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Links und rechts der Langen Brücke: Freiräume und Schloss

Henri Kramer über die Jugendkultur-Krise in Potsdam

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Eine schizophrene Situation: So nannte es ein Teilnehmer des ersten Runden Tisches zur Zukunft der Jugend- und Soziokultur. Denn während am Donnerstagabend viele junge Potsdamer mit vermeintlichen Experten aus der Verwaltung und Politikern vor allem aneinander vorbei diskutierten, wurde die wichtigste Nachricht des Tages zum Thema bekannt. Denn Teile des Alternativen-Zentrums Archiv in der Leipziger Straße sind von der Bauaufsicht gesperrt. Die Realität des Verlustes von freien Räumen war längst weiter als die Diskussion, deren Sinn weitgehend unklar blieb.

Die Stimmung in Potsdams alternativer Szene ist entsprechend geladen, weil das Archiv ja nur das jüngste und eben auch ein sehr prominentes Beispiel für gefühlte Verdrängung ist. Die verfahrene Situation hat sich die Stadtverwaltung zuzuschreiben. Jahrelang wurde es von der zuständigen Beigeordneten Gabriele Fischer versäumt, ein tragfähiges Gesamtkonzept für Jugendkultur zu entwickeln. Beispiel Archiv: Der Trägerverein soll seit rund zehn Jahren das Haus instand halten und katastrophensicher machen, dafür bezahlt er keine Miete. Allerdings scheint der Vertrag denkbar ungünstig. Zwar ist das Papier langfristig angelegt, aber jedes Jahr mit einer Klausel versehen, über die der Kommunale Immobilienservice (KIS) kündigen kann. Für Kredite, die der Archiv e.V. für Bauarbeiten benötigen würde, ist das eine schlechte Voraussetzung. Doch bringt es wenig, nur über die Fehler der Verwaltung zu schimpfen oder über die Widersprüche im Archiv-Verein, der ja auch bereits zehn Jahre lang die Möglichkeit hatte, über den nicht tragfähigen Vertrag mit der Stadt öffentlich zu diskutieren.

Denn das Kind ertrinkt gerade im Brunnen. Ein erster Schritt zur Rettung war das klare Bekenntnis der Politik im Hauptausschuss, dass der Standort gewollt ist. Daran werden sich Parteien messen müssen. Dazu dürfen die Arbeitsgruppen des Runden Soziokultur-Tisches nicht nebulös diskutieren, sondern brauchen klare Aufträge: Eine AG etwa für eine neue Fassung des Archiv-Vertrags. Und eine AG, die quer in der Stadt nach möglichen Räumen für Jugend- und Soziokultur schaut und diese vorschlägt. Und es braucht Druck auf die Stadtverwaltung: Nicht nur von den jungen Menschen, die Subkultur in Potsdam nutzen und bieten wollen. Sondern auch von deren Eltern. Eine Möglichkeit dafür wäre der 8. November. Leider aber ist die Demo für die Rettung der Alternativkultur von Lutz Boede unter das Motto „Freiräume statt Schlossträume“ gestellt worden. Dieser Gegensatz dürfte aber gerade viele ältere Potsdamer abschrecken, die dennoch ihre Kinder tanzen und feiern sehen wollen. Sowohl Schloss als auch Archiv sollten in einer Stadt möglich sein, die Gegensätze in sich vereinen muss wie Potsdam.

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