Landeshauptstadt: „Geist und Geld“ – und wo bleibt Nächstenliebe?
Das Oberlinhaus zwischen Wirtschaftlichkeit und Glaubwürdigkeit einer christlichen Einrichtung
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Babelsberg - „Geist und Geld gehören für mich immer zusammen.“ Der Ausspruch ist die Verknappung eines Zitats aus dem Lukas-Evangelium, geäußert vom Vorstandsvorsitzenden des Oberlinhauses, Peter-Christian Fenner. Doch nicht nur bei Bibel-Zitaten scheint die Verknappung im Oberlinhaus derzeit auf der Agenda. Auch die Ausgaben sollen verknappt werden. Das sorgt für Missstimmung unter den Mitarbeitern der evangelischen Klinik und Pflegeeinrichtung.
Die Liste der Querelen im Oberlinhaus verlängert sich von Monat zu Monat. Kündigungen einer Oberin und Mitarbeitern, Auslagerung von Arbeitsbereichen in Tochtergesellschaften mit Nachteilen für die Mitarbeiter, und immer wieder Rechtsklagen. Schuld daran scheint die „Strategie 2013“, wie es sich auch aus einer Sendung am gestrigen Sonntag im Kulturradio des Rundfunk Berlin-Brandenburgs heraus kristallisiert. Durch das Strategiepapier soll das Haus „zukunftsfest“ gemacht werden, erklärt der kaufmännische Vorstand Andreas Koch. Doch unter dem Druck, wirtschaftlich zu arbeiten, verliert die kirchliche Einrichtung an Glaubwürdigkeit: bei Patienten, aber – und das schlägt ebenfalls auf die zu pflegenden Menschen zurück – auch auf die Mitarbeiter. So wird von der immer größeren Zeitnot in der ambulanten Pflege berichtet, fünf Minuten Fahrzeit von einem zum nächsten Patienten sind eingeplant, „Stau, Parkplatzsuche und Ankommen inklusive“, wie Radioautor Charly Kowalczyk betont. Einstige Pflegemitarbeiter berichten, jede Minute über dem Limit müsse bei der Pflegedienstleitung einzeln gerechtfertigt werden. „Gott erwartet Nächstenliebe, nicht schöne Worte“, zitiert eine ehemalige Oberlinerin den Namenspatron des Hauses, Johann Friedrich Oberlin. „Ich hatte schon den Eindruck, dass schöne Worte der Nächstenliebe überlegen sind.“
Eine andere Mitarbeiterin konnte erst vor Gericht ihre fristlose in eine fristgerechte Kündigung ändern lassen, auf ein gutes Zeugnis – ebenfalls Auflage des Gerichts – wartet sie bis heute. Eindrucksvolle Krönung war die Kündigung der Oberin Gisela Zschokelt im Jahr 2005. Zu jenem Zeitpunkt dürfte der bis dahin gültige Ausspruch „Einmal Oberliner, immer Oberliner“ passé gewesen sein.
Mittlerweile ist die Einrichtung vor Gericht damit gescheitert, bei Neueinstellungen eine neue Arbeitsordnung durchzusetzen, bei der alle Mitarbeiter bei gleicher Tätigkeit das gleiche Gehalt bekommen sollten, egal, welchen Alters, ob verheiratet, ledig, mit Kindern oder ohne Nachwuchs. Auch der Plan, neuem Personal weniger zu zahlen, dafür mehr Arbeitsstunden aufzuerlegen, scheiterte.
Der Vorstand verteidigt sein Vorgehen: Die Klinik stehe unter ökonomischen Druck. Gerade im Orthopädiebereich sind Fallpauschalen der Kassen knapp berechnet, bei manchen Operationen liegen die Erstattungen unter dem Materialpreis. Vorstandschef Fenner ergänzt, die Zeitproblematik dürfe nicht nur bei christlichen Häusern thematisiert werden. Er bezeichnete die Erwartung der besonderen christlichen Versorgung als „romantisch“.
Weniger romantisch ist das derzeitige Arbeitsklima. Die Mitarbeiter dürfen nicht reden – das schreibt sogar Paragraph sechs des Dienstvertrags vor. So verhält sich der Stab auch: Kein Oberlinmitarbeiter traut sich vor das Radiomikrofon. Ivo Litschke von der Gewerkschaft Verdi weiß: „Das ist blanke Angst.“ Der offene Dialog scheint nicht die Stärke des jetzigen Vorstands. Um an den Ausspruch des Namenspatrons zu erinnern. Nicht nur an der Nächstenliebe den Mitarbeitern gegenüber scheint zu arbeiten zu sein, der ehrliche Wortwechsel, das Vertrauen im Gespräch muss wohl auch erst wieder gelernt werden in Babelsbergs kirchlichem Kranken- und Pflegehaus. Kay Grimmer
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