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Landeshauptstadt: „Ganz normale Kinder“

Brandenburg fördert seit Beginn des Schuljahres rund 870 besonders begabte Schüler in Leistungsklassen

Stand:

„Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“

Albert Einstein hat diesen Satz geprägt, der inzwischen zum Leitbild Brandenburger Schulen geworden ist. Etwa 870 Schüler, die als besonders talentiert und stark gelten, lernen seit diesem Jahr in den so genannten Leistungs- und Begabungsklassen (LuBK). Im Projektraum der Klasse 5a am Potsdamer Hermann-von-Helmholtz- Gymnasium hält Karl ein Skelett aus Hühnerknochen in den Händen. Es ist das nachgebaute Gerippe eines Dinosauriers. Der Zehnjährige erforscht mit seinen 28 Klassenkameraden biologische Phänomene. Experimentierstunden gehören zum naturwissenschaftlichen Profil seiner Leistungs- und Begabungsklasse. An 34 Schulen in Brandenburg werden besonders begabte Kinder seit Ende August speziell gefördert.

„Wir beschäftigen die Kinder hier zusätzlich zum regulären Unterricht“, sagt Lehrerin Katrin Kopischke. „Ich habe eine Klasse voller Individualisten, die alle eine sehr hohe Leistungsfähigkeit aufweisen.“ Die 41-Jährige unterrichtet die Fächer Biologie und Chemie. Eine Gruppe ihrer Schüler hat sich in einem Bio-Projekt mit Sauriern beschäftigt. „Dafür habe ich zu Hause ein Huhn gekocht und die Knochen mitgebracht, die die Kinder dann zusammengebaut haben“, erzählt Kopischke. Die neue Regelung bedeute für sie bis zu drei Stunden unbezahlte Mehrarbeit in der Woche. Doch wenn sie sehe, wie die Kinder ihre Vorschläge umsetzen, habe sich das gelohnt.

Auch an der Voltaire-Gesamtschule in der Landeshauptstadt geht ohne Mehrarbeit der Lehrer nichts. „Ohne das Engagement wäre es eine normale Klasse wie jede andere auch“, sagt Jens Knittel. Er hat an dem Konzept der speziellen Leistungsklassen in einer Gesamtschule mitgeschrieben und muss es oft verteidigen. Denn eine der häufigsten Nachfragen ist: Wie verträgt sich Begabten- und Eliteförderung mit dem Ansatz der Gesamtschule?

33 Gymnasien landesweit fördern die Schüler in Leistungs- und Begabungsklassen, die Voltaire-Schule ist die einzige Gesamtschule mit diesem Angebot. Schulleiterin Ortrut Meyhöfer definiert den Schulnamen ohnehin anders als die Politik. Sie will die Gesamtschule als Einrichtung, in der jeder Schüler jeden Abschluss auf jedem Weg erreichen kann – individuell auf ihn zugeschnitten. Dass es funktioniert, zeigen die 28 Fünftklässler. Zehn Lehrer kümmern sich um die Klasse, deren Kinder unterschiedlicher kaum sein könnten. Doch eines haben sie gemeinsam – sie gelten als besonders leistungsstark und begabt. Um herauszufinden auf welchem Gebiet, gab es eine Analysephase zum Schuljahresbeginn. Nun geht es um die spezielle Förderung, als Methoden dafür wirft Jens Knittel Schlagwörter wie binnendifferenziertes Lernen, Leistungs- und Ergebnisbilanzen sowie rhythmisiertes Lernen in den Raum. Auf jeden Schüler soll einzeln eingegangen, seine Stärken entdeckt werden.

Insgesamt hatten sich 46 Schulen mit unterschiedlichen Konzepten für 35 Leistungs- und Begabungsklassen beim Bildungsministerium beworben. Dabei konnten sie den Schwerpunkt des Unterrichts entweder allgemein halten oder ein spezielles Profil wählen. Dass nur 34 Klassen realisiert wurden, liegt nach Angaben eines Ministeriumssprechers an den qualitativ schlechten Vorschlägen einzelner Schulen. Die Folge ist, dass es in den Landkreisen Elbe-Elster, Uckermark und Prignitz keine Angebote gibt. Zudem hatte der Kreistag des Landkreises Oberhavel diese Art der Förderung abgelehnt. Drei Landkreise werden auch künftig definitiv ohne LuBks bleiben – einzig zwei Schulen aus dem Kreis Elbe-Elster bewerben sich derzeit um den einen offenen Platz der Spezialklassen. Eine Entscheidung, ob sie eröffnet werden, wird Anfang 2008 fallen.

Aus Potsdam und der Mittelmark hat sich laut dem Ministeriumssprecher keine Schule mehr um den freien Platz beworben. Schon im Vorjahr, bei der ersten Bewerbungsrunde, hatte die Anzahl von fünf Potsdamer Schulen mit Leistungsklassen für Kritik gesorgt. Vom schleichenden Ende der sechsjährigen Grundschule war damals die Rede.

„Dass trotz einheitlichem Schulgesetz ein ganzer Landkreis aussteigen kann, ist sehr schlimm“, kritisiert die Vorsitzende des Regionalvereins Berlin-Brandenburg der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind, Monique Zander. Der Verein berät Eltern und bietet Kurse und Workshops für hochbegabte Kinder und Jugendliche an. Hochbegabung sei nicht eindeutig zu definieren, betont Zander. Sie begrüßt die Förderklassen, kritisiert jedoch das Aufnahmeverfahren und den Zeitpunkt der Förderung. „Bereits Erzieher in Kitas müssen offen für dieses Thema sein“, betont sie.

Nicht alle der rund 900 Schüler, die in diesem Jahr das Bewerbungsverfahren für die Spezialklassen erfolgreich abgeschlossen haben, sind hochbegabt. „In erster Linie sind es ganz normale Kinder, die allerdings überdurchschnittlich neugierig, aktiv und lebhaft sind“, betont Kopischke. In der Grundschule hätten sie oft unter festgelegten Schemata gelitten und ihre eigenen Ideen nicht weiterführen können. Die negativen Folgen könnten unter anderem Langeweile, Zappeligkeit oder Verweigerung sein.

In den Leistungs- und Begabungsklassen träfen die Kinder dann erstmals mit Gleichgesinnten zusammen, erläutert Kopischke. Das führe dazu, dass sie sich nicht mehr anders als andere fühlten und ihre Fähigkeiten voll entfalten könnten. Das ist auch Karl in seiner fünften Klasse aufgefallen. Er sagt: „Keiner wird mehr als Streber verhöhnt, denn das könnte man ja zu jedem von uns sagen.“

Carolin Bauer und Jan Brunzlow

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