55 Jahre Mauerbau: Freies Schussfeld statt Sichtachsen
Der Mauerbau zerstörte viele Elemente der Potsdamer Schlösserparks. Die Wunden wurden nach dem Mauerfall wieder geschlossen. Uwe Held war an der Wiederherstellung beteiligt.
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Potsdam - Wer schon einmal die Fährstraße entlang zur Kleingartenanlage Sacrow gefahren ist, hat sich vielleicht über die üppige Straßenbeleuchtung gewundert. Oder über die holprigen Erhebungen auf der Fahrbahn geärgert. Beides sind Rückstände aus DDR-Zeiten – der Schlosspark Sacrow war damals Grenzgebiet. Die Pfähle beleuchteten den Kolonnenweg, die Erhebungen auf der Straße sind Reste von Grenzpostanlagen. „Wenn wir hier rechts durchs Gebüsch gehen würden, könnten wir noch die Eisenpfähle im Wasser sehen“, sagt Uwe Held, der sich seit 2001 um die Pflege und Instandhaltung der 26 Hektar großen Parkanlage kümmert. Über die Lange Bucht der Havel führte damals eine schwere Brücke.
In den Jahren von 1961 bis 1989 erfuhren die im Auftrag der Könige geschaffenen Schlossgärten in Potsdam eine unsachgemäße Behandlung: Um eine Flucht der Bürger unmöglich zu machen, errichteten Grenztruppen im Auftrag der SED direkt am Wasser Sperranlagen. Die innerdeutsche Grenze verlief als Trennungslinie zwischen Ost und West mitten durch die Havel und fügte der Kulturlandschaft von König Friedrich Wilhelm IV. einen tiefen Riss zu. Uferwege wurden zu Grenzstreifen, uralte Bäume gefällt, die Parkanlagen dem Wildwuchs überlassen. Davon blieb auch der Schlosspark Sacrow nicht verschont, von dessen Ufern man dank der von Peter Joseph Lenné gestalteten Sichtachsen heute wieder nach Potsdam, nach Glienicke und bis nach Babelsberg blicken kann.
Der Schlosspark Sacrow war Grenzgebiet
Held, ein groß gewachsener, schlanker Mann, trägt zu seiner typischen grünen Gärtnerhose eine schwarze Fleecejacke mit dem Abzeichen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG). Das seit 1993 zur Stiftung gehörende Areal, das zwischen dem Neuen Garten und der Pfaueninsel liegt, pflegt er seit 2001. Zuvor war er für die Stiftung im Schlossgarten Caputh und im Park Babelsberg eingesetzt.
Allerdings: Bereits im Winter 1989 durfte er mit Kollegen erstmals in die Gärten. Was er da gedacht hat, als er diese Schäden sah? Held greift sich an den kurzen Stoppelbart und blickt lange auf das Havelwasser. „Oh je“ habe er gedacht, und auch, dass jede Menge Arbeit anstehe. Die von Hermann von Pückler-Muskau und Lenné gestalteten Blickbeziehungen der Landschaft waren nicht mehr da. Da die Grenztruppen freies Sicht- und Schussfeld brauchten, wurden ohne Rücksicht Hügel abgetragen und große Flächen mit Pflanzengift behandelt. In Babelsberg etwa seien die Bergfüße für den Kolonnenweg weggebaggert, Zäune und Wachttürme gebaut worden, teilweise wurden unterirdisch Kabel gelegt.
Hügel waren abgetragen, weitflächig Pflanzengift eingebracht
Nach der Wende mussten die Grenztruppen zunächst selbst die großen Bauelemente wie Türme und Zäune beseitigen, erst danach begannen die sensibleren Arbeiten der Gärtner – immer mit dem Ziel, die Gärten so aussehen zu lassen, wie es das historische Ideal vorschreibt. Die Arbeit ging dann doch schneller als gedacht voran: Für die Wiederherstellung der Parks wurden zahlreiche ABM-Stellen geschaffen. Held war mittendrin, hat Wildwuchs ebenso wie unerwünschte Jungbäume beräumt.
Auch mehr als zehn Jahre nach dem Mauerfall war dort noch nicht alles wieder hergerichtet – vor allem das historische Wegenetz war noch nicht wieder ganz intakt, der Wildwuchs im ehemaligen Grenzgebiet musste unter Berücksichtigung von Naturschutzauflagen weiter eingedämmt werden.
Die Heilandskirche war Abenteuerspielplatz für Grenzer
Eine besondere Behandlung erfuhr auch die 1844 im Auftrag von König Wilhelm IV. errichtete Heilandskirche an der Spitze der Insel: Sie lag zwar außerhalb des Grenzgebiets, war allerdings Sperrzone. „Gott sei Dank, so wurde sie nicht zerstört“, bemerkt Held. Doch dem Verfall war sie somit trotzdem überlassen, ihre Nutzung wurde wegen der Lage vom Regime natürlich untersagt. „Für die Grenzsoldaten war die Kirche Abenteuerspielplatz, viele haben sich in den Ziegeln mit Inschriften verewigt“, berichtet der 56-Jährige. In den 1980er-Jahren startete der damalige West-Berliner Bürgermeister Richard von Weizsäcker (CDU) eine Aktion, um die mittlerweile vom Verfall bedrohte Kirche zu retten. Mit West-Geld wurde das Gotteshaus von außen dann saniert.
Hinter dem Kirchturm begann die Mauer, dann kam der sogenannte Kolonnenweg – ein durch Herbizide von jeglicher Vegetation freigehaltener Streifen. Sobald eine Signalanlage anschlug, liefen die Truppen diesen Weg entlang und versuchten herauszufinden, ob es durch Mensch oder Tier ausgelöst wurde. Doch dass jemand hier einen Fluchtversuch unternahm – das war so gut wie undenkbar, weiß Held. Denn der Gartengestalter hat ein ganz genaues Bild von den Zuständen zu DDR-Zeiten vor Augen. Als ihm auch die Wiederherstellung des Parks Sacrow übertragen wurde, erwachte in ihm eine Leidenschaft: Er wollte wissen, wo genau im Ort die Grenze verlief, wo welche Truppe stationiert war, an welchen Ecken Grenzpunkte waren. „Ich wollte das gesamte Grenzgebiet hier durchschauen“, sagt Held. Gut drei Jahre lang durchforstete er alte Dokumente, sah sich Fotos an, sprach mit Anwohnern und ging auf Spurensuche – etwa nach Betonlöchern, in denen einst Kontrollpunkte standen. Das Ergebnis seiner Arbeit sind große, detaillierte Karten, auf denen genau nachgezeichnet ist, wo die Mauer verlief, wo der Stacheldraht oder wo ein Hundezwinger stand.
Im Park Sacrow wurden Spürhunde ausgebildet
Auf seinen Modellzeichnungen erkennt man auch, dass auf dem Schlossareal Zoll- und Spürhunde ausgebildet wurden – nicht zu verwechseln mit den DDR-Wachhunden. Vermutlich seien dies Schäferhunde gewesen, die auch weiterverkauft wurden. Wegen der aufmerksamen Hunde gab es im Uferweg im Park Sacrow, der in anderen Anlagen oft unter dem traurigen Namen „Todesstreifen“ bekannt wurde, auch keine Kettenhunde. „Wer sich hier nicht auskannte, hatte keine Chance“, sagt Held. Nur von zwei Menschen ist ein Fluchtversuch von Sacrow aus bekannt, 1961 und 1962. Beide ertranken im kalten Wasser der Havel.
Im Schloss Sacrow ist noch bis 13. November die Ausstellung "Gärtner führen keine Kriege" über die Potsdamer Schlösserparks während der Mauer zu sehen.
Anne-Kathrin Fischer
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