemming über Druck und einen möglichen psychologischen Vorteil im Leistungssport

Stand:

Herr Flemming, morgen spielen die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg und des 1. FFC Turbine Potsdam um den Finaleinzug der Women's Champions League. Nach dem 0:0 im Hinspiel ist viel die Rede davon, welche Mannschaft mehr Druck oder einen psychologischen Vorteil hat. Was bedeutet psychologischer Druck im Sport? Wodurch entsteht dieser?

Druck entsteht immer in uns selbst. Die Faktoren, die von außen auf den Sport oder auch im Alltag auf uns einwirken, bewirken eine Ansicht. Daher kommt es immer darauf an, für welche Ansicht sich der jeweilige Sportler entscheidet. Dabei ist Druck immer subjektiv, der aus Erfahrungen entsteht, die man in bestimmten Situationen zulässt.

Welches sind die Faktoren, die auf den Sportler wirken und ihn möglicherweise belasten?

Auch die sind individuell unterschiedlich. Es gibt Sportler, da erzeugt die eigene Erwartungshaltung, perfekt zu sein und gewinnen zu müssen, Druck. Es kann von außen Druck erzeugt werden durch Zuschauer, Medien und Kameras. Es gibt Sportler, die intuitiv mit solchen Dingen sehr gut umgehen und die vor mehreren Tausend Zuschauern richtig Bock kriegen zu spielen. Andere schalten in einen Vorsichtsmodus: Jetzt nur keinen Fehler machen. Es kann auch sein, dass ein Zuschauer unter tausend mehr Druck erzeugt als die ganze Masse an sich. Wenn zum Beispiel ein Bundestrainer dabei ist und ein Spieler sich darüber Gedanken macht. Jeder einzelne Sportler muss klären, welche Ansichten es sind, die ihn verkrampfen lassen.

Lässt sich unterscheiden, ob jemand mehr oder weniger anfällig ist?

Wir sind alles nur Menschen, jeder mit seiner eigenen Persönlichkeit. Jeder hat seine Erfahrungen, wie man auf bestimmte Faktoren reagiert. Das hat auch viel damit zu tun, wer einem was beigebracht hat – Eltern, Trainer oder andere Sportler. Das spielt eine große Rolle. Aber Fakt ist, dass sich jeder, der Leistungssport macht, den Faktoren stellen muss, die auf einen wirken. Und jeder entwickelt dabei seine Strategie, damit umzugehen. Die eine ist produktiv und lässt einen große sportliche Wettkämpfe als Herausforderung sehen. Da sieht man dann Sportler, die richtig Spaß und Freude in den wichtigsten Momenten ihrer Karriere haben und das wirklich genießen. Und dann gibt es wiederum Menschen, die in dieser Situation etwas Bedrohliches empfinden und eher vorsichtig werden und eventuell, ohne dass sie es wissen, von einem eigentlichen Erfolgssucher zu einem Misserfolgsvermeider werden. Man wird vorsichtiger, alles wird ein bisschen langsamer, man versucht, Fehler zu vermeiden, Bewegungen sind nicht mehr automatisch. Man versucht, die Umgebung und alle Faktoren zu kontrollieren.

Ticken auf dem Fußballplatz Frauen anders als Männer? Sind sie mental mehr oder weniger belastbar?

Ich finde, dass Frauen auf einem Top-Niveau in Deutschland ihre Leistungen abrufen – gerade im Fußball. Turbine Potsdam ist in der Stadt das absolute Aushängeschild, in Berlin und Deutschland kennt man den Verein. Das sind tolle Faktoren, die natürlich auch auf die Mannschaft wirken und mit denen sie umgehen muss. Ich finde es ungerecht, wenn es heißt, dass es beim Frauenfußball alles ein bisschen lockerer sei. Das ist es auf gar keinen Fall. Die Frauen stellen sich diesen Faktoren ganz genauso – und das seit Jahren auf einem Top-Level. Gerade im mentalen Bereich bringen die Frauen da Top-Leistungen.

Was passiert mit oder in einem Sportler, wenn sein Kopf nicht mitspielt und die Beine blockiert?

Das ist ein interessantes Phänomen. Wenn ich vor einem Start oder einem Anpfiff den Stresslevel und das Erregungsniveau nicht reguliere, dann kann es gut sein, dass ich mich nicht im mittleren Bereich befinde, der eine Herausforderung bewirkt und den man als Sportler als leichte Aufgeregtheit spüren will. Dann kann es passieren, dass ich über den Punkt hinaus rausche und ein Erregungsniveau erreiche, wo ich eher ein Fluchtverhalten zeige als eine Wettkampfbereitschaft. Dann werden die Beine schwer, dann wird vorsichtig taktiert. Wenn man dann Spieler beobachtet, wirken die fast etwas lustlos. Ist es aber nicht. Eher ist es so, dass der Spieler da weg will. Das ist natürlich dramatisch und für einen Sportler kontraproduktiv. Ich sage dann immer, dass es einfach unfair sich selbst gegenüber ist, so einen Höhepunkt unter Angst und Vermeidung zu spielen und das Gefühl zu haben: Hoffentlich ist es bald vorbei. Da braucht es dann psychologisches Training oder Intuition, die mittlere Erregungsebene zu erreichen.

Reicht auf absolutem Spitzenniveau Intuition aus oder braucht es da nicht Mentaltrainer oder Sportpsychologen?

Spitzensportler sind ja an einem Punkt angekommen, an dem sie schon vieles richtig machen. Sonst wären sie keine Spitzensportler. Die haben demnach alle einen Weg gefunden. Ich denke, dass ein Sportpsychologe für einige Sportler ratsam ist. Es ist aber kein Muss. Bei den Eisbären beispielsweise sind 20 Spieler im Kader, von denen mich vier nutzen. Der Rest hört mal zu oder wir kommen mal ins Gespräch oder beobachtet. Viele Spieler schließen daraus ganz intuitiv ihre eigenen Schlüsse. Ich würde niemals sagen, dass Sportpsychologen unbedingt notwendig sind, um erfolgreich zu sein. Sie sind ratsam, wenn der Mensch im Leistungssport in Situationen gerät, wo es schwierig ist, seine optimale Leistung gerade dann zu bringen, wenn es darauf ankommt.

Kann psychologischer Druck auch eine Gruppendynamik entfalten oder – umgekehrt – kann eine Mannschaft helfen, einem Einzelnen den Druck zu nehmen?

Das ist der große Vorteil des Mannschaftssports. Wenn man gut vorbereitet ist und einen guten Mix hat von jungen und älteren Sportlern, dann kann man durch diese Teamdynamik eine positive Energie entwickeln, den sogenanntem Mannschaftsspirit. Solche sozialen Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Wir fühlen uns wohl in einer Gruppe, in der wir das Gefühl haben, unterstützt zu werden. Fakt ist aber auch, dass sich in Stresssituationen eine Gruppe verändern kann. Wenn sie auf ein bestimmtes Ereignis nicht vorbereitet ist, kann auch eine negative Gruppendynamik entstehen.

Den Wolfsburgerinnen unterstellt man den Vorteil, zu wissen, wie es sich anfühlt, im Finale zu sein und was es braucht, um dort hinzukommen. Ist es so, dass ein erfahrener Sportler weniger Druck hat, weil er weiß, was ihn erwartet? Oder ist es eher so, dass ein unerfahrener Sportler unbedarft ist und daher weniger Belastung spürt?

Erfahrung und das Wissen, wie es in bestimmten Situationen zugeht, können ein Vorteil sein. Aber man kann auch eine unerfahrene Mannschaft auf einen Saisonhöhepunkt so vorbereiten, dass sie nicht überrascht oder gestresst ist, wenn es so weit ist. Auch hier ist die individuelle Einstellung ein wichtiger Faktor und dann ist es interessant zu beobachten, ob die erfahrene oder die junge dynamische Mannschaft erfolgreicher ist. Ich würde da niemandem einen Vorteil zugestehen. Wenn ich mich darauf einlasse, dass ich unerfahren bin und noch nie in einem großen Finale gespielt habe, kann ich das zu einer ganz spannenden Geschichte machen, zu einer großen Herausforderung, auf die ich mich tierisch freue und bei der ich mein Leistungsoptimum abrufe. Anderseits kann ich mich als erfahrener Spieler sehr darauf freuen, wie im letzten Jahr im Finale zu stehen und mir dabei bewusst machen, dass ich meine Stärken in den richtigen Augenblicken ausgespielt habe. Am Ende können es dann Nuancen, ein bisschen Glück und Tagesform sein, die so ein Spiel entscheiden. Das macht es schließlich so spannend. Und das ist ja das Schöne am Sport.

Das Gespräch führte Peter Könnicke

Markus Flemming (45) war bis 2000 Eishockeyprofi (Torwart), studierte dann Psychologie und betreut u.a. das Basketball-Nationalteam, die Eisbären Berlin und diverse Spitzensportler

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