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Pfarrer mit Hitlergruß. Die Deutschen Christen, hier Landesbischof Ludwig Müller bei der „Nationalsynode“ 1933 in Wittenberg, traten für eine gleichgeschaltete Reichskirche ein. Die Bekennende Kirche hingegen wehrte sich gegen den Einfluss des Naziregimes.

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Potsdams Evangelische Kirche in der NS-Zeit: Gebete unterm Hakenkreuz

Potsdams evangelische Kirche arbeitet jetzt ihre Historie in der NS-Zeit auf. Geplant ist eine Veranstaltungsreihe zur Bekennenden Kirche.

Von Peer Straube

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Mit einer Veranstaltungsreihe über die Bekennende Kirche beginnen Potsdams Protestanten mit der Aufarbeitung der evangelischen Kirchengeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus. Zum Auftakt ist am 11. November ein Vortrag in der Villa Schöningen geplant. Unter dem Titel „Tausendmal sind wir schuldig geworden“ werde der Kirchenhistoriker Hartmut Ludwig über das Verhältnis der Bekennenden Kirche zu ihren Mitgliedern jüdischer Herkunft berichten, sagte Potsdams Stadtkirchenpfarrer Simon Kuntze den PNN. Im kommenden Jahr sei zudem eine Veranstaltung zum sogenannten „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 und eine Lesung aus Briefen engagierter Frauen der Bekennenden Kirche geplant, so Kuntze. Den Abschluss bildet am 16. August 2015 die Eröffnung einer Ausstellung in der Friedenskirche, die sich mit der Gründung der Bekennenden Kirche in Potsdam beschäftigt.

In der Bekennenden Kirche (BK) hatten sich in ganz Deutschland evangelische Christen zusammengeschlossen, die Widerstand gegen die von den Nazis geplante Gleichschaltung der Kirche leisten wollten. Ihnen gegenüber standen die Deutschen Christen (DC), die sich für die vom NS-Regime propagierte einheitliche Reichskirche einsetzten. In Potsdam wurde die Bekennende Kirche im August 1934 auf Initiative von Anni von Gottberg gegründet – seit wenigen Wochen erinnert eine Tafel vor ihrem Wohnhaus in der Weinbergstraße daran.

Die Aufarbeitung des Themas dürfte spannend werden, denn das Bild von den ausschließlich „guten Christen“ der Bekennenden Kirche ist auch in Potsdam nicht immer stimmig. Viele hiesige Pfarrer hätten durchaus mit den Nazis sympathisiert, sagte Kunze, der die kircheninterne Arbeitsgruppe „Kirche und Nationalsozialismus“ leitet. In vielen Lebensläufen gebe es daher „spannende Brüche“. Ein Beispiel ist der damalige Superintendent und Pfarrer der Nikolaikirche, Werner Görnandt. Am „Tag von Potsdam“ hatte er noch den Schulterschluss zwischen Kirche und Nazi-Staat propagiert. Doch eine Einmischung des NS-Regimes in kircheninterne Angelegenheiten lehnte er ab. Ende 1933 stand er vor der Suspendierung. Görnandt hatte bei den Gemeindekirchenratswahlen für die Liste „Evangelium und Kirche“ kandidiert, einem Vorläufer der Bekennenden Kirche. Zudem galt seine Frau als Halbjüdin. Proteste vieler Pfarrer und Mitglieder verschiedener Gemeinden halfen nichts: Anfang 1934 ging Görnandt ins Exil nach Kopenhagen, seine Nachfolge trat Martin Thom an, ein Deutscher Christ.

Auch der Fall des Ehepaars Michaelis wirft Fragen auf. Im November 1935 beantragte das Paar – der Mann war getaufter Jude –, das der Friedens-Erlöser-Gemeinde angehörte, die Aufnahme in die Bekennende Kirche. Doch der Bruderrat, das Leitungsgremium der BK, lehnte ab, weil er politische Gründe hinter dem Antrag vermutete. Politischen Widerstand aber habe die Bekennende Kirche nicht leisten wollen, so Kuntze. Was aus dem Ehepaar Michaelis wurde, ist unklar.

Begonnen hatte das Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Potsdamer Kirchengeschichte während der NS-Zeit Anfang 2013. Die ehrenamtlich tätige Arbeitsgruppe, bestehend aus Potsdamer Pfarrern, Historikern und interessierten Gemeindegliedern, müsse vielfach Grundlagenforschung betreiben, erklärte Kuntze. Die Quellenlage zur Bekennenden Kirche und ihrem Verhältnis zu Christen jüdischer Herkunft sei sehr dünn. Inzwischen habe man die großen Kirchenarchive des Landes Brandenburg durchforstet und eine Bestandsaufnahme gemacht. Die Schätze in den Archiven der gut 20 evangelischen Gemeinden in Potsdam müssen allerdings noch gehoben werden.

Um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, kooperiert die Arbeitsgruppe mit dem Potsdam Museum, der Villa Schöningen und der Voltaire-Schule, deren Schüler sich bereits um die Aufstellung von Stolpersteinen in Potsdam verdient gemacht haben. Trotz dieser Kooperationen sei die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Kirche ein „Projekt aus den Gemeinden heraus“, sagte Kuntze. Die Zeit dafür sei inzwischen reif, sich „mythenfrei und kritisch“ mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Im Kirchenkreis gebe es für die Tätigkeit der Arbeitsgruppe daher großes Wohlwollen. „Vor 15 Jahren war das noch anders“, so Kuntze. Damals habe in Potsdam kaum jemand Interesse an dem Thema gehabt. Dass die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe irgendwann einmal in eine Publikation münden, sei zwar nicht geplant, aber auch nicht ausgeschlossen, sagte Kuntze.

Nach der Veranstaltungsreihe zur Bekennenden Kirche sollen zwei weitere große Projekte in Angriff genommen werden. Für 2015/16 sei geplant, das Leben von Christen jüdischer Herkunft in Potsdam zu erforschen. „Das ist ein noch ziemlich unbeackertes Feld“, sagte der Stadtkirchenpfarrer. So sei beispielsweise bislang völlig unklar, wie viele Menschen mit christlichem Glauben, aber jüdischen Vorfahren es in den Potsdamer Gemeinden in der Zeit zwischen 1933 und 1945 überhaupt gab. Die Arbeitsgruppe sei bereits dabei, Namen zu sammeln und eine Liste zu erstellen.

Das zweite große Projekt soll sich dann mit dem Übergang zwischen der Nazizeit und der Nachkriegszeit befassen, kündigte Kuntze an. Ein Historiker im Team wolle beispielsweise untersuchen, in welchen Gemeinden Pfarrer ihre Ämter auch in der Zeit des beginnenden Kommunismus weiter ausübten, wo es Brüche gab und warum.

Eins ist laut Kuntze aber schon jetzt klar: Die überwiegende Mehrheit der etwa zehn Potsdamer Großgemeinden war nazitreu. Selbst im roten Nowawes dominierten die Deutschen Christen.

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