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Etwas HELLA: Gefühle, die die Seite wechseln

Als die Filmcrew von Steven Spielberg die Glienicker Brücke wegen der Dreharbeiten zu „Bridge of Spies“ sperren ließ, war ich sauer, weil ich einen Umweg fahren musste. Immer diese blöden Sperrungen, immer irgendwelche Umleitungen, dachte ich erbost.

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Als die Filmcrew von Steven Spielberg die Glienicker Brücke wegen der Dreharbeiten zu „Bridge of Spies“ sperren ließ, war ich sauer, weil ich einen Umweg fahren musste. Immer diese blöden Sperrungen, immer irgendwelche Umleitungen, dachte ich erbost. Jetzt bin ich mächtig stolz, dass ausgerechnet diese Brücke durch den inzwischen oscarverdächtigen Film weltweit ins Gerede kommt. Aber so ist das mit den Gefühlen, man kann ihnen nie ganz trauen. Mal wechseln sie die Seiten, mal machen sie sich auf und davon.

Dass ich am 10. November 1989 abends genau an dieser Brücke stand und mit den anderen Wartenden skandiert habe: „Macht das Tor auf“ und dann dicke Tränen heulte, als es gegen 18 Uhr tatsächlich geschah, hat sich gefühlsmäßig auch erledigt. 25 Jahre später an der gleichen Stelle habe ich mich zwar daran erinnert, doch dasselbe Gefühl hat sich nicht mehr eingestellt. Auch wenn zum Jubiläum im letzten Jahr erneut Menschenmassen die Berliner Straße füllten, mit Sekt, Kaffee und Kuchen hat auf der anderen Seite keiner gewartet. Der Alltag ist eingekehrt und die Berliner Freundlichkeit hat längst wieder ihren ganz eigenen, mitunter etwas gewöhnungsbedürftigen Charme.

Dass uns die Erderwärmung bedroht und wir uns eigentlich über den langen schönen Sommer Sorgen machen müssten – ich habe ihn einfach nur genossen und gucke eher ein bisschen trübsinnig in diese verregneten Tage. Auch das gestresste Fußvolk in der Brandenburger Straße will an irgendwelchen Ständen zumeist weder bengalische Tiger, noch Eisbären retten. Obwohl beides notwendig wäre.

Doch selbst so ein Verstandesbolzen wie ich ist nicht gefeit gegen seltsame Gefühle. Als ich nach einer fröhlichen Feier spätabends im Bus nach Hause fuhr, mutterseelenallein, stiegen plötzlich drei fremdländisch aussehende Jugendliche ein und mein Herz pochte vor panischer Angst. Die drei juxten untereinander ein bisschen herum und setzten sich dann brav in eine Ecke. Ich saß völlig unbehelligt, aber weit weniger fröhlich in meiner.

Auch meinen Gefühlen gegenüber den Basisdemokraten, speziell den Spartakisten im freien Freiland, sollte ich nicht trauen. Die haben natürlich nichts gegen Ausländer und bringen ihnen ausschließlich freundliche Gefühle entgegen. Nur der gesunde Menschenverstand riet ihnen, gegen eine Unterbringung von Flüchtlingen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Einspruch zu erheben. Denn nichts ist schließlich gefährlicher als neben einem Ort zu wohnen, der ausgerechnet auch noch Freiland heißt.

Die Gefühle, die dadurch in der Stadtverwaltung aufkamen, lasse ich mal außen vor. Die Hallen werden aufgestellt und inzwischen reift sogar eine blendende Idee, nämlich die, mit einer Lärmschutzwand jugendlichen Übermut und Asylsuchende zu trennen. Gefühlsmäßig würde ich sagen, dass es nicht gut ist, die Alternativen und ihre lautstarken fröhlichen Lebensäußerungen auszugrenzen, aber mitunter muss man eben schützen, was geschützt gehört. Nicht nur Flüchtlinge, auch Spartakisten.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam

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