Landeshauptstadt: Gefahr für Villa Gericke
Restaurierung des Ensembles droht an Streit zwischen Bauherr und Stadtkonservator zu scheitern
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Nauener Vorstadt - Die Rettung eines weiteren wichtigen Potsdamer Baudenkmals steht vor dem Scheitern. Nach Aufsetzen eines neuen Schieferdaches wird an der Villa Gericke in der Puschkinallee 17 nun die aus Backstein- und Holzarchitektur bestehende Fassade des in den letzten Jahren leerstehenden Gebäudes saniert. Auch der Innenausbau hat begonnen. Jetzt aber droht den Arbeiten der Stillstand. Nach PNN-Informationen hat Stadtkonservator Andreas Kalesse die Gestaltung des Gartengeländes beanstandet und sechsstellige Sanktionen angekündigt. Für die Arbeiten gebe keine naturschutzrechtliche Genehmigung. Kalesse wollte sich dazu auf Nachfrage nicht äußern.
Die Bauherren, das Ehepaar Jörg und Barbara Zumbaum, können die Intervention Kalesses nicht nachvollziehen. Er habe jedes Detail der Gestaltung des völlig verwilderten Gartens mit der Denkmalpflegerin Johanna Neuperdt abgeklärt, sagte Zumbaum den PNN. Die Querelen hätten erst vor einigen Monaten nach deren Pensionierung begonnen. Er bestätigte, dass er sich gegebenenfalls aus dem Projekt zurückziehen wolle. Gestern führte Zumbaum ein vertrauliches Gespräch mit Oberbürgermeister Jann Jakobs, um eine Lösung zu finden. Mit Kalesse werde er nicht mehr verhandeln, erklärte er.
Ein Rückzug würde gleichzeitig ein anderes wichtiges Potsdamer Denkmalprojekt gefährden. Die Zumbaums haben nämlich auch ein Angebot für die von der Stadt ausgeschriebenen Gebäude Schwanenallee 7, 7a und 7b abgegeben, den Rest der einstigen Königlichen Matrosenstation „Kongsnaes“, die ab 1892 in norwegischer Holzarchitektur errichtet worden war. Ein neuer Eigentümer soll die an einer Mitnutzung und dem kompletten Wiederaufbau der Station interessierten Vereine „Kongsnaes“, Royal Louise und Eviga (Wikingerboot) einbeziehen. Nach den jüngsten Erfahrungen mit der Potsdamer Denkmalpflege habe er dieses Vorhaben vorerst sistiert, erklärte Jörg Zumbaum.
Die international tätigen Rechtsanwälte, die neben ihrem Stammsitz in Düren (Rheinland) Niederlassungen in Kopenhagen, Paris, Hamburg / US-Staat Connecticut, Berlin, Frankfurt (Main) und seit 2004 auch in Potsdam betreiben, hatten das Villengrundstück am Aufgang zum Pfingstberg 2005 von einer Erbengemeinschaft erworben. Der Ausbau ist mit Auflagen der Denkmalpflege verbunden. So werden die Fassade, die mit Schnitzereien verzierten Giebel, die an die Bauten der nahe gelegenen Russischen Kolonie Alexandrowka erinnern, die schmiedeeisernen Balkongitter und die fünf aus Terrakottaformsteinen gemauerten Schornsteine originalgerecht wieder hergestellt. Gleiches gilt für den baukünstlerischen Schmuck, so die Keramikreliefs an den Erkern. Sie zeigen Pomona, Flora und Bacchus sowie Szenen aus dem Familienleben. Dem von Christian Daniel Rauch und Leo von Klenze 1823 bis 1825 geschaffenen Münchner Denkmal für den bayrischen König Max I. Joseph nachgestaltet sind Allegorien auf die Wissenschaften und Künste. Das bildkünstlerische Programm folgt dem Motto „Tages Arbeit, abends Gäste! Saure Wochen, frohe Feste!“ aus Goethes Ballade „Der Schatzgräber“. Im Inneren haben sich einige Holzdecken, Türen, Täfelungen und ein Kamin im Original erhalten. Auch sie werden restauriert.
Die Bedeutung des Gebäudes besteht darin, dass es nahezu eine Kopie der berühmten Villa Ende im Berliner Tiergarten ist. Sie war 1864/65 von dem Architekten Hermann Ende als Wohnhaus errichtet worden. Als Paradebeispiel des Historismus, der verschiedene Baustile mischte, wurde sie weithin bekannt. Ende, der mit seinem Partner Wilhelm Böckmann auch eine Anzahl von Bauten zur Villenkolonie Neubabelsberg beisteuerte, ließ sein Haus jedoch bereits 1893 wieder abreißen. Grund war, dass Teile des Grundstücks ab 1882 für den Bau einer S-Bahnlinie in Anspruch genommen wurden.
Wer einen realen Eindruck von der Villa Ende gewinnen will, muss heute also nach Potsdam in die Puschkinallee fahren. Laut Bauantrag von 1892 wurde das Haus von Architekt F. Gericke für die Stadtratswitwe E. Gericke gebaut. Dafür sollen auch beim Abriss geborgene Originalbauteile der Villa Ende verwendet worden sein, so die holzgeschnitzten Giebel und die Keramikreliefs. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als im Büro von Ende und Böckmann ein Architekt F(ritz) Gericke angestellt war. Bei ihm sowie bei der Bauherrin handelte es sich um Mitglieder der alt eingesessenen Potsdamer Hoflieferantenfamilie Gericke, die vor allem durch ihre Bäckerei in der Schlossstraße bekannt geworden war. Sie nahm auch zahlreiche städtische Ehrenämter wahr; so gehörte der Ehemann der Witwe E. Gericke wahrscheinlich als unbesoldeter Stadtrat dem Potsdamer Magistrat an. Als die Villa 1913 einen Anbau erhielt, wird Hoflieferant Conrad Gericke als Bauherr genannt. In den Adressbüchern der 30er Jahre ist mit „Schlossbäcker R. Gericke“ für die Kapellenbergstraße 17, wie sie damals hieß, noch immer ein Mitglied der Familie als Eigentümer angeben.
Erhart Hohenstein
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