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Etwas HELLA: Für Charlie etwas wagen

Es ist zwar schon eine ganze Weile her, dass wir als DDR-Journalisten lange Listen bekamen, worüber wir nicht schreiben sollten. Erst waren es einzelne Tabus, dann kam immer mehr dazu und schließlich schrieben wir auch noch den positiven Gerichtsbericht, weil das sozialistische Kollektiv alle Gauner bekehrte.

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Es ist zwar schon eine ganze Weile her, dass wir als DDR-Journalisten lange Listen bekamen, worüber wir nicht schreiben sollten. Erst waren es einzelne Tabus, dann kam immer mehr dazu und schließlich schrieben wir auch noch den positiven Gerichtsbericht, weil das sozialistische Kollektiv alle Gauner bekehrte. Man sagte: Na ja, warum nicht, es bringt ja nichts ein, gegen den Stachel zu löcken. Bis wir ihn fast verlernt hatten, den aufrechten Gang. Und es ist ja auch heute nicht immer leicht, ihn zu üben.

Damals ging es natürlich nicht um Gotteslästerung. Die Religion, die laut Lenin „Opium fürs Volk“ war, hatte man offiziell so gut wie abgeschafft. Es ging eher um Umweltschutz, Auswüchse der Mangelwirtschaft und das Versagen bei ganz alltäglichen Aufgaben wie dem Schneeräumen im Winter. Alles Dinge, die Partei und Regierung selbst verbockt hatten. Aber damals war eben nicht nur Allah unfehlbar, auch die Genossen erhoben Anspruch darauf.

Hinter vorgehaltener Hand aber blühten Witz und Satire, selbst auf die Gefahr hin, dass man – beim Glossieren der Wirklichkeit erwischt – mit Strafe, ja sogar Knast rechnen musste. Schließlich entschied das Volk, dass es so nicht weiterleben wollte, eingesperrt, ohne Westmark und mit falschen Göttern vor der Nase.

Inzwischen ist die Religion zurückgekehrt. Es gibt derer im einstmals vorwiegend protestantischen Brandenburg sogar jede Menge unterschiedliche und dagegen ist nichts einzuwenden. Na ja, die Zeugen Jehovas, die ich in jeder Verkleidung erkenne, lasse ich nicht in die gute Stube. Es dauert so lange, bis ich die zur reinen Lehre Luthers bekehrt habe. Ich will auch nicht zum Islam übertreten, weil das Kopftuch die Frisur so zerknautscht. Und die Bahai-Religion, die uns als Journalisten eine Zeit lang heftig umwarb und unbedingt beschrieben werden wollte, ist mir bis heute ein Brief mit sieben Siegeln geblieben. Aber alle dürfen machen, was sie für richtig halten, solange sie sich an Recht und Gesetz halten und zwar an unser demokratisches in Europa.

Und es gibt eine Meinungsfreiheit, die ich mir nie wieder nehmen lassen möchte. Nicht einmal aus Angst vor der neuen Bedrohung durch Attentate. Meine Neigung, eine Märtyrerin zu werden, ist zwar nicht ausgeprägter als früher. Aber wie Frankreich, ja die ganze Welt auf den Mord an den Karikaturisten reagierte, das hat mir Mut gemacht. Auch die Kollegen von „Charlie Hebdo“ hatten wohl eher auf einen friedlichen, erfüllten Lebensabend gehofft, statt das Leben für ihren satirischen Mut zu lassen. Und ihrem dänischen Kollegen Kurt Westergaard gefällt es bestimmt ebenso wenig, dass sein Leben bedroht ist. Hat es Potsdam geschafft, ihm bei der M100-Veranstaltung 2010 den Medienpreis zu verleihen, so sollte die Stadt jetzt sogar noch einen Schritt weitergehen und die Karikaturen öffentlich ausstellen. Zeigen wir damit, dass wir Charlie sind. Mutig, lebendig und das noch recht lange!

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam

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