Landeshauptstadt: Gefördert und nun gefordert
Wenn sich die öffentliche Hand zurückzieht: Zwei Sozialprojekte und das Schicksal ihrer Protagonisten
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Sternschnuppen gleich leuchten sie auf – um dann wieder zu verschwinden: Öffentlich geförderte Sozialprojekte. Förderer und Geförderte profitieren eine kurze Zeit vom öffentlichen Geld – doch was kommt danach? Vor dieser Frage stehen in Potsdam derzeit unabhängig voneinander Ricarda Fuchs und Ralf Kelling. Fuchs hat mit dem von ihr initiierten Projekt „Drehmoment“ Schlagzeilen gemacht; acht der zehn von ihr betreuten jungen Erwachsenen half sie über alle Hürden hinweg, eine berufliche Ausbildung zu finden. „Das ist ein beispielhaftes Projekt, wie wir benachteiligte Jugendliche wieder in den Arbeitsmarkt integrieren können“, sagte selbst Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) noch im Februar. Doch nun, Mitte April, endet die städtische Förderung endgültig, wie die Stadtverwaltung den PNN bestätigte.
Ralf Kelling war dank des Programms „Arbeit für Brandenburg“ zwei Jahre lang „der singende Bibliothekar“ an der Rosa-Luxemburg- Schule (PNN berichteten). Die Förderung endete zwar schon im September 2012, doch mithilfe des Schulfördervereins konnte die Arbeit Ralf Kellings bislang noch für wenige Stunden in der Woche weiterfinanziert werden. Doch jetzt ist auch für den in einem DDR-Kinderheim aufgewachsenen ehemaligen Straßenmusikanten Schluss. Der Verein kann das Geld nicht mehr aufbringen. „Zu Ostern müssen wir die Bremse ziehen“, erklärte Schulleiterin Sabine Hummel am Dienstag den PNN: „Herr Kelling befindet sich wieder auf dem freien Markt.“
Der 58-Jährige spricht klare Worte: Es sei „echte Verarschung“, ihn für zwei Jahre vom Arbeitsmarkt zu nehmen, um ihn dann „mit einem noch größeren Bauchklatscher“ wieder dorthin zurückzubefördern. Kelling ist Elektromonteur; er hat als Kellner gearbeitet und nun, als Bibliothekar, mit Schulkindern. Vielleicht, sagt Kelling, „finde ich etwas als Haushaltshilfe – Garten, Kinder, Kochen“.
Auch Schulleiterin Sabine Hummel ist nicht glücklich mit der Situation. Natürlich könne eine Förderung nicht bis ins Rentenalter andauern. Aber: „Es fehlt die Perspektive.“ Schulen hätten Schulbibliotheken, da „muss dann auch eine Stelle finanziert werden“, findet die Schulleiterin, „und sei es eine Aufstockung von Hartz IV.“ Nun werden die Eltern die Bibliothek stundenweise betreuen. Was den Beschäftigungsprojekten neben einer längerfristigen Perspektive ebenfalls fehle, sei eine begleitende Schulung.
„Da sind wir beim Thema Nachhaltigkeit“, sagt Ricarda Fuchs, als sie vom Schicksal Ralf Kellings hört. Die Projekte werden mit viel Engagement angeschoben; deren Protagonisten dann aber fallen gelassen – „und der Nächste fängt wieder von vorn an“.
Das Geheimnis von Ricarda Fuchs ist es, „die Menschen so zu sehen, wie sie sind“. Die Jugendlichen haben in Schule und Elternhaus oft nicht das Rüstzeug mitbekommen, die Probleme des Erwachsenseins zu meistern. Die Frustrationstoleranz ist so niedrig wie das Selbstbewusstsein. „Heilarbeit ist notwendig“, sagt Ricarda Fuchs, die „Drehmoment“ aus ihrer Heilpraxis „Energie des Herzens“ in der Charlottenstraße heraus begründete. Zusammen mit Mitstreitern wie Maria von Pawelsz-Wolf und Karen Kaouk gründete sie nun einen Förderverein, um „Drehmoment“ mit Spenden zu finanzieren. „Wir machen weiter“, sagt Ricarda Fuchs kämpferisch. Die nächsten Jugendlichen, von ihren Freunden darauf aufmerksam gemacht, stünden bereits vor der Tür.
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