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Landeshauptstadt: G8-Demo: Land will nicht zahlen Potsdamer Sanitäter fordert Schmerzensgeld

Rostock / Potsdam - Der Tag, an dem Rettungssanitäter Steffen Berger sein Augenlicht verlor, ist gut dokumentiert. Am 7.

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Rostock / Potsdam - Der Tag, an dem Rettungssanitäter Steffen Berger sein Augenlicht verlor, ist gut dokumentiert. Am 7. Juni 2007 gehörte der Potsdamer zu einem Protestzug Tausender Demonstranten in der Bannmeile des G8-Treffens in Heiligendamm. Auf einer Wiese an einer der Zufahrtsstraßen zum weit abgesperrten Konferenzort wurden die Protestierenden von Polizisten zurückgedrängt, gegen 12.10 Uhr kam der Befehl zum Einsatz der Wasserwerfer. Ein Strahl traf Berger so heftig am Kopf, dass er blutüberströmt zu Boden ging. Demonstranten, Polizisten, Rettungssanitäter und nicht zuletzt die Medien wurden Zeugen des Polizeieinsatzes und seiner Folgen. „Ihr habt ihm sein Auge weggeschossen“, brüllte einer der Demonstranten.

Drei Jahre danach kämpft Berger vor dem Rostocker Landgericht für seine Glaubwürdigkeit. Am Dienstag scheiterte ein Versuch, sich mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern auf Schmerzensgeld und Schadensersatz in Höhe von wenigstens 30 000 Euro zu einigen. „Ich kann auf dem linken Auge nicht mehr sehen, auf einem Rettungswagen kann ich nicht mehr arbeiten“, sagt der 39-Jährige. Er lebe jetzt von Hartz IV. Dass sich das Land Mecklenburg-Vorpommern, das den Polizeieinsatz damals verantwortet habe, jetzt billig davonstehlen wolle, indem es die Ursache der Verletzungen anzweifle, das erschüttere ihn zutiefst, sagt der Familienvater.

Auch Verteidiger Falko Drescher ist einigermaßen ratlos. „Wir haben mit Dutzenden Augenzeugen gesprochen, haben dicke Hefter mit Bildern und viel Videomaterial gesammelt. Wir kennen die Besatzung des Wasserwerfers und haben mindestens zehn weitere Verletzte ausfindig gemacht – warum ergreift das Land nicht die Chance, hier beherzt einen Strich unter die Einzelfallentscheidung zu ziehen?“ Parallel laufe eine Strafanzeige gegen die damals beteiligten Beamten. „In 99 Prozent der Fälle gegen Polizisten wird aber entweder die Klage fallen gelassen oder sie enden mit Freispruch“, sagt Drescher, der zu diesem Thema promoviert hat.

Das Rostocker Landgericht macht es sich indessen noch schwer, überhaupt Mecklenburg-Vorpommern als Beklagten zu akzeptieren. Die drei Mann Besatzung des Wasserwerfers kamen aus Nordrhein-Westfalen, sie seien trotz Gesamtleitung durch die Polizei Mecklenburg-Vorpommerns auch für ihren Einsatz verantwortlich. Das Gericht folgte bislang jedoch nicht der Argumentation des Landes, wonach die Protestaktion nahe Heiligendamm per se verboten war. Auch eine Blockade genieße Versammlungsrecht, die Veranstaltung muss ausdrücklich untersagt werden, um Zwangsmaßnahmen anwenden zu können, sagte der Richter. „Es ist ohnehin nicht so prickelnd klar, was die Polizei da gemacht hat.“ Es reiche nicht die Ansage „Achtung, wir löschen!“, bevor sofort mit der stärksten Form des Wasserwerfers, dem Wasserstoß, auf die Demonstranten gezielt werde. Auch die Reaktion auf die offenbar schwere Verletzung von Berger durch die Polizei erregte das Missfallen des Richters. Besatzungen von drei Krankenwagen durften sich nicht um den Patienten kümmern, erst ein weiterer Rettungswagen musste angefordert werden. „Diese Entscheidung damit zu begründen, das seien alles freie Träger gewesen, reicht mir nicht“, sagte der Richter.

Berger musste sich wochenlang Operationen unterziehen. Sein Augenlid war zerrissen, die Augenhöhle zertrümmert. Sein Gesicht ist wieder hergestellt, nur bei einem Blick in die grünen Augen sieht man unterschiedliche Pupillengrößen.

Schwerer wiegt aber die psychische Verletzung. „Eine Entschuldigung hätte mir sehr geholfen. Wenn ich jetzt Wasserwerfer sehe, wird mir mulmig.“ Auch Drescher wäre eine schnelle Wiedergutmachung nicht nur für seinen Mandanten wichtig. Ohnehin wären 30 000 Euro kaum ein Ausgleich. „Ich denke auch an andere Polizeieinsätze, zum Beispiel jetzt in Stuttgart, wo wieder zwei Männer schwer am Auge verletzt wurden. Es gibt ja die Anweisung, mit einem Wasserwerfer nicht auf die Köpfe zu zielen. Wenn ein Land aber schon einmal auf Schadensersatz verklagt wurde, sind Polizisten vielleicht ein wenig vorsichtiger bei solchen Einsätzen.“ Das Landgericht hat eine Entscheidung im Zivilverfahren für den 3. Dezember angekündigt, zunächst wird über die Zuständigkeit der Klage beschieden. Katrin Schüler

Katrin Schüler

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