
© Andreas Klaer
Sport: Gänsehaut und Olympiafieber
Martina Willing will bei den Paralympischen Spielen in London im Kugelstoßen und Speerwerfen um Medaillen kämpfen
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In Martina Willings Wohnung stapeln sich die Wäscheberge. In dem einen steckt der Trainingsschweiß von zwei Wochen Kienbaum. Der andere riecht nach Olympia: neue Trainingsanzüge, Schuhe und Wettkampfshirts. Während der verschwitzte Stapel in die Waschmaschine kommt, verschwindet der andere in einer riesigen Reisetasche, mit der sich Martina Willing am Montag auf zu den Paralympischen Spielen nach London macht. Wenn alles gut geht, ist bei ihrer Rückkehr das Gepäck um ein oder zwei Medaillen schwerer.
„Ich bin in guter Form“, sagt die behinderte Leichtathletin des SC Potsdam, die in London im Kugelstoßen und Speerwerfen um olympisches Edelmetall kämpft. In Bundesleistungszentrum Kienbaum hat sich die 52-Jährige den letzten Schliff geholt. „Vor allem Schnelligkeit stand noch einmal auf dem Programm“, sagt die aus Brandenburg an der Havel kommende Sportlerin. Gleich am ersten Wettkampftag, am kommenden Samstag, gilt es, die Form auf den Punkt zu bringen. Dann steht die Konkurrenz im Kugelstoßen an – und Willing gehört ohne Frage zum Kreis der Favoritinnen. Nicht nur weil die blinde und querschnittsgelähmte Athletin aus der Erfahrung von sechs Paralympischen Spielen mit insgesamt zwölf Medaillen schöpfen kann. Vor wenigen Wochen stieß sie die Kugel bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin auf die neue Weltrekordweite von 8,92 Meter, womit sie ihre Londoner Medaillen-Ambitionen untermauerte. Eine Sieggarantie gibt es indes nicht. „Auch im Behindertensport ist die Weltspitze eng zusammengerückt“, sagt sie. „Es kann gut sein, dass ich mit Bestleistung nur Vierte oder Fünfte werde.“
Trotz der Routine und Erfahrung von insgesamt 60 internationalen Podestplätzen bei Welt- und Europameisterschaften sowie Paralympischen Spielen fiebert Willing London entgegen. „Die Spiele sind immer etwas Besonderes“, sagt sie. Die vielen Athleten im olympischen Dorf sowie volle Zuschauerränge würden im Vergleich zu anderen Wettkämpfen eine Atmosphäre erzeugen, die Gänsehaut erzeuge, meint sie. Seit ihrem 21. Lebensjahr ist Willing erblindet, seit 1994 sitzt sie nach einem Sportunfall im Rollstuhl. Das hindert sie nicht daran, das einzigartige Flair olympischer Wettkämpfe zu erkennen, zu fühlen – und sich darauf einzustellen. „Wenn die Geräuschkulisse bei einem Wettkampf zu laut ist, erfordert es eine gewisse mentale Technik, um mich auf meine Würfe zu konzentrieren“, sagt Willing.
Ab kommenden Montag startet Martina Willing ihren olympischen Fahrplan. Bei der Eröffnungsfeier wird sie nicht im Stadion sein. „Die ist mir zu nah an meinem ersten Wettkampf“, gibt sie sich professionell. Stattdessen wird sie sich einen Tag später mit der Wettkampfarena vertraut machen, ehe sie am 1. September im Kugelstoßring aktiv wird. Dann bleiben vier Tage zur Regeneration und zum Fein- tuning für den Speerwurf-Wettbewerb. „Und ab 6. September stehen mir alle Shopping- und Partytüren offen“, freut sich Willing. „Ich werde durch den Olympiapark rollen und im Deutschen Haus ’ne Schorle trinken.“ Die Abschlussfeier will sie unbedingt erleben. Und bei ihrer Rückkehr am 10. September wird sie die Erfahrungen ihrer siebten Paralympischen Spiele im Gepäck haben – vielleicht mit besonderem Glanz.
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