Landeshauptstadt: Gazelle mit Klingelton
Velo-West ist ein Familienladen. Uwe Stender wundert sich manchmal, wie gut sein Fahrradgeschäft läuft
Stand:
Potsdam-West ohne Fahrräder – undenkbar. In dem Quartier zwischen Zeppelinstraße und Sanssouci haben sich in den letzten Jahren gleich drei Fahrradhändler niedergelassen. „Es läuft super, all die Studenten, die Familien mit den kleinen Kindern, die wollen versorgt werden“, sagt Uwe Stender. Der 49-Jährige machte sich 2010 mit seinem Laden Velo-West selbstständig. Zuerst in der Geschwister-Scholl-Straße, dann zog er um in den Abschnitt der Nansenstraße, der zum Bahnhof Charlottenhof führt.
Kurz vor Ladenschluss ist hier reichlich Betrieb, es werden reparierte Räder abgeholt, eine junge Frau nutzt die Luftstation. Etwas unorthodox hat Uwe Stender dafür einen Luftschlauch zum Fenster rausgeleitet, abends holt er diesen zurück ins Haus. Ebenso wie die etwa 60 Räder, die tagsüber vor dem Haus und auf einem Rasen-Eckgrundstück ausgestellt sind und Lust machen sollen aufs Radfahren. „Morgens alle raus, abends alle rein“, sagt der Zwei-Meter-Mann, der stets zwei Räder gleichzeitig in den Laden bugsiert. Velo-West, das ist ein Stück Lebenstraum, das er sich hier verwirklicht hat. Das hat ihn einiges an Kraft gekostet – und Mut. Stender war schon vieles, hat Autos, Oldtimer aufgebaut, war Motorradkurier, hat im Ausland gearbeitet – ein ruheloses Leben. Dann kam er zurück nach Potsdam und hörte, dass der Verein Rückenwind einen Betreuer für die Fahrradwerkstatt suchte. Das war perfekt für ihn, den Tüftler, der schon als Kind im Keller schraubte, Fahrräder zusammenbastelte, für jedes Problem eine Lösung fand. Noch immer ist das Flottmachen von Rädern seine Stärke.
„Habt ihr was finden können?“ fragt ein Familienvater, der sein Lastenrad in Überlänge – eine Gazelle von 2,40 Meter mit gleich zwei Kindersitzen – abholt. Dann entwickelt sich ein Dialog wie im Vorzimmer einer Arztpraxis, so eine Fahrradwartung scheint eine ernsthafte Angelegenheit zu sein. „Das Fahrrad – das ist für viele Leute ein Heiligtum“, sagt Stender.
Zwei Ladenräume gehören zu Velo-West. Der etwas exotische Altbau mit der 5,50 Meter Gewölbedecke, in dem Räder und Zubehör verkauft werden, daneben die größere Werkstatt mit Hebebühne, wo weitere Räder zum Verkauf stehen, außerdem Ersatzteile zum selber Schrauben. „Die Leute finden es hier gemütlich“, sagt Uwe Stender. Und zeigt, wie man die Speichenspannung mit einem Tensiometer misst, die Speichen nachstellt. „Das ist schon irre – so ein paar dünne Metallstäbchen halten das ganze Rad zusammen, halten die ganze Belastung aus“, sagt er ehrfurchtsvoll.
Mit einem Gründerzuschuss für Jungunternehmer war er gestartet, das Jobcenter habe ihn sehr unterstützt, lobt er. Mittlerweile braucht er das nicht mehr, bildet nun selbst aus, Azubis, die dann weiterziehen. „Ich kann immer nur einen über den Winter mitnehmen“, sagt Uwe Stender zu seiner Situation. Mit einem Angestellten klappt es, auch wenn es so viel Arbeit ist, dass er sagt: „Ich hab nur Fahrrad im Kopf!“
Im Laden findet der Potsdam-Westler alles, was man für eine Zweiradkarriere braucht. Kindersitze und -anhänger, Laufräder, Puki-Räder, Kinderfahrräder in allen Größen und Designs; dazu Helme aller Art, Fahrradtaschen, Rucksäcke, lustige Klingeln, Hupen, Fahrradpumpen, Schlösser und Flickzeug – die kleinste Ausführung halb so groß wie eine Streichholzschachtel, ideal für die Hosentasche. Die Räder stehen dicht an dicht, auf Wandregalen, sie hängen unter der hohen Decke, Winora, Haibike und Velo-Held, filigrane Stahlräder aus Dresden, die er hier in Potsdam zu etablieren versucht. Klassische Hollandräder, die gehen auch gut, sagt er. Natürlich darf man probefahren, den Kinderanhänger ausprobieren. „Wir sind ein Familienladen“, sagt Uwe Stender.
Seit kurzem hat er einen Fahrradverleih mit dabei, er hatte immer mehr Anfragen bekommen. Wenn man ihn reden hört, scheint es, als ob es dem großen Mann unheimlich ist, dass alles sich so gefügt hat. Er erinnert sich noch an den Anfang, als er für einen Euro eine Annonce geschaltet hatte und den Leuten ihre Schrotträder abnahm. Wie er diese in einer Garage aufgearbeiteten Räder verkaufte. Da hatte er noch keinen Laden. „Ich hab jeden Tag eins an den Laternenpfahl hier gegenüber angeschlossen und abends war es verkauft.“ Er sei zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, als sich Potsdam-West zu erholen begann, die leerstehenden Läden neue Mieter fanden. Den Namen Velo-West erfand eine Auszubildende. „Vor kurzem sagte jemand, ich hätte mich Fahrrad-Stender nennen sollen“, sagt er. Doch das wäre falsch geschrieben gewesen, er fand das komisch. Mit einem Velo wissen auch die zugewanderten Süddeutschen und Schweizer etwas anzufangen, die fänden das gut, sagt er.
„Sie haben so schöne Klingeln“, sagt eine Frau, die – der Laden ist streng genommen bereits geschlossen – sich umsieht, vor dem Klingelbrett mit der Liix-Kollektion stehen bleibt. Auch hier darf probiert werden: Quietschbunte Klingeln und Glocken von Ding-Dong bis Polka.
Velo-West, Geschwister-Scholl-Straße 88
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: