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POSITIONEN: Frust und Enttäuschung werden wachsen

Kommunalverfassung: Gegen die „Oligarchisierung“ im Stadtparlament Von Carsten Herzberg

Stand:

Mit der Veränderung des Fraktionsstatus in der neuen Kommunalverfassung wollen die etablierten Parteien in erster Linie von ihrer Krise ablenken. Ähnlich wie in anderen Städten ist in Potsdam die Wahlbeteiligung von über 74,4 Prozent (1990) auf mittlerweile 45,7 Prozent (2003) gesunken. In diesem Zeitraum verloren SPD, CDU und PDS in absoluten Zahlen ungefähr ein Drittel ihrer Wähler, rund 56 000 Menschen. Dieser Trend wird allgemein als Politikverdrossenheit bezeichnet. Doch bei genauerer Betrachtung handelt es sich um Desinteresse an Politikern klassischer Prägung. Denn zeitgleich zu den Verlusten der großen Parteien hat sich in Brandenburg ein buntes Spektrum freier, parteiunabhängiger Wählergruppen gebildet, die bei der letzten Kommunalwahl so stark wie nie zuvor waren. Dies war möglich, weil die östlichen Bundesländer bei der Reform der Kommunalverfassung in den 1990er Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen hatten. Anknüpfend an den demokratischen Geist der Wendezeit hat man hier – anders als noch im größten Teil des Westens – eine Sperrklausel erst gar nicht eingeführt.

Mit der neuen Brandenburger Kommunalverfassung wird diese Tendenz umgedreht. Der Grund: Die etablierten Parteien haben Angst, ihren dominanten Status zu verlieren. Freilich spricht man dies so nicht aus, sondern es wird suggeriert, dass die „Kleinen“ zu viel quatschen und damit Entscheidungen blockieren. Diese Argumentation ist so einfach wie fragwürdig. Denn möglicherweise werden die Diskussionen nun von den Ausschüssen in das Plenum verschoben. Der Verweis auf eine bessere Steuerung dient lediglich als Vorwand. Das Modernisierungsvokabular soll davon ablenken, dass es sich um eine versteckte beziehungsweise nachgeordnete Sperrklausel handelt, und zwar auf dem Rekordniveau von sieben Prozent – eine Hürde, die sich weder Land- noch Bundestag leisten können. So viel sind nämlich notwendig, wenn man erst mit vier statt wie bisher mit zwei Mandaten eine Fraktion bilden kann. Verschwiegen wird dabei, dass ohne Fraktionsrechte der Gemeindevertreter zum Statisten wird: Er ist von den Ausschüssen ausgeschlossen und seine Möglichkeit, Fragen zu stellen, ist ebenfalls stark eingeschränkt.

Das Ausmaß der „Oligarchisierung“ wird deutlich, wenn man die kommunalen Unternehmen betrachtet. In Potsdam sind sie inzwischen wichtiger als die eigentliche Verwaltung: Sie besitzen mehr Mitarbeiter und mehr freies Geld als die Kernverwaltung und erbringen so wichtige Dienstleistungen wie Strom, Gas, Nahverkehr, Wohnungen. Mit der Reform wird es in Zukunft ausgeschlossen sein, dass eine freie Wählergruppe oder eine kleine Partei – die in der Landeshauptstadt zusammen derzeit 23 Prozent ausmachen – in den Aufsichtsrat dieser Unternehmen gelangen. Die wesentlichen Entscheidungen wie die Anhebung der Strom- und Gastarife wird noch mehr als zuvor von einer kleinen Clique ausgewählter Parteioligarchen entschieden werden. Dies steht in starkem Widerspruch zu den Sonntagsreden, in denen die Kommune als ein Ort der lebendigen und erlebbaren Demokratie gelobt wird. Gerade aber bei engagierten Bürgern wird die Beschneidung der Mitwirkungsrechte Frust und Enttäuschung wachsen lassen und es ist abzusehen, dass die Wahlbeteiligung weiter sinken wird.

Aufgrund des in den letzten Jahren erheblich gewachsenen Zuspruchs ist Die Andere selbst auf eine Änderung des Fraktionsstatus nicht angewiesen. Gerade aber diese Stärke ermuntert zur Solidarität mit den Betroffenen. Die neue Kommunalverfassung bedarf in diesem Punkt einer eindeutigen Revision. Von daher ist neben einer juristischen Anfechtung die Möglichkeit eines Volksbegehrens oder Volksentscheides zu prüfen. Der anstehende Wahlkampf lädt geradezu dazu ein, Unterschriften für eine solche Initiative zu sammeln.

Carsten Herzberg ist Mitglied der Wählergruppe Die Andere

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