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Volksfestcharakter. Zeitverzögerungen interessierten kaum, die Leute hatten Spaß.

© dapd

Landeshauptstadt: „Ganz so wie damals wird es nicht“

Beim Baustellen-Rundgang bekamen die Besucher Eindrücke, wo sich Barock und Moderne treffen

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Das Alte, das neu gemacht wird, fasziniert besonders. An der Werkbank von Martin Richter drängen sich die Leute an den Steinmetz heran, um möglichst jeden Hammerschlag mitzubekommen. Mit weichen Schlägen treibt der 30-Jährige den Meißel in den sächsischen Sandstein, aus dem sich Stück für Stück die Form eines Blattes herausschält. Elf Stunden wird er brauchen, bis er in den etwa 60 Zentimeter langen Steinblock die barocke Verzierung gemeißelt hat. Etwa tausend solcher Blöcke, so schätzt er, werden in den Sächsischen Sandsteinwerken für den Auftrag aus Potsdam bearbeitet.

Die Kunst des Steinmetz’ aus Pirna ist nur ein Baustein für das Vorhaben, das Potsdamer Stadtschloss rein äußerlich wieder wie einst und im Innern als modernen Landtag zu errichten. Und so heftig und lange diskutiert wurde, wie historisch geschneidert das Gewand des Neubaus denn nun aussehen soll und darf, so groß ist – zumindest an diesem Tag der offenen Baustelle – das Interesse daran, wie barocke Formen entstehen.

Am vergangenen Samstag, als das brandenburgische Finanzministerium als Bauherrin und das Schloss-Bauunternehmen BAM zum Ort des Geschehens einluden und Tausende Schaulustige kamen, interessiert vor allem, was denn nach Fertigstellung wieder an Originalem zu sehen ist. „Und das historische Treppenhaus wird wieder so wie damals?“, fragt eine junge Frau beeindruckt, als sie Fotos vom Originalzustand des Aufgangs mit seinen Marmorstufen sah. „Nicht ganz, es wird etwas schlichter“, erklärt Katrin Winter von einer eigens für den Landtagsbau geschaffenen Stabsstelle im Finanzministerium. Den ganzen Tag über hält sie ein „Fotoalbum“ in der Hand – eine Bauakte mit Aufnahmen, Zuordnungen und Wiedereinbaukonzepten vorhandener Originalteile oder deren Nachbildungen. „Etwa 300 historische Restteile werden verbaut“, weiß Winter. Die meisten – wie etwa die fünf Charakterköpfe oder die Wappenkartusche über der Kutscheinfahrt – werden die äußere Fassade zieren.

Nach Betreten des Innenhofes, der sonst nur durch die Gitter des Fortunaportals zu erspähen ist, unterscheidet sich das künftige Landtagsschloss nicht sonderlich von einem gewöhnlichen Rohbau: aufeinandergesetzte graue Betonfertigteile, betongraue Gänge, betongraue Stufen, grüne Rigipswände. Während sich an der Außenfassade erste barocke Fensterrahmen abzeichnen, dominiert innen schlichte Betonbauweise, die hinter roten Klinkern verschwindet.

Auffällig sind zahlreiche rote Streifen an den Decken der Innenräume, über die die Besucher erfahren, dass sie zur Markierung für Leitungen und tragende Elemente dienen. Vor allem aber beeindrucken die Dimensionen, die sich beim Hofgang und Haus–Besuch offenbaren. Allein die langen ovalen Fenster des Treppenhauses zur Hofseite haben ein Ausmaß, das einen vollständigen Blick auf die gesamte Kuppel der gegenüberliegenden Nikolaikirche zulässt. Vom Seitenflügel und künftigem Bürotrakt, der für den Erkundungsgang geöffnet ist, bietet sich ein weiter Blick auf die Alte Fahrt. Noch liegt dort das Theaterschiff, dessen weißes Segel herüberleuchtet. In den kommenden Jahren wird am Ufer der Alten Fahrt das alte Schlossumfeld wiederentstehen. „Das wird alles mit Häusern von damals zugebaut“, erklärt eine Frau ihrer kleinen Tochter.

Lange Gänge, hohe Höhen, weite Blicke – und doch gibt es Skepsis: Ein junger Mann, der vom zweiten Obergeschoss in den künftigen Plenarsaal hinunterblickt, teilt via Handy irgendjemanden seinen Eindruck mit: „Ick persönlich finde den Saal ja zu kleen“, sagt er. Auch BAM-Mitarbeiter Tino Hoffmeister, der den Besuchern im historischen Treppenhaus Rede und Antwort steht, wird an diesem Tag immer wieder gefragt, ob der Plenarsaal denn auch groß genug wäre für ein gemeinsames Parlament von Brandenburg und Berlin.

Wüssten die Besucher, dass Hoffmeister der verantwortliche Projektleiter für die Medien im künftigen Landtaggebäude ist, müsste er wahrscheinlich noch viel mehr Auskunft geben: Sein Gewerk ist „schuld“ an der aktuellen Debatte, ob der Landtagsbau später fertig werden wird als im übernächsten Herbst. Da das Finanzministerium die Idee vom modernen Landtag dynamisch weiterentwickelt und nunmehr digitale statt analoge Medien wünscht, „mussten wir die bisherige Planung wegschmeißen und komplett neu beginnen“, sagt Hoffmeister salopp. „Das kostet Zeit und ist auch teuer“, meint er.

Das versuchte auch Chef-Bauleiter Thomas Weber zu vermitteln, als er zu Beginn des Besuchertages mit Finanzminister Helmuth Markov (Linke) über den Mehraufwand an Zeit und Kosten ins Streiten geraten war. Etwas später meinte BAM-Deutschland-Chef Alexander Naujoks verständnisvoll: „Jeder weiß doch, dass ein heute gekaufter Fernseher morgen alt ist.“ Daher sei es schon okay, wenn man sich jetzt über die einzubauende Technik verständige. Versöhnlich befand er: „Das ist keine Situation, die nicht zu meistern wäre.“

Wirklich interessiert sind die Baustellen-Besucher an der Frage eines möglichen Bauverzugs nicht. Sie fasziniert, wie Potsdams Mitte durch alte Formen neu entsteht. „Das ist ein historischer Moment“, sagt ein Mann und hält ihn fest mit seiner – nun ja – Digitalkamera.

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