Am 19. September wählt Potsdam einen neuen Oberbürgermeister. Sieben Männer und Frauen bewerben sich um das Amt. Was macht sie und ihre Politik aus? Was wollen sie in der Landeshauptstadt bewegen? Heute: Hans-Jürgen Scharfenberg, Die L: gegen die Windmühlen
Die Rollläden in der Nachbarschaft sind noch unten. Es ist Sonnabend, 7 Uhr.
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Die Rollläden in der Nachbarschaft sind noch unten. Es ist Sonnabend, 7 Uhr. Scharfenberg öffnet die Tür seines Einfamilienhauses am Stern; er trägt ein rotes T-Shirt und kurze Hosen. „Bin ich zu früh?“ Nein, nein, er winkt ab. Er sei schon seit um vier Uhr wach, habe schon gearbeitet. Bei Scharfenbergs wird zeitig gefrühstückt, der Oberbürgermeister-Kandidat hat ein straffes Programm. In der schmalen aber langgezogenen Küche hat Ehefrau Ursula, stellvertretende Schulleiterin an der Lenné-Gesamtschule, den Tisch gedeckt. Es gibt frische Brötchen, Wurst, Käse, Kuchen. Scharfenberg nimmt sich ein Stück Kuchen, wie fast jeden Morgen, wie seine Frau sagt. Zwei Wellensittiche, „Bubi“ und „Carli“, flattern in der Küche umher. Sie sind Scharfenbergs Stimmungsaufheller, wenn der Stress überhand nimmt. Es ist ein Bild für die Götter, als sich „Bubi“ auf seinem Igelhaarschnitt niedersetzt, während „Carli“ von seinem Löffel Kuchen nascht. Zum Piepen. „Bubi“ kann auch ein paar Worte sagen, verrät Frau Scharfenberg, „gute Mutti“ etwa oder „Kussi“.
Scharfenberg weiß, dass das Leben kein Kuchenessen ist, nicht einmal an diesem Samstagmorgen, nicht als Kandidat mit seiner Vita. Er muss Fragen beantworten. Dass er Kandidat für den Rathaus-Chefposten geworden ist, sieht er als „logische Konsequenz“ seines politischen Engagements. Aber wie war das mit seinem Werdegang, vollzog er sich auch Schritt für Schritt im Zuge einer logischen inneren Konsequenz? Sein erster Satz bringt die erste Überraschung, der Mann ist katholisch getauft und hat es als Katholik bis zur Kommunion gebracht. Das hat er von seiner Mutter, sagt er, die aus Böhmen stammt. Von ihr hat er auch seinen starken Gerechtigkeitssinn. Schon auf dem Schulhof der EOS „Johannes R. Becher“ in seiner Geburtsstadt Annaberg-Buchholz habe er sich für Schwächere geprügelt. Es gab aber einen Widerspruch zwischen der Religion und dem, was er in der Schule hörte. Es hieß „entweder das eine oder das andere und ich habe mich entschieden“. Sozialismus oder Katholizismus, die DDR-Pädagogik vermittelte zwischen beiden wenig Schnittmengen.
Das erste Mal nach Potsdam kam er auf einer Fahrt mit anderen Berufsoffiziersbewerbern. Er kann sich noch an einen Tanzabend im sowjetischen Haus der Offiziere erinnern. Später wechselt er die Berufsidee: „Befehlen und Ausführen ist nicht mein Stil.“ Er leistet nur den eineinhalbjährigen Grundwehrdienst, als Funker in einer Artillerie-Einheit in Erfurt. Was folgt ist ein Aufstieg als Spitzenkader für den Staatsapparat. Schon immatrikuliert an der Karl-Marx-Universität in Leipzig für ein Studium zum Lehrer für Marxismus- Leninismus, wird er von einem ihm bekannten Mann vom Rat des Kreises angesprochen, ob er an der Potsdamer Akademie für Staat und Recht in Potsdam studieren wolle. Scharfenberg will. „Es war mein Staat, meine Überzeugung, meine Pflicht.“ Als Assistent am Lehrstuhl „Staatsrecht Kapitalistischer Staaten“ könnte er „Reisekader“ werden, 1978 sagt er als 24-Jähriger der Staatssicherheit eine informelle Mitarbeit zu. Zwei Jahre lang haben sie ihn da schon im Visier, mit dem Decknamen „Johnson“, eine Fremdbeschreibung, wie er sagt. Als er sich selbst einen Decknamen geben soll, zögert er erst und sagt dann, „nehmen Sie Hans-Jürgen“. Er habe nur wenige Berichte geschrieben und niemanden „in die Pfanne gehauen“ sagt er bei der zweiten Tasse Kaffee und verweist darauf, dass selbst Stadtverordnete, die unverdächtig sind, ihm politisch nahe zu stehen, klarstellten, er sei ein harmloser Fall. Dass er für die „personengebundene Arbeit“ als Spitzel ungeeignet sei, attestierte ihm sogar die Stasi. „Ich kann das nicht“, sagt Scharfenberg heute, „ich habe nun einmal keinen doppelten Boden, ich bin offen.“ Dass er intime Details von Akademie-Mitgliedern weiter gegeben hat, wie es der Hans-Jürgen Scharfenberg-Eintrag bei Wikipedia kund gibt, sei „eindeutig unzutreffend“. Er müsse gegenüber einem Stasi- Mann lediglich mal einen Kollegen als „Weiberheld“ bezeichnet haben, so jedenfalls stehe es in dem Gesprächsprotokoll, das der Stasi-Mann anlegte und das den Weg in Scharfenbergs Akte fand.
Er will nicht auf den Stasi- IM reduziert werden, erzählt von seiner ehrenamtlichen Arbeit im Wohngebiet der Nationalen Front. Jahrelang gibt er seine Freizeit dafür hin. „Als mein ältester Sohn geboren wurde, stand ich auf dem Lkw und habe Schrott gesammelt, als meine Tochter geboren wurde, habe ich die Straße gefegt.“ Scharfenberg: „Darum hat sich keiner gerissen.“ Als Experte für das „Staatsrecht der BRD“ nimmt er die Eigentumsklausel des Grundgesetzes zur Kenntnis, die Friedenspflicht, das Sozialstaatsprinzip, aber auch „Prozesse der Aushöhlung – diese Diskussionen haben wir heute noch“. Er sah auch die Probleme im eigenen Land; er dachte, „wir sind alle Eigentümer, wir haben alle die Verantwortung“. In den 1980er Jahren sieht er mehr und mehr die Widersprüche zwischen Anspruch und Realität. Die Wohngebietsaktion „Dichte Dächer“ läuft ins Leere, es fehlt an Material. Michael Gorbatschow bringt Hoffnung auf neuen Schwung: „Wir waren alle Gorbi-Fans.“ Nie bis zur Wende jedoch hat Scharfenberg Staat und System der DDR infrage gestellt. „Ich habe gedacht, die Probleme lassen sich lösen.“
Nach der Wende beschließt Scharfenberg, sich weiter einzumischen. „Es tut mir weh, wenn Leute unzufrieden sind und nichts machen“, wird er beim Broschürenverteilen auf dem Bassinplatz einer Frau erklären, die keine Kraft mehr hat, „gegen Windmühlenflügel anzukämpfen“. Scharfenberg: „Damit konservieren Sie die unguten Verhältnisse.“
Nach dem Frühstück steigen wir in Scharfenbergs Renault Laguna. Er ist der Marke treu geblieben, seit er 1990 vom Trabi in einen Renault 19 Chamade umstieg. Landtagsabgeordnete Prof. Michael Schuhmann, dessen Mitarbeiter Scharfenberg war, sagte begeistert: „Klasse, lass mich mal hinters Steuer.“ Auch beim Urlaubsort zeigen Scharfenbergs Beständigkeit. Sie sind noch begeistert von einem Rom-Besuch, bei dem sie einer Ansprache des Papstes lauschten, fahren aber seit langen Jahren nach Dänemark, „schön in Familie, morgens um 7 Uhr im Meer baden; als sie noch jünger waren Skat spielen mit meinen Söhnen “
„Erst in dem Augenblick, wo es möglich ist, habe ich gesehen, was mir entgangen ist,“ bekennt Scharfenberg. Sein erster Halt an diesem Morgen ist der Markt auf dem Weberplatz in Babelsberg. Hier kauft er Oliven fürs Abendbrot. Das mache er immer so, auch wenn nicht Wahlkampf ist. In Zentrum-Ost, am Schlaatz, beim Sommerfest am Stern, weitere Stationen seiner Wahlkampftour, drückt er vielen die Hand. Der „Kontakt zu den Bürgern“ mache ihm Spaß. Scharfenberg will zeigen, dass er nicht der harte Hund ist, für den sie ihn halten, bleibt aber als Persönlichkeit ein Phänomen: Am Stern verweigert er das gemeinsame Foto mit der eigenen Wahlkampfhelferin, auf deren T-Shirt der Satz steht: „Sei Du selbst. Andere Leute gibts schon genug.“ Das, sagt er, entspricht nicht seinem Selbstverständnis.
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