Landeshauptstadt: Galgenfrist für Wagenburg
Zwischen Bürokratie und Selbstfindung: Alternatives Wohnprojekt auf Hermannswerder sucht neuen Stellplatz
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Zwischen Bürokratie und Selbstfindung: Alternatives Wohnprojekt auf Hermannswerder sucht neuen Stellplatz Von der Holzterrasse des Wohnwagens aus gesehen scheint die Welt noch in Ordnung zu sein: In der warmen Sommerluft schwirren ein paar Insekten, ein Schäferhund liegt faul dösend im Gras. Vom hektischen Potsdamer Zentrum ist hier auf Hermannswerder wenig zu bemerken. Aus genau diesem Grund sind Alex und Kati auch hier. Zusammen mit drei weiteren Freunden leben die beiden Studentinnen in Wohnwagen auf der Potsdamer Insel – mitten im Grünen, fernab vom Stress der Welt. Der Genuss naturverbundener Lebensfreude ist ihnen aber in letzter Zeit doch recht stark vergällt worden. Grund war die zu heute angesetzte Kündigung ihres Pachtvertrages, die für die fünf Wagenbewohner den Verlust ihres Wohnungsortes bedeutetet hätte. „Wir wussten zwar, dass der Pachtvertrag nach zwei Jahren nicht verlängert werden sollte und haben uns daher rechtzeitig um einen neuen Stellplatz bemüht, aber um alle bürokratischen Hürden zu nehmen, brauchten wir einfach mehr Zeit“, erklärt Alex am Dienstagmittag, und wischt sich eine Strähne aus dem Gesicht. In letzter Minute sei dann eine dreimonatige Fristverlängerung gekommen, die ihnen Zeit gibt, das anvisierte Grundstück in Golm zu erschließen. „Da das in einem Wasserschutzgebiet der Stufe II liegt, sind etliche Auflagen zu erfüllen – unter anderem das Anlegen einer so genannten monolithischen Abwassergrube. Mit Strom und Wasser kommen da ganz locker an die 10 000 Euro zusammen. Bevor wir damit allerdings anfangen können, muss die Stadtverwaltung noch zustimmen.“ Dem stünden nach Klärung der umwelttechnischen Probleme allerdings noch zwei weitere Hindernisse entgegen: Zum einem befindet sich das Grundstück in der Nähe zur Lindenallee, einer als Weltkulturerbe geschützten Sichtachse auf das Neue Palais. Zum anderen dürfen Bauwagen laut Gesetz nur auf Bauland stehen, als Bauland sei das Grundstück aber nicht ausgeschrieben. Kati, mit 22 Jahren die Jüngste in der Wagenburg, ist aber trotzdem zuversichtlich: „Die Stadt hat uns das Grundstück ja selbst angeboten. Und wenn man nicht locker lässt, dann kann man schon etwas erreichen.“ Die Zusammenarbeit mit den Behörden verlaufe generell recht konstruktiv, mit Ablehnung würden sie nur selten konfrontiert. „Eher mit Neugierde“, so Alex. „Vielleicht liegt das daran, dass wir nicht das gängige Klischee erfüllen: Wir gehen alle arbeiten oder studieren; einer von uns ist Sprach-, ein anderer Physiotherapeut. In Golm würden wir gern mit einem benachbarten Jugendclub zusammenarbeiten und beispielsweise Sprachkurse anbieten. Und sobald die Leute merken, dass wir keine Assis sind, fangen sie an, Interesse an unserer Lebensweise zu zeigen.“ In einem Wagen zu leben – das heißt für die fünf Aussteiger weniger überflüssigen Luxus um sich herum zu haben und dafür sich selbst finden und mehr Miteinander erleben zu können. Natürlich könne man auch in einer WG zusammen leben, aber dann fehle die Nähe zur Natur, so Kati. „Die ist uns ebenso wichtig, wie die sinnvolle Nutzung umweltfreundlicher Ressourcen. Unseren Strom beziehen wir größtenteils aus Solarzellen, im Winter heizen wir nicht mit Kohle, sondern mit Holz.“ Ob so ein Wohnwagen überhaupt warm werde? Alex antwortet lachend. „Es scheint eine fixe Idee zu sein, dass die Wagen im Winter kalt sind. Aber wenn man die richtig isoliert, ist das kein Problem.“ Was wesentlich mehr Kraft koste, als der Kampf gegen die winterliche Kälte, wäre die ständige Auseinandersetzung mit den Behörden. Denn trotz des unbelasteten Umgangs miteinander, koste die Ungewissheit über die nächste Zukunft viel Kraft. „Dass wir hier ständig auf dem Sprung leben müssen, zerrt an den Nerven. Und wenn die Frist zur Klärung aller Fragen nicht reichen sollte, es aber keine weitere Verlängerung gibt, dann werden wir in die Illegalität gezwungen“, befürchtet Alex. „Denn weg können wir hier nicht – wohin auch?“ Die Wagenbewohner hoffen daher auch auf die Mithilfe der Bevölkerung – schon einmal hätten ihnen Privatpersonen eine geeignete Fläche zur Verfügung gestellt. Wo, wäre nicht so wichtig. Es wäre nur schön, wenn von dort die Welt nicht nur in Ordnung schiene, sondern es auch wäre.
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